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Der Richter saß dem stolzen Herrn gegenüber, an schwarzbehangenem Tisch auf hohem Stuhl. Er nahm die schwarze Kappe ab und legte sie neben sich auf den Tisch. Er griff nach den Akten und blätterte drin:
»Ihr Fall, Herr Oberst, ist uns bekannt. Wir haben das Material gesammelt. Man klagt Sie an. Bitte sich zu äußern.«
»Man klagt mich an. Wer und bei wem? Warum macht man sich’s nicht bequem? Was soll die Farce? Das Urteil ist fertig, wozu ein Gericht? Wem denkt man damit Sand in die Augen zu streuen?«
»Sie verkennen mich, Herr. Ich bin nicht gekauft. Es soll keiner wagen, mir diesen Vorwurf zu machen. Hier sitzt die Gerechtigkeit und wägt und prüft. Und ob Sie wollen oder nicht, Sie haben ihr Rede und Antwort zu stehen.«
Und er wies feierlich auf die Bücherstapel rechts und links auf dem Tisch.
Da ruhte gewichtig aufeinander, was in den letzten Jahrhunderten niedergelegt war, und was durchfochten, sichergestellt und nicht widerlegt war auf dem Gebiet des internationalen Rechts. Schwarz auf weiß war da fixiert, was Grotius studiert und Pufendorf fundiert und was dann Leibniz schrieb und Christian Wolf, über die Rechtseinrichtungen in der Natur und bei den Nationen, denn um Verstöße gegen Axiome auf diesem Gebiet handelte es sich hier, nicht um privaten Mord und Schlägereien oder um Verwechslungen zwischen mein und dein.
Der Oberst: »Dann sollen Sie von mir die Wahrheit hören, aber ich werde Ihnen keine Phrasen vorsetzen, wie sie meine Ankläger belieben. Die Wahrheit ist: Ich bin, wie ich bin, anderen zur Last, Deutschland ist in der Welt verhaßt. Man haßt uns, weil wir unbequem und stark sind, man nennt uns Verbrecher, weil wir unsere Stärke gebrauchen. Aber das ist unser Recht, die andem tun’s nicht anders. Daß wir da sind, ist unsere ganze Schuld.«
Der Richter war auf diesen Platz gesetzt und hatte zu vertreten, gegenüber dem Leugner und abtrünnigen Mann, die Prinzipien und Grundsätze, die jener mit Füßen getreten und mit Fäusten bearbeitet, mit Kolben verbeult und sonst malträtiert, daß die genannte Person, das internationale Recht, ihre natürliche Form so komplett verlor, daß es Leute gab, die schworen, diese Person, das internationale »Recht« gäbe es nicht mehr, und sie hatten es nicht schwer, einen Antrag einzubringen, diese Person für verschollen zu erklären und ihr den Zugang zum Gerichtshof zu verwehren.
Demgegenüber kam es dem Richter darauf an, durch sein Auftreten und Eingreifen all dies Gerede ins Gebiet des groben Unfugs und der höheren Flunkerei zu verweisen und an Ort und Stelle die drei großen Forderungen zu beweisen und zu vertreten, die für jedes geordnete Völkerleben von Nöten, nämlich: primo, die wechselseitige Anerkennung staatlicher Existenz und Integrität,
sekundo, Freiheit und Autorität der Staaten im Innern, das heißt, kein Staat sollte den andern hindern, im eignen Haus zu schalten und zu walten, ganz wie’s ihm beliebte [sogar wenn es die eigenen Bürger und die Menschheit betrübte],
tertio, genossen alle Staaten völlige Parität, und niemand sollte sich dem andern überlegen fühlen und an ihm aus irgend einem Grunde sein Mütchen kühlen oder ihn beschämen und eigenmächtig Grenzveränderungen vornehmen. Kurz: der Staat erhielt alles, was ihm lieb [der Mensch freilich konnte sehen, wo er blieb].
Und so blickte der Richter auf Pufendorf, auf Leibniz