: Ulrike Krawczyk
: Märchen von Brüdern und Schwestern Märchen der Welt
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104031071
: 1
: CHF 5.00
:
: Märchen, Sagen, Legenden
: German
: 140
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
*** Auf dem FLIEGENDEN TEPPICH um die Welt: die schönsten Märchen endlich wieder lieferbar! *** In einprägsamen Symbolen spiegeln Märchen Wünsche und Erfahrungen wider. Unerschütterliche Liebe und Verbundenheit von Geschwistern kommen darin ebenso zum Ausdruck wie dramatische Feindschaft, erbarmungslose Eifersucht, aber auch aufopferungsvolle Unterstützung und Hingabe.

Ulrike Krawczyk, in Bad Cannstadt geboren, studierte Germanistik und Linguistik an der Universität Stuttgart.

Iwan aus der Erbse und Wassilissa mit den goldenen Flechten


Vor langer Zeit lebte einmal ein Zar und eine Zarin mit Namen Swjetossar. Die hatten zwei Söhne und eine Tochter, die schöner war als Sonne, Mond und Sterne und schöner noch, als man es je in einem Märchen erzählen könnte. Ihr seidenes Haar war dicht und wie aus Gold und zu langen Flechten geflochten und hing herab bis zu den Fersen. Obwohl sie in einem Turm lebte, ging dennoch die Kunde von ihrer Schönheit in alle Lande, und die Leute nannten die Zarewna nur Wassilissa mit den goldenen Flechten, die unvergleichlich Schöne.

Zwanzig Jahre lang lebte die Zarentochter abgeschlossen in ihrem Turm, behütet von Zar und Zarin und ihren Ammen und Wärterinnen. Und als die zwanzig Jahre vorübergegangen waren, ließ Zar Swjetossar Boten aussenden in alle Länder, um Zaren, Könige und Fürsten zu einem Feste zu laden, damit sich die schöne Zarewna einen Gemahl erwähle. Der Zar ging selbst in den hohen Turm, um es der schönen Wassilissa anzusagen.

Die Zarentochter freute sich von ganzem Herzen, und sie sprach: »Großmächtiger Vater, hoher Zar, noch nie lief ich über Gras und Blumen, laßt mich mit meinen Ammen und Wärterinnen im Freien lustwandeln.«

Dies gewährte der Zar, und Wassilissa mit den goldenen Flechten stieg hinab in den weiten Schloßhof und spazierte mit ihren Begleiterinnen auf der Blumenwiese. Die schöne Zarewna pflückte sich blaue Blumen und entfernte sich ein wenig von ihren Begleiterinnen, denn ein junges Herz kennt keine Vorsicht. Sie trug keinen Schleier, und unverhüllt war ihre Schönheit. Da brach ein Sturm los, wie ihn selbst die ältesten Leute noch nicht erlebt hatten. Bäume entwurzelten, alles wurde herumgewirbelt und zerbrach. Mit einem Mal ergriff der Sturmwind die schöne Zarewna und trug sie durch die Lüfte davon. Er trug sie über Länder und über Meere, er trug sie über drei Reiche in das vierte Reich, in das Reich des grausamen Drachen. Die Ammen und Wärterinnen schrien und weinten und suchten an allen Orten, doch es war umsonst.

Sie eilten in das Schloß zurück, warfen sich dem Zaren zu Füßen und riefen: »Hoher Zar, unschuldig sind wir an deinem Unglück, wenn wir auch schuldig vor dir erscheinen. Der Sturmwind entführte unser Licht, Wassilissa mit den goldenen Flechten, die unvergleichlich Schöne, und wir wissen nicht wohin. Sprich ein Wort der Gnade, bestrafe uns nicht.«

Der Zar zürnte und war traurig, doch er begnadigte die Ammen.

Am anderen Morgen kamen die Freier ins Schloß, doch der Zar rief: »Der Sturmwind entführte meine Tochter, Wassilissa mit den goldenen Flechten, niemand weiß wohin«, und er erzählte, was geschehen war. Da glaubten die Freier, daß der Zar eine Ausrede gebrauche. Sie stürzten zu dem Turm, doch siehe, der Turm war leer. Der Zar aber beschenkte die hohen Freier reichlich, und ein jeder ritt wieder in sein Land zurück.

Die beiden Zarensöhne, Wassil