1. Schlagt das Pfund im Erdenrund
Der Zweite Weltkrieg war kaum zwei Wochen alt, da versammelten sich die führenden Köpfe von Spionage und Finanzwesen des Nazireiches in einem getäfelten Konferenzsaal des Finanzministeriums in der Wilhelmstraße 61.[1] Seine Architektur war so prunkvoll und düster wie die all der anderen massiven Amtsgebäude mit den pseudoklassischen Fassaden ringsum. Während aber die meisten Fenster dort ein schweres Tympanon krönte, fehlte dem Finanzministerium, einem Bau aus den 1870er-Jahren, dieser Schmuck italienischer Medici-Paläste. Die Wilhelmstraße, Berlins Pennsylvania-Avenue und Whitehall zugleich, ist nach Friedrich Wilhelm I., dem Soldatenkönig, benannt, der sie erbauen ließ. Die meisten Menschen bringen ihren Namen aber mit einem der beiden Kaiser dieses Namens in Verbindung. Das Finanzministerium stand an ihrem südlichen Ende. Sie wurde von der Prinz-Albrecht-Straße gekreuzt, wo das riesige, säulenbewehrte, F-förmige Hauptquartier der Gestapo aufragte. Der Plan, der auf dem Konferenztisch des Ministeriums lag, war einfach: Man wollte Millionen gefälschter britischer Banknoten drucken,über den Straßen und Dächern Großbritanniens verstreuen und dann in aller Ruhe abwarten, bis die britische Wirtschaft kollabierte. Die Idee war nicht besonders originell. Derartige Pläne hatten schon auf den Schreibtischen von keinen Geringeren als Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill gelegen. Die Briten selbst hatten sich ihrer 150 Jahre zuvor gegen die Revolutionäre in Frankreich bedient, um die von jenen durch fleißiges Bedienen der Druckerpresse verursachte Inflation weiter anzuheizen. Und selbst Friedrich der Große, dieses Symbol rigorosen preußischen Offiziersgeistes, der den modernen deutschen Staat prägte, hatte bereits im 18. Jahrhundert Geld gefälscht, um seine Gegner zu schwächen. Aber all das waren Geschichten aus vorindustrieller Zeit. Angesichts der enormen Ressourcen und der gnadenlosen Effizienz von Hitlers Kriegsmaschinerie sollte es jetzt möglich sein, englische Banknoten in bislang in der Geschichte beispiellosen Mengen zu fälschen.
Es war durchaus denkbar, dass dieses Vorhaben der Nazis die Wirtschaft Großbritanniens und seines Empire zu ruinieren vermochte. Immerhin wurdeüber das Nervenzentrum der Londoner City sein gesamter weltweiter Handel abgewickelt, der den britischen Adel reich gemacht und seine Kriege finanziert hatte. Einzelheiten referierte Arthur Nebe[2], Chef der SS-kontrollierten Kriminalpolizei, Sohn eines Lehrers und ehrgeiziger, höchst anpassungsfähiger Beamter, der bisher bei den meisten Geheimaktionen der Nazibewegung mitgewirkt hatte. Nebe, der bereits vor Hitlers Machtantritt im Jahr 1933 der Nazipartei beitrat, war vor allem deshalb von Nutzen, weil er als Polizist die Unterwelt genau kannte. Einfallsreich und skrupellos, war er seinen Vorgesetzten stets zu Diensten. Nebe hatte Hitler geholfen, 1938 den Oberbefehlüber die Streitkräfte an sich zu reißen. Indem er Einzelheitenüber die Vergangenheit der neuen Frau des Kriegsministers Werner von Blomberg als Prostituierte lancierte, zwang er den alten Preußen zu einem unehrenhaften Abschied.[3] Er war der deutsche Vertreter in der Internationalen Kriminalpolizei-Kommission (IKPK), die später als Interpol bekannt wurde.[4] Sie war nach dem Ersten Weltkrieg gegründet worden, um Fälscher und Drogenschmugglerüber die Grenzen der europäischen Staaten hinweg verfolgen zu können. Als die Nazis inÖsterreich einmarschierten, rissen sie diese Institution kurzerhand an sich und verlegten die Zentrale samt den Aktenüber Fälle aus 15 Jahren von Wien nach Berlin.[5] Um der Empfindsamkeit des Sicherheitschefs des Reichs, Heinrich Himmler, entgegenzukommen, soll Nebe auch die auf einem Lkw montierte mobile Gaskammer für den Massenmord an den Juden Osteuropas entwickelt haben. Himmler hatte Nebe gestanden, er könne den Anblick der Erschießung von Menschen nicht ertragen, nicht einmal, wenn sie Juden seien.
Nebe schlug vor, die riesige Zahl professioneller Fälscher, die er in seinen Polizeiakten führte, für dieses Unternehmen zu mobilisieren.[6] Sein unmittelbarer Vorgesetzter war Reinhard Heydrich(zur Abbildung), Protegé von Himmler, dem Führer der Mördertruppe SS, die einmal als bewaffnete Miliz der Nazipartei gegründet worden war. Als Heydrich Neebs Vorschlag ablehnte, ließ er sich nicht etwa von rechtlichen Bedenken oder Polizistenmoral leiten. Er schloss die Benutzung von Akten der IKPK aus, weil er Deutschlands Kontrolleüber diese Organisation nicht gefährden wollte. Es war ihm wichtiger, das europaweite Netzwerk nutzen zu können, um Nazigegner und Juden aufzuspüren, denen die Flucht aus Deutschland gelungen war. Heydrich hoffte, sich bis zum amerikanischen FBI vortasten zu können, um Blankopässe der USA für künftige Fälschungen zu beschaffen. Das FBI hielt zwar Abstand zur IKPK, brach aber erst drei Tage vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 alle Kontakte zu ihr ab.[7]
Welche Skrupel Heydrich wegen der Nutzung von Nebes Verbrecherkartei auch gehabt haben mag, der Fälschungsplan selbst begeisterte ihn von Anfang an. Als Persönlichkeit so scharfsinnig wie grausam, las Heydrich leidenschaftlich gern Spionagegeschichten.[8] Dokumente zeichnete er mit einem großen C ab. Das mag er sich aus zeitgenössischen Spionageromanen abgeschaut haben, denn dies war die Codebezeichnung des damaligen Chefs des britischen Geheimdienstes.[9]
Heydrich führte Himmlers Reichssicherheitshauptamt (RSHA). Dort wurden umfangreiche Aktenüber Personen geführt, die man der Gegnerschaft gegen das Nazireich oder der Verbindung zu liberalen Kreisen verdächtigte, dazu natürlichüber die Juden, deren Vernichtung Heydrich plante und zunächst auchüberwachte. Sein Büro befand sich im Gebäude der Gestapo. Sein SS-Spionagenetz war ein ständiger Rivale der Abwehr, die es letzten Endes schluckte. Die Abwehr, ein militärischer Geheimdienst alten Stils, wurde von Admiral Wilhelm Canaris geleitet, der einst Erster Offizier auf dem Ausbildungsschiff gewesen war, wo Heydrich als Kadett gedient hatte.[10]
Im Unterschied zu dem menschenscheuen, kurzsichtigen Himmler war sich Heydrich seiner körperlichen Vorzüge voll bewusst. Er fuhr Ski, konnte ein Flugzeug steuern und nahm an Reitturnieren teil. I