Aufgebrochen (1901–1908)
Die Jugend
Ob Trakls erster schulischer Misserfolg im erwachenden Protest gegen den Schulbetrieb seine Ursache hatte oder umgekehrt, ist heute nicht mehr zu klären. Dass damit Entwicklungen einsetzten, die Trakls weiteres Leben entscheidend bestimmen sollten, zeigt sich auf verschiedenen Ebenen.
Zunächst einmal in der weiteren schulischen Laufbahn, die er in einer großen Klasse mit 47 Schülern fortsetzte. Einige von ihnen konnten sich später noch an ihren ehemaligen Mitschüler erinnern, so Franz Grimm, der für mehrere Jahre, nur durch den Gang getrennt, neben ihm saß:Nicht daß er nachlässig gekleidet gewesen wäre, aber er hatte etwas Besonderes an sich– er war anders als wir. Auch ging er meist vorgeneigt, wie gebeugt, und sein Blick war nachdenklich und grüblerisch,manchmal auch forschend oder verloren. In der Schulbank saß er gewöhnlich unbewegt wie eine Statue, brütend, die Nase mit geblähten Nüstern auf die Hand gestützt. […]Niemand in der Schule hat ihn je ernst gesehen– immer lag ein stiller, obstinater Spott in seinen Mienen. Grimm fasste seinen Eindruck in dem Satz zusammen:Trakl ist genau das gewesen, was wir einen Wurschtikus nannten.1 Dass dieäußere Form seiner schriftlichen Arbeiten in der Oberstufe durchwegs mit„minder sorgfältig“ oder„minder ordentlich“ eingestuft wurde (wie bei Buschbeck auch), entspricht diesem Eindruck (II/642). Die Mitschüler empfanden ihn allerdings alsüberlegen, was sie auch respektierten:Er ist viel vifer gewesen als wir alle und uns weit voraus.2 Was für die Mitschüler offenkundig war, beeindruckte die Lehrer wenig. Er musste in den Problemfächern Latein, Griechisch und Mathematik weiterhin um positive Abschlüsse kämpfen, kamüber ein„genügend“ nie hinaus und war in den Semesterzeugnissen mehrfach von negativen Einstufungen bedroht. Nach der Wiederholung der vierten Klasse mit positivem Abschluss wurde er von der Schule abgemeldet; offenbar sollte er seine Ausbildung anderswo fortsetzen.3 Im Herbst begann er aber dann doch mit der Oberstufe. Die Schule empfand er als langweilig, Schulbücherödeten ihn an, und die Lehrer hatten es mit demschwierigen, verschlagen wirkenden Jungen, von dem es hieß, er dichte, nicht leicht.4 Insbesondere das Vokabellernen in Latein und Griechisch war ihm verhasst. Der Unterricht wurde für ihn dann interessant, wenn er zu oppositionellenÄußerungen herausforderte: Wenn er beispielsweise in Griechisch einen Text aus einer deutschenÜbertragung in die Originalsprache rückübersetzen sollte, schrieb er nur die erste und letzte Zeile hin– was ihm ein„ganz ungenügend“ eintrug.5 In der siebten Klasse wählte er als Thema des freien Vortrages das in seiner Grundstimmung düsterpessimistische Schauspiel„John Gabriel Borkmann“ von Henrik Ibsen, wohl auch im Wissen darum, dass dieser Autor in den Augen mancher Lehrer zu den Verderbern der Schuljugend gehörte. Mit der Wahl dieses Autors war Trakl in der Klasse allerdings nicht allein: Sein Freund Karl Minnich, Sohn eines Primararztes vom Mozartplatz, wählte ebenfalls ein Drama Ibsens („Die Kronprätententen“), und ein anderer Mitschüler sprach allgemeinüber den Autor. Einer der bekanntesten Lehrer an der Schule, Camillo Huemer, meinteüber Ibsen, dass er die Gesellschaftverjauche.6 Er war es auch, der vor der Lektüre Nietzsches warnte, die damals unter den Schülern stark verbreitet war. Der Philosoph war für ihn einVerderber des deutschen Geisteslebens.7