: Michael Halbfas
: Heillos Ein Frauenarzt über das Paradox katholischer Krankenhäuser
: Publik-Forum Edition
: 9783880952676
: 1
: CHF 11.60
:
: Christliche Religionen
: German
: 128
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Michael Halbfas, war über 20 Jahre an einem katholischen Krankenhaus als Gynäkologe tätig. Infolge der Kölner Auseinandersetzungen um die 'Pille danach' gerät er in die Fallstricke der Sexualmoral und Heuchelei katholischer Krankenhausführung und scheidet aus der Klinik aus. In seiner persönlichen Geschichte spiegeln sich die Widersprüche und Psychopathologien von kirchlichen Trägern im Gesundheitswesen wider. Der Autor reflektiert diese und formuliert in der Folge Perspektiven und Anforderungen an die katholische Kirche.

Kirche und (medizinische) Welt


Notwendige Einmischungen aus Sicht eines katholischen Laien


Das moderne Krankenhauswesen fußt auf dezidiert christlichen Ursprüngen. Ausgangspunkt für die Medizin im Mittelalter war das Betroffensein vom Leid der anderen, das Mitleiden. Dies löste unter christlichem Vorzeichen entsprechendeÜberlegungen aus, wie geholfen werden könne. Die Anfänge solcher Bemühungen liegen in der Errichtung von Hospizen oder Altenheimen, die häufig Klöstern angeschlossen waren. Barmherzigkeit und existenziale Sorge waren dabei zweifellos die leitenden Themen der frühen Christenheit und insbesondere der rasch entstehenden Orden. Im deutschen Sprachraum entstanden die»Heilig-Geist-Spitäler«, in Frankreich die sogenannten»Hôtel-Dieus«. Schon in der Namensgebung wird deutlich, wie stark bei solchen Altenpflege- und Krankenversorgungseinrichtungen der Zusammenhang zwischen dem Krankendienst und der Einbindung der Patienten in Gottes Schöpfungs- und Heilsordnung gesehen wird. Die Patienten etwa im Hôtel-Dieu von Beaune (Burgund) wurden neben der Versorgung mit medizinischer Hilfe, die natürlich nur eingeschränkt und auf dem Niveau der Zeit erfolgen konnte, von einem jeden ihrer Betten aus konfrontiert mit eindrucksvollen und großformatigen Bildern der christlichen Heilsgeschichte. In der Konfrontation mit diesen Bildern und den dahinterliegenden Erzählungen und Botschaften wurde möglicherweise der wesentlichere Teil der Behandlung gesehen. Heilung wurde also in einem viel umfassenderen Sinne verstanden, als wir dies heutzutage gewohnt sind.

Dem modernen Bewusstsein ist ein so enger Zusammenhang zwischen Heil im umfassenden und religiösen Sinn und Heilung im medizinischen Sinn eher fremd geworden. Aber besonders angesichts lebensbedrohlicher Erkrankungen und der Endlichkeit alles Lebens kann auch die fortschrittlichste und profilierteste Medizin keine tragfähigen Antworten mehr anbieten. In solchen Situationen stellen sich insofern auch dem modernen Menschen– so er sie nicht von vornherein verdrängt– Fragen, die nur noch in einem religiösen oder metaphysischen Kontext beantwortet werden können. Er trifft in der Regel aber nicht mehr aufÄrzte oder sonstige Mitarbeiter im Gesundheitssektor, die ihre Arbeit in einem solchen Horizont sehen wollen oder können. Unabhängig von dieser Situation besteht dennoch sicherlich bei vielen die Erwartung, dass in Institutionen mit christlicher Trägerschaft noch am ehesten ein Sensorium für eine solche Dimension anzutreffen sei. Entsprechende Selbstbeschreibungen werden von christlichen bzw. katholischen Institutionen denn auch getroffen; man schaue sich nur die entsprechenden Homepages und Leitbilder an. Aber wie sehen diesbezüglich Anspruch und Wirklichkeit aus? Stellt die christliche Trägerschaft einer Einrichtung gegenüber an­deren Anbietern ein besonderes Qualitätskriterium dar? Wird Krankenversorgung hier anders betrieben als etwa in Institutionen mit privater oder kommunaler Trägerschaft? Bestehen in kirchlichen Einrichtungen andere Ansprüche des Arbeitgebers in Bezug auf den Umgang mit seinem Personal?

Auf der Basis der eigenen Erfahrungen und in Kenntnis der Verhältnisse in vielen anderen Kliniken kann zumindest sicherlich behauptet werden, dass vonÄrzten mit christlichem (bzw. katholischem) Selbstverständnis häufig eine enorme Kluft zwischen den von den entsprechenden Autoritäten aufgestellten Richtlinien und Ansprüchen einerseits und der Realität andererseits, mit der sie ihrenärztlichen Beruf ausüben, wahrgenommen wird. Wenn viele es aber dennoch als sinnvoll und wichtig erachten, an einer christlichen Grundierung der beruflichen Tätigkeit festzuhalten, wie kann dies umgesetzt werden? Solche Fragen sollen im Folgenden auf der Basis meiner konkret gemachten Erfahrungen entfaltet und– soweit das möglich erscheint– erste Hinweise auf vorstellbare Antworten gegeben werden.

Da meine eigene Herkunft katholischer Natur ist und meine Erfahrungen auch in diesem Kontext gemacht wurden, möchte ich mich im Weiteren in erster Linie mit der römisch-katholischen Kirche befassen, vieleÜberlegungen lassen sich aber auch auf die protestantische oder andere Kirchen erweitern.

Was bzw. wer ist Kirche?


»Wage es, dich deines Glaubens zu bedienen.«

Georg Schwikart in Anlehnung an Immanuel Kant

In der oben zitierten Erläuterung der Pressestelle des Erzbistums Köln heißt es:»Die Kirche muss aber in ihren Einschätzungen die wissenschaft­lichen Erkenntnisse immer berücksichtigen. […] Die Kirche kann dazu nur die moralischen Prinzipien erklären.«

Wer ist in diesen Sätzen das Subjekt? Nach dem Selbstverständnis der Verfasser ist es sich