: Fernando Pessoa, António Mora
: Steffen Dix
: Die Rückkehr der Götter Werkausgabe Neu
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104033204
: Fernando Pessoa, Werkausgabe
: 1
: CHF 33.00
:
: Erzählende Literatur
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
»Bei einem so großen Mangel an Literatur, den es heutzutage gibt, was kann da ein Mensch von Genie anders machen, als sich, nur für sich allein, in eine Literatur zu verwandeln?« So formulierte Fernando Pessoa sein Lebensprojekt: Er erfand eine Reihe von Schriftstellern, die er mit Lebensläufen, Horoskopen und auch Visitenkarten versah. Ihnen legte er Bücher in die Feder und brachte ein ganzes Drama aus Leuten hervor, denn »bei einem so großen Mangel an gleichgesinnten Leuten, den es heute gibt, was kann da ein Mensch von Sensibilität anders machen, als seine Freunde oder zumindest seine Geistesgefährten zu erfinden?« Auf der Messerschneide der Moderne, zwischen der Technikbegeisterung und dem verlorenen Glauben, umkreisten seine Heteronyme die Frage, ob die empfundene Gottferne nicht in Wahrheit eine »Rückkehr der Götter« ankündige. Pessoa stellte diese Aufgabe António Mora, aber in Die Rückkehr der Götter finden sich nicht nur seine Aufzeichnungen, sondern auch die Beiträge der anderen Stimmen zu dem Thema. So bietet der Band die umfassendste Einführung in die zentrale Gedankenflucht des größten modernen Dichters Portugals.

Fernando Pessoa (1888-1935), der bedeutendste moderne Dichter Portugals, ist auch bei uns mit dem »Buch der Unruhe« bekannt geworden. Einen Großteil seiner Jugend vebrachte er in Durban, Südafrika, bevor er 1905 nach Lissabon zurückkehrte, wo er als Handelskorrespondent arbeitete und sich nebenher dem Schreiben widmete. 1912 begann seine Tätigkeit als Literaturkritiker und Essayist. Er schuf nicht nur Gedichte und poetische Prosatexte verschiedenster, ja widersprüchlichster Art, sondern Verkörperungen der Gegenstände seines Denkens und Dichtens: seine Heteronyme, darunter Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos - und er schrieb eben auch als Pessoa, das im Portugiesischen so viel wie »Person, jemand« bedeutet.

[Die Heteronyme und die Stufen der Dichtung]


Einige dieser Figuren nehme ich in Erzählungen auf oder in Untertiteln von Büchern und unterzeichne mit meinem Namen das, was sie sagen; andere entwerfe ich vollständig, unterschreibe aber nicht, ohne den Hinweis zu geben, daß ich sie hervorgebracht habe. Die Arten dieser Figuren lassen sich in folgender Weise voneinander unterscheiden: Es sind die, die ich absolut hervorhebe, selbst der Stil ist mir fremd, und wenn es die Figur notwendig macht, dann ist er sogar das vollkommene Gegenteil von meinem; die Figuren, bei denen ich unterschreibe, unterscheiden sich nicht von meinem eigenen Stil, außer in unvermeidlichen Einzelheiten, ohne die sie sich nicht voneinander abheben würden.

Ich werde einige dieser Figuren miteinander vergleichen, um zu zeigen, worin zum Beispiel diese Differenzen bestehen. Der Hilfsbuchhalter Bernardo Soares und der Baron von Teive[2] – beide Figuren haben nichts mit mir zu tun – schreiben beide in derselben Stilsubstanz, mit derselben Grammatik und derselben eigentümlichen Art oder Form: Sie schreiben in einem Stil, der, ob gut oder schlecht, gleich meinem ist. Ich vergleiche die beiden, da sie Beispiele für ein und dasselbe Phänomen sind – es ist die Nichtanpassung an die Realität des Lebens oder noch vielmehr die Nichtanpassung aus denselben Motiven und Gründen. Aber während das Portugiesisch bei Baron von Teive und bei Bernardo Soares von der gleichen Art ist, so wankt doch etwas der Stil; der des Adligen ist intellektuell, von Bildern entkleidet, ein wenig – wie soll ich sagen? – steif und eng; der des Bürgerlichen ist flüssig, an der Musik und der Malerei teilhabend, ein wenig architektonisch. Der Adlige denkt klar, schreibt klar, beherrscht seine Emotionen, obgleich nicht seine Gefühle; der Hilfsbuchhalter dagegen beherrscht weder seine Emotionen noch seine Gefühle, und wenn er denkt, dann ist es ein erweitertes Fühlen.

Es gibt zum anderen bemerkenswerte Ähnlichkeiten zwischen Bernardo Soares und Álvaro de Campos. Aber bei Campos tritt sofort die Nachlässigkeit des Portugiesischen zutage, die Gelöstheit im Bildlichen, es ist intimer und weniger beabsichtigt als bei Soares.

Es gibt Fälle im Auseinanderhalten der einen von den anderen, die wie schwere Packen in meinem Unterscheidungsvermögen lasten. So das Auseinanderhalten der musikalischen Komposition des Bernardo Soares von einer Komposition im gleichen Tenor, die meine ist.

Es gibt Momente, in denen ich das alles unvorhergesehen vollbringe, mit einer Perfektion, die mich entsetzt; die mich unbescheiden entsetzt und die mich, wie ich nicht einmal an ein Bruchstück menschlicher Freiheit glaube, entsetzt, da sich alles in mir vollzieht, wobei es mich aber ebenso entsetzen würde, wenn es sich in anderen vollziehen würde – in zwei Fremden.

Nur eine große Intuition kann der Kompaß in den offenen Feldern der Seele sein; nur mit einem Sinn, der sich der Intelligenz bedient, sich ihr aber nicht angleicht, obwohl er sich hier auf sie begründet, kann man diese Traumfiguren in ihrer Wirklichkeit eine von der anderen unterscheiden.

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In diesen Persönlichkeitsspaltungen oder vielmehr in den Erfindungen von unterschiedlichen Persönlichkeiten gibt es zwei Stufen oder Typen, die sich dem Leser, wenn er ihnen aufmerksam folgt, durch verschiedene Charakteristiken offenbaren werden. In der ersten Stufe unterscheidet sich die Persönlichkeit anhand eigener Ideen und Gefühle, die nichts mit meinen zu tun haben; ebenso wie auf einem niederen Niveau dieser Stufe, auf dem sie sich nur anhand von Ideen unterscheidet, die zwar rational und argumentativ dargelegt sind, die aber auch nicht die meinen sind; oder selbst wenn sie es wären, dann kenne ich sie nicht. DerAnarchistische Bankier ist ein Beispiel dieses niederen Niveaus; dasBuch der Unruhe und die Person Bernardo Soares entsprechen der höheren Stufe.

Der Leser sollte bemerken, daß, obwohl ich dasBuch der Unruhe publizieren würde (publizieren werde), als ob es von einem Bernardo Soares, Hilfsbuchhalter in der Stadt Lissabon, wäre, ich es doch nicht vollständig in dieFiktionen eines Zwischenspiels[3] einschließen kann. Bernardo Soares unterscheidet sich zwar von mir in seinen Ideen, seinen Gefühlen, seiner Art des Sehens und Verstehens, er unterscheidet sich aber nicht von mir im Stil, in dem er dies alles zum A