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Paris, 31. Januar 1783.
»Hochverehrter Herr! Als ich Ihre Blätter mit den flüchtigen Aufzeichnungen der Hauptbegebenheiten Ihres Lebens, welche Ihr Freund, der Quäker, Ihnen wieder entlockt, durchlesen hatte, versprach ich Ihnen, in einem Briefe die Gründe darzulegen, warum ich es für nützlich erachten würde, daß dieselben in der Weise vollendet und veröffentlicht würden, wie er es wünschte. Verschiedene Geschäfte haben mich geraume Zeit an der Abfassung dieses Briefes verhindert, und ich weiß nicht, ob derselbeüberhaupt zu Erwartungen berechtigte. Da ich jedoch gegenwärtig gerade Muße habe, so will ich wenigstens mich selbst durch das Schreiben bethätigen und belehren. Weil aber die Ausdrücke, deren ich mich zu bedienen geneigt bin, möglicherweise einen Mann von Ihren Gewohnheiten verletzen könnten, so werde ich zu Ihnen nur so sprechen, wie wenn ich mich an irgend eine andere Person wenden würde, welche so gut und so groß, aber weniger mißtrauisch wäre als Sie. Ich würde zu einem solchen Manne sagen:›Geehrter Herr! Ich ersuche dringend um Ihre Lebensgeschichte, u. z. aus den folgenden Beweggründen: Ihre Geschichte ist so merkwürdig, daß, wenn Sie dieselbe nicht geben, gewiß irgend ein anderer sie bringen wird, und vielleicht so, daß er beinahe ebenso viel Schaden anrichtet, als Ihre eigene Behandlung der Sache Gutes stiften. könnte. Dieselbe wirdüberdem ein Gemälde der inneren Verhältnisse Ihres Vaterlandes darstellen, welches sehr dazu beitragen wird, Ansiedler von tugendhaftem und mannhaftem Geiste dorthin einzuladen. Auch kenne ich in Anbetracht der Begierde, womit eine derartige Belehrung von jenen aufgesucht wird, und der Ausdehnung Ihres guten Rufes keine wirksamere Ankündigung, als Ihre Lebensgeschichte abgeben würde. Alles, was Ihnen selbst begegnete, ist wiederum mit den Einzelheiten der Sitten und Lage eines emporkommenden Volkes innig verbunden. Nach meiner Ansicht können in dieser Beziehung die Schriften von Cäsar und Tacitus für einen ernsthaften Beurteiler menschlicher Natur und Gesellschaft nicht interessanter sein. Dies alles aber, geehrter Herr, sind, wie ich glaube, nur unbedeutende Gründe im Vergleich mit der Gelegenheit, welche Ihre Lebensgeschichte für die Heranbildung künftiger großer Männer, und in Verbindung mit Ihrer»Kunst der Tugend« (welche Sie herauszugeben beabsichtigen) für die Verbesserung der Züge des Privatcharakters und daher auch für die Förderung alles Glücks,öffentlichen und häuslichen, abgeben wird. Die beiden von mir bezeichneten Werke werden ganz besonders eine edle Anleitung und ein Vorbild zur Selbsterziehung geben. Schul- und sonstige Erziehung gehen beständig von falschen Grundsätzen aus und zeichnen einen schwerfälligen, auf ein falsches Ziel hingerichteten Apparat; allein Ihr Apparat ist einfach und das Ziel ein richtiges.– Während Eltern und junge Leute anderer zweckmäßiger Mittel zur Würdigung eines vernünftigen Lebensweges und zur Vorbereitung auf einen solchen entbehren müssen, wird Ihre Entdeckung, daß dieses Ziel in der eigenen Hand so manches Menschen liegt, eine unschätzbare sein! Ein in reiferen Jahren geltend gemachter Einfluß auf den Privatcharakter ist nicht allein ein später, sondern auch ein schwacher Einfluß. In der Jugend pflanzen wir unsere wichtigsten Gewohnheiten und Vorurteile; in der Jugend fassen wir unsern Entschluß in Bezug auf Beruf, Bestrebungen und Ehe. In der Jugend wird daher unserm Leben seine eigentümliche Richtung gegeben; in der Jugend bildet sich auch die Erziehung der nächsten Generation; in der Jugend wird deröffentliche und private Charakter bestimmt. Da nun der Lebenstermin sich nur von der Jugend bis zum Alter erstreckt, so muß das Leben füglich von der Jugend aus beginnen, und namentlich bevor wir unsern Beschluß in Betreff unserer hauptsächlichsten Ziele fassen. Aber Ihre Lebensgeschichte wird nicht bloß die Selbsterziehung, sondern auch die Erziehung zu einem weisen Manne lehren; und der weiseste Mann wird Licht empfangen und sich im eigenen Fortschreiten fördern, wenn er das Verfahren eines andern weisen Mannes eingehend geschildert sieht. Und warum sollen schwächere Menschen derartiger Unterstützungen beraubt werden, wenn wir doch sehen, daß unser Geschlecht seit unvordenklichen Zeiten beinahe ohne einen Führer in dieser Richtung im Dunklen tappte undüberall anstieß? Zeigen Sie also den Söhnen und den Vätern, mein Herr, wie viel zu thun ist, und laden Sie alle weisen Männer ein, zu werden wie Sie sind, und andere Männer, weise zu werden. Wenn wir sehen, wie grausam Staatsmänner und Krieger gegen das Menschengeschlecht, und wie abgeschmackt ausgezeichnete Männer gegen ihre Bekannten sein können, so wird es lehrreich sein, zu beobachten, wie die Beispiele von friedlichen, nachgiebigen Sitten sich vermehren, und zu finden, wie trefflich es sich mit einander verträgt, groß und doch häuslich, beneidenswert und doch wohlwollend zu sein.
›Die kleinen eigenen Erlebnisse, welche Sie ebenfalls zu erzählen haben werden, dürften von erheblichem Nutzen sein, da wir vor allen Dingen Klugheitsregeln in gewöhnlichen Angelegenheiten nötig haben, und es wird interessant sein zu sehen, wie Sie unter denselben Umständen gehandelt haben. Es wird in so weit eine Art Schlüssel zum Leben werden und viele Dinge erklären, welche allen Menschen einmal erläutert werden sollten, um denselben eine Möglichkeit zu geben, durch Vorsicht weise zu werden. Das, was der Selbsterfahrung am nächsten kommt, ist, daß wir die Angelegenheiten anderer uns in einer anregenden Gestalt vorgeführt sehen; dies dürfen wir mit Zuversicht aus Ihrer Feder erwarten; unsere Angelegenheiten und deren Führung werden ein Aussehen von Einfachheit oder Wichtigkeit haben, welches in die Au