: Mika Waltari
: Andreas Ludden
: Turms der Unsterbliche
: Kuebler Verlag
: 9783863461867
: 1
: CHF 6.20
:
: Historische Romane und Erzählungen
: German
: 1768
: kein Kopierschutz/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Turms hat die Erinnerung an seine Herkunft verloren. Indem er den Tempel der Perser in Sardeis in Brand setzt, gibt er das Signal zum Aufstand der Ionier gegen die persische Weltmacht. Es kommt zur Seeschlacht vor Milet. Er flieht nach Sizilien und später nach Rom. Dort, am Rand des etruskischen Herrschaftsgebiets, wird ihm enthüllt, dass er ein 'Geweihter' ist und das Schicksal ihn zum Priester-Herrscher der Etrusker bestimmt hat. Zahlreiche Nebenhandlungen und Personen (der griechische Krieger Dorieus, der Arzt Mikon, die Witwe Tanakil, die Tempelhetäre Arsinoe und viele andere) bereichern die Geschichte und vermitteln dem Leser ein farbenfrohes und kenntnisreiches Bild der antiken Welt.

Mika Waltari, 1908 in Helsinki geboren, studierte Philosophie und Theologie, wurde Journalist, Übersetzer und schließlich freier Schriftsteller. Vor allem mit seinen historischen Romanen wurde er in der ganzen Welt bekannt und gilt als einer der erfolgreichsten finnischen Schriftsteller. Sein Stil kann mit 'Nüchternheit, Melancholie, subtiler Humor' beschrieben werden, für jeden Roman betrieb er ein ausführliches Quellenstudium.

Kapitel 4

Das geschah zwischen den düsteren Bergen auf dem Grunde nach Delphi. Als wir das Ufer verließen, flammtenüber den Berggipfeln weit im Westen die Blitze. Als die Pilger im Dorf angelangt waren, warnten die Dorfbewohner sie vor dem Weitergehen. Es ist Herbst, sagten sie, und die Stürme setzen ein. Der Sturm könne einen Bergsturz hervorrufen und das Geröll auf den Weg herabstürzen. Die reißenden Ströme könnten die Pilger wegschwemmen.

Aber ich, Turms, wanderte weiter nach Delphi, um mich dem Orakelspruch zu stellen. Die Krieger Athens hatten mich gerettet und mir Zuflucht auf ihren Schiffen gewährt, als die Bewohner von Ephesos mich schon zum zweiten Male steinigen wollten.

Deshalb wartete ich den Sturm auf dem Grunde nach Delphi nicht ab. Die Dorfbewohner lebten von den Pilgern und hielten diese auf der Hin- und Rückfahrt unter mancherlei Vorwänden zurück. Sie bereiteten schmackhafte Speisen, boten bequeme Nachtlager an und verkauften den Pilgern selbst angefertigte Andenken aus Holz, Horn oder Stein. Ihren Warnungen schenkte ich keinen Glauben. Ich fürchtete mich nicht vor dem Sturm und den Blitzen.

In brennendem Schuldbewusstsein setzte ich meine Wanderung zwischen den Bergen fort. Es wurde finster am hellen Tag. Die Wolken senkten sich auf die Berge nieder. Die Blitze sprühten um mich herum. Ein ununterbrochener Donner rollte als Echo im Tal. Ich hätte nie geglaubt, dass das Menschenohr ein solches Donnerrollen ertragen könne.

Die Blitze zersplitterten Felsen um mich herum. Regen und Hagel peitschten meinen Körper. Der Wirbelsturm stürzte mich fast in die Schlucht hinab. Meine Knie und Ellenbogen waren von den Steinen blutig geritzt.

Aber ich empfand keinen Schmerz. Die Blitze schwirrten um mich herum, als ob sie mir ihre blendende Kraft zeigen wollten. Ein ununterbrochenes Grollen dröhnte in meinem Kopf. Das erste Mal in meinem Leben geriet ich in Ekstase. Unbewusst begann ich auf dem Grunde nach Delphi zu tanzen. Im Lichtschein der Blitze, im Gewittersturm fingen die Füße zu tanzen an, die Hände bewegten sich, aber ich ahmte im Tanze nicht andere nach, auch tanzte ich nicht etwas Erlerntes, sondern der Tanz war und lebte in mir, und meine Glieder sowie mein ganzer Körper tanzten in einem unbeschreiblichen, jubelnden Freudentaumel.

Eigentlich hätte ich bei diesem Zorn der Götterüber meine Schuld schaudern müssen. Stattdessen wurde ich von der strahlenden Gewissheit erfüllt, dass ichüber allem Schuldigsein stand. Die Blitze begrüßten mich als ihren Sohn, sichüber meinem Kopf kreuzend und spaltend. Als seinen Sohn begrüßte mich der Sturmwind. Mit unausgesetzt grollendem Donner grüßte mich das Tal. Mir zu Ehren prasselten Felsblöcke von den Hängen als feierlicher Gruß nieder.

Da erkannte ich mich selbst– zum ersten Mal. Mir konnte nichts Böses geschehen. Nichts konnte mir Schaden zufügen.

Während meines Tanzes auf dem Grunde nach Delphi brachen aus meinem Innern Worte fremder Sprachen, die ich nicht verstand. Aber ich sang sie, ich wiederholte sie unentwegt in gleicher Weise, so wie ich in Vollmondnächten an meinem eigenen Schrei erwachte und die Worte, die ich nicht verstand, immer aufs Neue wiederholte. Der Rhythmus meines Liedes war mir fremd. Die Tanzschritte waren mir fremd. Aber im Zustande der höchsten Ekstase brach dies alles aus mir und war ein Teil meiner selbst, obwohl ich nicht wusste wieso.

Als ich an der Felswand vorbeigekommen war, sah ich das runde Tal von Delphi von Wolken verdunkelt und vom Regen verschleiert vor mir liegen. Im gleichen Augenblick verstummte der Sturm, die Wolken hoben sich und die Sonne warf ihre Strahlenüber Delphis Bauten, Denkmäler und heilige Tempel.

Die herbstliche Erde, von Tropfenübersät, glitzerte silbern, die Hagelkörner schmolzen, und nie habe ich Lorbeerbäume so dunkelgrün, so glänzend gesehen wie die heiligen Lorbeerbäume, die den Tempel von Delphi umstanden. Ohne fremde Hilfe fand ich die heilige Quelle, legte meine Ledertasche auf die Erde, zog die verschmutzten Kleider aus und sprang in das reinigende Wasser. Der Regen hatte das Wasser im Teich getrübt, aber der aus dem Löwenrachen quellende Wasserstrahl reinigte Hände, Gesicht, Füße und Haare. Nackt stieg ich heraus in die Sonne, und die Ekstase in mir hielt weiter an, so dass meine Glieder wie Feuer brannten und ich keine Kälte verspürte.

Als ich die auf mich zukommenden Tempeldiener in ihren wallenden Gewändern, mit den heiligen Bändern um den Kopf bemerkte, hob ich den Blick