: Patrick Leigh Fermor
: Die Violinen von Saint-Jacques
: Dörlemann eBook
: 9783908778509
: 1
: CHF 8.90
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: Erzählende Literatur
: German
: 200
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Auf einer Ägäis-Insel lernt ein junger Engländer eine rätselhafte ältere Französin kennen. Nach und nach erzählt sie ihm die Geschichte ihres Lebens ...Berthe kommt als junges Mädchen auf die Karibikinsel Saint-Jacques. Ihr Cousin, uneingeschränkter Herrscher der Insel, hat die mittellose Waise als Gouvernante für seine Kinder zu sich geholt. Auf Saint-Jacques scheint die Zeit stillzustehen, das Leben ein immerwährendes fröhliches, rauschendes Fest, und noch ahnt niemand die Bedrohung, als die letzten Vorbereitungen für den Höhepunkt des Jahres, den Karnevalsball, in vollem Schwange sind.

Patrick Leigh Fermor wurde 1932 der Schule in Canterbury verwiesen, weil er sich »in ein Mädchen beim Gemüsehändler verguckte«. Während der Aufnahmeprüfung in die Armee hatte er mit achtzehn Jahren die fabelhafte Idee, nach Konstantinopel zu wandern... Drei Jahre lang organisierte er als britischer Agent auf Kreta den Widerstand, konnte 1944 den deutschen General Kreipe gefangen nehmen und wurde ein Held. (Verfilmt wurde diese Begeben- heit aus Fermors Leben mit Dirk Bogarde in der Hauptrolle. Titel des Spielfilms: Ill Met by Moonlight.) Patrick Leigh Fermor zählt zu den bedeutendsten englischsprachigen Reiseschriftstellern. Er verstarb am 10. Juni 2011 im Alter von 96 Jahren in Worcestershire, England. Seine Werke erscheinen auf Deutsch im Dörlemann Verlag.

Nur wenig unterscheidet die Geschichte unseres Eilands von derjenigen anderer französischer Inselnüber dem Winde; einzig an Bekanntheit steht es hinter jenen zurück. Die ursprünglichen Bewohner von Saint-Jacques waren Aruak-Indianer, gefolgt von den wilden Kariben, die in ihren Einbäumen an den Küsten der Inselkette landeten, die Männer der Aruak töteten und verspeisten und ohne viel Federlesens die Witwen zur Frau nahmen. Kolumbus entdeckte den Archipel auf seiner zweiten Reise und erhob Anspruch für die spanische Krone. Den karibischen Namen Twahleiba – die Schlange, hergeleitet von den gräßlichentrigonocephalus, den Lanzenottern, die in großer Zahl die Insel bevölkerten – ersetzten die Spanier durch jenen des Heiligen von Compostela, denn die Inbesitznahme fiel auf den Vorabend seines Fests.Santiago de los Vientos Alicios hieß die Insel auf jenen frühen Seekarten, der Heilige Jakob der Passatwinde. (Auf englisch Saint James of the Trade Winds, was ihm bei den englischen Flibustiers, die im siebzehnten Jahrhundert die Buchten der Nordküste unsicher machten, den Namen»Jack of All Trades« einbrachte, und in Shanties, die heute kaum mehr zu hören sind,»Tradey Jack«.)

Der Name erscheint nur selten auf den alten spanischen Seekarten, die in den Archiven von Sevilla verwahrt sind, und noch seltener auf französischen oder englischen Karten der Zeit. Ohne jede Absicht verschworen Kartograph und Historiker sich, die Existenz der Insel zu verschweigen. Pater Labat legte nie dort an, und der einzige unter den frommen Chronisten, der sie erwähnt, ist ein nicht weiter bekannter Franziskaner aus Treviso, Pater Hieronymus Zancarol. Der Gottesmann läßt sich in kuriosem Lateinüber den Reichtum der Insel an Zuckerrohr, Rum, Melasse und Indigo aus, hat aberüber die Einwohner nicht viel Gutes zu sagen.Insula Sancti Jacobi, schreibt er,tantis opibus, tanta copia, tantaque pulchritudine ornata, sicut angulus coeli ipsius videtur, sed, ob mores improbos pravosque incolarum, ob jactanciam, luxuriam et gastrimargiam et Gallorum et nigrorum, insula Sancti Jacobi pessima insularum aliarum omnium justius, immo verum, angulum Gehennae putanda est;1 und das ist alles.

