: Elke Naters, Sven Lager
: Gebrauchsanweisung für Kapstadt und Südafrika 6. aktualisierte Auflage 2018
: Piper Verlag
: 9783492966313
: 1
: CHF 11.00
:
: Afrika
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Der Himmel weit, die Hoffnung groß und das Leben eine Herausforderung: Das ist Südafrika, eine bunt gemischte Nation mit elf offiziellen Sprachen. Die beiden Autoren zeigen uns alle Facetten: von Kapstadt über Durban, die Garden Route und verborgene Weintäler bis in die Kalahari-Wüste; von der Wild Coast über das subtropische Natal bis nach Pretoria und Johannesburg. Sie überwinden abenteuerliche Pässe, brettern über sandige Schotterpisten und gehen mit Brillenpinguinen baden. Sie suchen im Addo-Park nach Löwen, tauschen sich mit jungen afrikanischen Schriftstellern aus und erklären, was man unbedingt in einem Sammeltaxi zu beachten hat. Und sie verraten, warum Barfußlaufen hier so wichtig ist und was Fußball mit schwarzem Stolz zu tun hat.

Elke Naters, 1963 geboren, ist Romanautorin. Nach ihrem Debüt »Königinnen« erschienen von ihr u.?a. »Mau Mau«, »Justyna« und »Später Regen«. Sie gilt als wichtige Vertreterin der Popliteratur.
Ankommen Der Himmel weit, die Hoffnung groß und das Leben eine Herausforderung. Das ist Südafrika. Ein Land, das weniger durch seine Grenzen bestimmt wird als durch seinen Traum, besser gesagt, seine Träume. Sie widersprechen und sie ergänzen sich, sie regen auf, und sie machen die kreative Kraft aus, den Lebenshunger, der uns Europäer oft überrascht. In Südafrika zu landen bietet erst einmal keine großen Überraschungen. Nirgendwo Giraffen am Flughafen, kein Handgemenge und Gebrüll am Taxistand und auch keine Mamas, die mit schrillen Stimmen ein Willkommen ululelen. Weit aufregender ist es, wenn man aus Mosambik durch alte Minenfelder ins subtropische Natal fährt oder zu Fuß den Krüger-Nationalpark von Simbabwe aus zwischen Löwen und Elefanten durchquert. Was wir niemandem empfehlen. Das Einzige, was einem am Flughafen von Johannesburg oder Kapstadt auffällt, sind die vielen Gesichter eines modernen Landes, so unterschiedlich wie die Lebensgeschichten und Hoffnungen, die sich dahinter verbergen. Das blonde Mädchen mit den Sommersprossen, das im Zeitungsladen Magazine durchblättert, arbeitet als Lehrerin in einer Townshipschule und träumt von einer Zukunft für die Aids-Waisen in ihrer Klasse. Der dicke Taxifahrer mit dem Cappuccino-Becher und dem T-Shirt mit dem Aufdruck »?Bafana Bafana?« (?»?Unsere Jungs?«; Spitzname der südafrikanischen Nationalmannschaft?) ersehnt sich den Fußballweltmeistertitel und eine moderne Zulu-Stammesgesellschaft mit vielen Ehefrauen. Die ältere Dame in ihrem Souvenirshop hat die Vision von einer sozialistischen Solidarität der Arbeiterinnen und Desmond Tutu als nächstem Präsidenten des Landes. Und der deutschstämmige Pensionsbesitzer, der auf seine Gäste wartet, spart auf ein game reserve, einen privaten Wildpark in der Kalahari, in dem die Buschmänner wieder jagen können wie vor 10 000 Jahren. Ähnlich wie der müde Flugkapitän, der eben den Terminal verlässt und sich nach einer Woche London auf die Gottesnähe auf seiner Schaffarm in der Halbwüste Karoo freut. Der kapmalaiische DJ hingegen, der auf seinem Plattenkoffer schläft, ist weniger glücklich. Das muslimische Mädchen, von dem er träumt, darf er wahrscheinlich niemals heiraten, weil er nicht an Allah glaubt. Das Nebeneinander so vieler Welten kann verwirrend sein. Einer unserer ersten Nachbarn, ein Elektriker, hörte am Wochenende laut Pink Floyd, trank billigen Brandy mit Cola und erklärte