I
Im Namen von Professor Joslin, der, wie unsere geneigte Leserschaft wissen wird, mit der Abfassung von Mrs. Aubyns Biographie betraut ist, bitten wir alle Freunde der großen Schriftstellerin, die noch Informationen zu ihrem Leben vor der Zeit in England beisteuern können, um Mithilfe. Mrs. Aubyn hatte so wenige enge Freunde und folglich ist die Korrespondenz so schmal, daß jeder Brief von größtem Interesse wäre. Professor Joslins Adresse lautet Augusta Gardens 10, Kensington, und er bittet uns zu versichern, daß er alle ihm anvertrauten Dokumente umgehend zurückerstatten wird.
Glennard ließ denSpectator sinken und blickte ins Feuer. Der Club füllte sich allmählich, aber noch hatte er das kleine Hinterzimmer für sich, die Aussicht auf die im Dunkel versinkende regenglänzende Fifth Avenue. All das war soöde und trübsinnig, aber noch wenige Augenblicke zuvor hatte er, so absurd das war, etwas wie Empörung gespürt bei dem Gedanken, daß er selbst das ungeliebte Privileg, sich in diesen vier Wänden zu langweilen, noch würde aufgeben müssen. Nicht daß ihm der Club besonders am Herzen gelegen hätte, doch nun war ihm der Gedanke, daß er darauf verzichten sollte, gerade weil er so kleinlich, ja lächerlich war, ein Symbol seines unaufhaltsamen Niedergangs; immer weiter schraubte er seine Ansprüche zurück, bis ihm am Ende nichts weiter bleiben würde als die schiere Mühsal desÜberlebens. Dies Gefühl der Vergeblichkeit, die Summe all seiner Rückschläge und Entbehrungen, machte jede stoischere Haltung unmöglich; er wußte, daß, auch wenn er sich noch so sehr mühte, allesÜberflüssige abzustreifen, das eine, wonach er strebte, auch weiterhin unerreichbar fern am Horizont stehen würde. Es war leicht, etwas aufzugeben, wenn man damit die Mittel zur Ehe mit der geliebten Frau gewann; aber anders war es, wenn man diesem Ziel damit um keinen einzigen Schritt näher kam.
Durch die offene Tür sah er den jungen Hollingsworth, wie er sich, nur wenig erquickt von einem Brandy mit Soda, gähnend erhob und seine nichtsnutzige Gestalt ans Fenster schleppte. Glennard folgte seinen Bewegungen mit verächtlichem Blick. Das paßte zu Hollingsworth, daß er just in dem Moment ans Fenster ging, in dem es zu dunkel geworden war, um etwas zu sehen! Ein Mann, der reich genug war, alles zu tun, was ihm Freude machte – hätte er die Fähigkeit besessen, Freude zu empfinden –, und doch von allem ausgeschlossen durch seine eigene undurchdringliche Stumpfheit; und ein paar Schritt weiter Glennard, der nur genug für eine anständige Jacke wollte und ein Dachüber dem Kopf der Frau, die er liebte – Glennard, der sich abgeplagt, geschuftet, der sich selbst verleugnet hatte, nur um die eine winzige Chance zu bekommen, aus der er in seinemÜberschwang ein ganzes Königreich gemacht hätte, und der nun zusammengesunken dasaß und grübelte, daß er, selbst wenn er seine Mitgliedschaft im Club aufgab, wenn er auf die Zigarren und die Sonntagsausflüge aufs Land verzichtete, so weit von dieser Chance entfernt war wie am ersten Tag.
DerSpectator war zu Boden geglitten, und als er ihn aufhob, fiel sein Blick von neuem auf die an die Freunde von Mrs. Aubyn gerichteten Zeilen. Kaum merklich hatte sich bei der ersten Lektüre seine Aufmerksamkeit geregt: Ihr Name war schon so lange allgegenwärtig, daß er ihn längstüberlas, wie die Menschenmenge an einem Denkmal vorüberhastet, ohne es eines Blickes zu würdigen.
Informationen zu ihrem Leben vor der Zeit in England … Die Worte waren wie ein Zauberspruch. Sie erschien von neuem vor seinem inneren Auge, so wie sie gewesen war, als sie sich zum erstenmal begegnet waren, die arme, geniale Frau mit dem langen, bleichen Gesicht und den kurzsichtigen Augen, damals noch mit einem gewissen Charme jugendlicher Unbefangenheit, aber auch da schon alles andere als atemberaubend. Wenn sie sprach, war sie wunderbar, mehr vielleicht als später, als, in Glennards Vorstellung zumindest, das Bewußtsein, daß sie denkwürdige Dinge sprach, selbst ihren vertraulichsten Worten den Liebreiz des Intimen nahm. Wenn er je einem Gefühl der Liebe zu ihr nahegekommen war, dann damals in jener ersten Zeit; obwohl es auch da schon eine flüchtige Regung war. Später, als jeder Mann sich ausgemalt hatte, wie es wäre, von ihr geliebt zu werden, hatte er, er hätte nicht sagen können warum, in ihrer Gegenwart eine solche Beklemmung verspürt, daß sie alle Anziehung des Geistesübertönt hatte, und die letzten Jahre waren für sie beide eine Qual, ein ständiger iderstreit aus Anziehung und Abstoßung gewesen. Selbst jetzt erfüllte ihn, wenn er in alten Papieren suchte und dabei auf ihre Briefe stieß, ein dumpfes, unbestimmbares Gefühl des Elends …
Mrs. Aubyn hatte so wenige enge Freunde … daß jeder Brief von größtem Interesse wäre. So wenige Freunde!Über Jahre hinweg hatte sie nur einen einzigen gehabt; einen, der in den letzten Jahren ihre wunderbaren Zeilen, ihre tragischen Liebesschwüre, ihre Zerknirschung, ihr Flehen um Verzeihung nur noch mit den knappen Erwiderungen vergolten hatte, mit denen ein Mann sich aus der schimpflichsten aller Herzensverstrickungen windet. Er hatte sie gekränkt, ohne es zu wollen, und nun, wo die Erinnerung an ihr Antlitz verblich und nur ihre Stimme und ihre Worte ihm blieben, grämte er sich, weil seine eigene Schwachheit verhindert hatte, daß er sich auf die Höhe ihrer Leidenschaft erhob. Er mochte selbstsüchtig gewesen sein, aber es war nicht die Art von Eitelkeit, die in einem solchen Abenteuer ihr Vergnügen findet. Daß die faszinierendste Frau ihrer Zeit ihn geliebt hatte und daß er nicht in der Lage gewesen war, sie wiederzulieben, schien für ihn, nun wo er darauf zurückblickte, ein Beweis einer geradezu l&aum