Die Spanier vernachlässigten die kleine Insel, und schließlich annektierte ein Chevalier namens Hippolyte-Hercule de Plessis aus einem illegitimen Zweig der Familie Richelieus sie für Frankreich. Plessis, nach dem die Hauptstadt ihren Namen erhielt, rottete die widerspenstigen Kariben aus, importierte die ersten afrikanischen Sklaven und warb und belehnte eine Schar mittelloser jüngerer Söhne der französischen Adelsfamilien aus Normandie, Bretagne, Gascogne und Vendée und kolonisierte mit ihnen die Insel; und auf seine bescheidene Art konnte es Saint-Jacques an Wohlstand bald mit Sainte-Domingue und Martinique aufnehmen. Im Siebenjährigen Krieg eroberte Rumbold mit seinen West Indian Light Fencibles die Insel, und bis zur Revolution wehte der Union Jacküber dem hübschen – von Sir Probyn Scudamore im palladianschen Stil erbauten und von Gouverneur Braithwaite erweiterten – kleinen Gouverneurspalast der Hauptstadt, die unter den neuen Herren Jamestown hieß. Zur Zeit des Konvents wurden die Engländer verjagt. Im Jahr des Terrors errichtete man eine Guillotine auf der Place Hercule, doch als die Klinge niederging und der Kopf des ersten Royalisten in den Korb rollte, stießen die schweigend zusehenden Schwarzen wie aus einer einzigen Kehle einen Entsetzensschrei aus. Sie durchbrachen die Kette der Wachposten und rissen den Apparat in Stücke, und nie wieder sah Saint-Jacques eine Guillotine.2 Nach einer Zeit des Aufruhrs wurde unter dem Konsulat die Ordnung wiederhergestellt, und von da an folgte Saint-Jacques des Alisés dem beschaulichen Kurs der anderen französischen Antilleninseln.

Anscheinend war die Insel nicht ganz so sehr vom Niedergang der Zuckerrohrplantagen nach der Sklavenbefreiung von’48 betroffen wie die größeren Nachbarn – vielleicht, weil sie so abgelegen war, vielleicht auch, weil die Herren dort besser mit ihren Schwarzen auskamen. Jedenfalls war um die Jahrhundertwende von dem sündigen Leben, das Zancarol so sehr erregte, nichts mehr zu spüren. Auf den andern Inseln des Archipels wußte man wenig von Saint-Jacques, und nur dann und wann kam ein Reisender, der von der sagenhaften Schönheit von Bergen und Wäldern gehört hatte, der Eleganz der alten Bauten, dem Charme der Einwohner und dem Einfallsreichtum, mit dem sie selbst aus dem kleinsten Anlaß ein ausgelassenes Fest zu feiern wußten. Offenbar war das geistige Leben auf Saint-Jacques durchaus rege. Die Werke von Aimable Bruno, dem Mulattendichter der Insel, sind leider nicht auf uns gekommen. Ebenso verloren sind die vielen Porträts, die Hubert Clamart (ein Schüler Liotards) von den Notablen der Insel malte und die viele Bürgerhäuser undöffentliche Gebäude von Plessis zierten. Bedenkt man all das, ist es merkwürdig, daß Lafcadio Hearn auf seinen Karibikreisen niemals nach Saint-Jacques gekommen ist. Wie wunderbar hätte er den längst verklungenen Rausch der jakobäischen Feste geschildert! Ohne ihn wissen wir leider nicht viel darüber. Was hingegen das Fehlen des Namens Saint-Jacques auf den Karten heutiger Atlanten angeht – ein paar Meilen windwärts von dem Meeresstrom, der zwischen Guadeloupe und Dominica fließt, und ein gutes Stück südöstlich von Marie-Galante, wo es wie eine Perle