uns, wie wichtig es sei, die fokin aliens aus der Landschaft zu verbannen. Wir dachten erst, er meinte Ausländer wie uns, aber er sprach von nicht einheimischen Pflanzen - und schnippte seine Kippen in unseren Garten. Das ältere Ehepaar gegenüber empfahl eine christliche Schule für unsere Kinder, in der sie noch den Hintern versohlt bekommen, und die Frau des Wäschereibesitzers nebenan brachte zur Begrüßung selbst gebackene Ingwerkekse, lehnte aber erschrocken ab, als Sven sie auf einen Tee einlud. Es dauerte eine Weile, bis klar wurde, dass ein verheirateter Mann allein zu Hause keine Frau einladen darf. Porceline, die massige Xhosa, die zum Putzen kam, störte das nicht, weil eigentlich jeder Mann eine wuchtige afrikanische Mama respektiert. Sie achtete eher darauf, dass wir ihr jedes Mal Eier und Speck servierten und die Cola mit Eiswürfel einschenkten. Denn?: wenn schon unterbezahlt, dann mit Stil. Die Inder vom Schlüsseldienst zwei Häuser weiter lernten wir nie kennen. Die flogen bei jeder Gelegenheit zu Verwandten nach Durban. Die kleine kecke Engländerin um die 70 dagegen lud sich gern selber ein und quatschte uns die Ohren voll mit Geschichten von ihrem Leben in den ehemaligen Kolonien, ihren Weltreisen, ihren Jahren im Köln der Nachkriegszeit und wie sie täglich Hunde im Township füttere. All diese Menschen sind eine Metapher für das Land am südlichen Ende Afrikas, in dem beinahe jeder ein Einwanderer ist, mit einem neuen oder einem alten Traum. Was Südafrika als Schmelztiegel vieler Kulturen von Amerika unterscheidet, ist das Nebeneinander. Amerika hat seine Einwanderer über Jahrhunderte, wenn auch mit Mühe, unter dem Glücksversprechen und dem Ideal des Vorortwohlstands vereint. Ähnliches passiert zwar auch in Südafrika, weil der Weg aus der Armut scheinbar nur über den Bankkredit, die Lohnarbeit und die Doppelgarage führt. Alle wollen Strom, ein großes Auto und einen Rasensprinkler, weil es den Unterprivilegierten als westliche Lösung vorgelebt wird. Aber die Identitäten sind zu stark, um sich unter solch banalem Ideal vereinen zu lassen. Der Anlageberater aus Pretoria fährt über die Weihnachtsferien in sein Heimatdorf, um an einer rituellen Beschneidung seiner Neffen teilzunehmen; der junge Jazzmusiker aus dem Township Manenberg versucht das Jetset-Leben des verschwundenen District Six in Kapstadt wiederzubeleben; und wir lieben das Dorfleben, wo Hunde und Katzen streunen, Kinder auf den Staubstraßen radeln oder mit alten Autoreifen spielen und man im Kramladen auf der Rückseite einer Cornflakes-Packung anschreiben lassen kann. Das Schöne ist, dass einem weder als Reisendem noch als Einwanderer zu viel Anpassung abverlangt wird. Woran auch, in einem Land mit so unterschiedlichen Kulturen und elf offiziellen Sprachen?? Im Gegenteil. Willkommen in einem Land, in dem jeder neugierig ist auf Besucher. Wo ein Lebenshunger herrscht, der einem, aus Europa kommend, völlig absurd erscheint. Hier schreit alles nach mehr Regen, mehr Fußball, mehr Gerechtigkeit, mehr Musik, mehr Lohn, mehr deutschem Bier und noch mehr Zusammensein mit Familie, Freunden, Fremden. Das ist der Reichtum eines sonst manchmal armen Landes. Man gehört zur Familie.   