Beobachtungen zum Genie.
Der geniale Mensch sieht klarer und träumt mehr als der gewöhnliche Mensch.
Ist die Übersensibilität gegenüber Geräuschen eine Charakteristik von Leuten, die Angst empfinden?
***
Die größten Genies sind die Schöpfer eines Milieus.
Richet[5] liegt richtig, wenn er behauptet, daß das, was den großen Menschen auszeichnet, genau jenes ist, was ihn von seinem Milieu unterscheidet. Einige sind einfach nur zur Anpassung unfähig. Einige passen sich an, indem sie das Milieu erobern, indem sie es zu ihrem eigenen machen. Baudelaire und Poe sind Beispiele für die erste These. Napoleon und Christus sind Beispiele für die zweite These.
Der geniale Mensch muß gleichzeitig mehr träumen und wacher sein als der gewöhnliche Mensch. Die höhere Aktivität seines Denkzentrums bringt ihn dazu, ein größeres Bewußtsein vom Leben zu haben, eine größere Sehnsucht nach Verständnis, eine größere Klarheit der Sicht (was ihm hilft bei der Eliminierung von absurden Konzepten, die zwangsläufig in seinem Gehirn erscheinen). Die größere Aktivität von diesen gefährdeten Zentren, die (…) Aktivität der Nerven und die (…) schneiden ihn aber in einer gewissen Weise von der Welt ab, machen aus ihm einen Egoisten und einen Träumer. Daher ist das Phänomen der Amnesie (…) gewöhnlich bei Menschen mit Genie und Talent. (Der Unterschied zwischen diesen beiden besteht in der größeren Imagination des Genies, in der größeren Originalität, allgemein in der größeren Genialität.)
***
Die synthetische Aktivität ist verbunden mit einer mentalen Erregung, ebenso wie die Analyse an eine Depression gebunden ist.
Sowohl eine hohe synthetische Aktivität wie auch eine hohe analytische Aktivität sind Symptome eines psychopathischen Zustands.
Zuweilen trifft man in ein und derselben Figur diese beiden Aktivitäten gemeinsam an – dies ist selten, aber es ist möglich; dieses Individuum wird nicht ausgeglichener sein, sondern höchstens nur unausgeglichen ausgeglichen, denn letztlich bewegt es sich außerhalb der gewöhnlichen Naturproportionen.
Die Selbstanalyse ist ein morbides Phänomen.
Das ist offensichtlich. Da die Intelligenz essentiell objektiv ist, jedoch ist die analytische Intelligenz eine subjektive Intelligenz, also eine nichtnatürliche, eine morbide Intelligenz.
Ist die analytische Aktivität nun genau dies, oder ist sie eine Übertreibung des Selbstbewußtseins? Oder vielmehr: Was bedeutet das Selbstbewußtsein?
Der Grund, warum ein Dichter nicht über das Naturell eines Mathematikers verfügt – die Dichtung ist das Erzeugnis einer synthetischen Aktivität, die Mathematik das Erzeugnis einer analytischen Aktivität. Dies ist der wahre Grund, der fundamentale Grund, den alle kennen.
Ein Fall einer großen synthetischen Aktivität, verbunden mit einer völligen Unfähigkeit zur analytischen Aktivität:Victor Hugo.
Ein Fall der Koexistenz beider Aktivitäten, Edgar Allan Poe (denke an seine Erfolge in der Mathematik). Ein sich selbst und seiner Dichtung gegenüber tief kritischer Dichter. Der Alkoholismus übersteigerte seine synthetische, vereinfachende Aktivität.
Goethe: ein Fall der Koexistenz, ohne daß sich dabei die beiden Aktivitäten gegenseitig beeinflußt hätten.
***
Metaphysiker werden von normalen Menschen in der Regel nur schlecht oder oberflächlich verstanden. Mehr noch, es gibt vielerlei Leute, die glauben, ein metaphysisches System zu verstehen, wobei sie nur die Worte begreifen – was an sich schon ganz gut ist –, in denen es dargestellt wurde. Liest man einem normalen Menschen Spinozas Definition der Substanz vor, so wird dieser, wenn er sich schon nicht unhöflich gegenüber Spinoza äußert, zumindest doch sagen: »Mit solchen Dingen hat er seine Zeit vergeudet!«
Betrachtet man die Fakten, die Dinge mit einem nach Wahrheit strebenden Auge, so wird niemand leugnen, daß die metaphysische Spekulation nicht direkt auf das haup