Die blutige Schulter der Sonne?: Weite Südafrika ist freundlich und leicht zu erkunden, und der Abenteuergeist der frühen afrikanischen und europäischen Siedler ist überall zu finden. Anders als in Europa gibt es keine Märchenschlösser, gotischen Kathedralen, Stierjagden oder malerische Grachten zu bestaunen. Das wahre Gesicht Südafrikas offenbart sich in seinen Menschen und Landschaften. Zwei Dinge erfährt der Reisende?: einen Sprung zurück in der Zeit. Und eine nie gekannte Weite. Der Sprung in die Vergangenheit führt in eine noch unverdorbene Natur und eine Wildheit, die Europa schon lange nicht mehr kennt. In Europa haben wir zwar den Vorteil von WiFi-Hotspots an jedem Kiosk und geteerten Fahrradwegen durch den einsamsten Wald, aber die Abenteuerplätze unserer Kindheit und die Rauheit anderer europäischer Länder, in die wir jedes Jahr gereist sind, finden wir oft nicht mehr wieder. Als wir uns für Südafrika entschieden, wollten wir, dass unsere Kinder die Ungezähmtheit und Unschuld der Natur kennenlernen, die wir seit unserer Kindheit vermissen. Wir wollten, dass sie Natur nicht als etwas definieren, das hinter einem Zaun lebt, sondern als das, was sie Jahrtausende für den Menschen war?: eine fast feindliche Lebenswelt, in der wir klein und verloren sind. All das vergeht, wir sehen es auch hier. Der 120 Kilometer lange Küstenabschnitt zwischen Kapstadt und Hermanus könnte wie in Spanien in wenigen Jahren eine einzige lang gezogene Siedlung sein, so wie Küstenorte um Durban immer näher zusammenrücken und einige der löchrigen Autobahnen für die Fußball-WM sattschwarzen Pisten gewichen sind. Alles wird vernünftiger. Sogar die »?Rauchen verboten?«-Schilder in Supermärkten verschwinden, weil selbst die hartnäckigsten Buren die Zeichen der Zeit lesen können. All das ist unaufhaltsam, aber Südafrika ist zum Glück groß und afrikanisch genug, dass die Überzivilisierung noch lange auf sich warten lassen wird. Die wahre Größe des Landes erfährt man auf seinen Straßen. Eine - oft karge - Weite, die einen süchtig macht wie Gottes Gegenwart, der hier ein wenig großzügiger war bei der Erschaffung der Welt. Zwischen wildem Meer, glühenden Felswänden und auf endloser roter Erde fühlt man sich als Mensch winzig. Plötzlich fällt einem auf, dass man auf dieser Regionalstraße seit einer Stunde keiner Menschenseele begegnet ist. Weder in einem Auto noch zu Fuß. Für uns Europäer ist es immer wieder unfassbar, wie unberührt Gegenden in Südafrika sind. Und das Schöne an dieser Unberührtheit der Schöpfung ist, dass man sie sieht. Was nützen einem 200 Quadratkilometer menschenleerer Urwald, wenn man nur einen Meter weit hineinsehen kann?? In Südafrika sieht man die Weite, man kann sie spüren, und sie fühlt sich eindeutig mächtig an. Und die gleichen Menschen, die die Erschließung Europas vorantreiben und über jeden Bach eine Brücke bauen, erholen sich von dieser Mühe in Südafrikas Weite, die zwar erschlossen, aber nicht gezähmt ist. Was die ersten Europäer an der afrikanischen Südspitze mehr auf dem Herzen hatten als Landeserkundung, war ihr Glaube. Bartolomeu Diaz errichtete 1488 das erste Kreuz in Mossel Bay, nachdem er den südlichsten Punkt Afrikas, Kap Agulhas, umfahren hatte. Das »?Kap der Nadeln?« wurde so genannt, weil um die Zeit seiner Entdeckung geografischer und magnetischer Nordpol identisch waren. Nicht einmal der Anblick des mythischen Meeresbergs, den die Portugiesen noch vor dem Kap Agulhas passiert hatten, hatte sie reizen können, dieses Land zu erkunden. Die Portugiesen kannten Hitze und Regenarmut schon von zu Hause und blieben daher lieber auf der Suche nach dem Seeweg nach Indien. Meeresberg nannten ihn die einheimischen Nomadenvölker, die San und die Khoikhoi (?oder kurz Khoi?), was oft zu Khoisan zusammengezogen wird. Auf seinem flachen Sandsteinplateau formen sich die Wolken, die der Meereswind Richtung Inland bläst, wie zu einem Tischtuch, das manchmal in fließend