: Dietmar Krug
: Diese Deutschen Warum man vor ihnen (fast) keine Angst haben muss
: Amalthea Signum Verlag GmbH
: 9783902862921
: 1
: CHF 8.90
:
: Erzählende Literatur
: German
: 240
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Das A bis Z deutschösterreichischer Frontlinien Wenn eine Kolumne Hunderte Leserbriefe, offene Proteste und zwei Auftritte im Fernsehen nach sich zieht, dann hat sie offenbar einen Nerv getroffen. Und wer könnte österreichische Leser besser provozieren als 'diese Deutschen', die inzwischen die größte Migrantengruppe in Österreich bilden? Sie begegnen einem überall, als Kellner im Wirtshaus ebenso wie als Kollegin auf der Arbeit. Und sie sind, gerade für österreichische Ohren, einfach unüberhörbar. Dietmar Krug erzählt, wie es einem Deutschen in Österreich so ergeht, in welch komische, ja skurrile Lagen ihn das ewige Wechselspiel aus Fremdheit und Nähe, Faszination und Befremdung immer wieder aufs Neue führt. Mit feinem Blick und scharfer Klinge lotet er Mentalitätsunterschiede aus, lauscht der Sprache nach - und verliert schon mal die Fassung, wenn er das Wort 'Córdoba' auch nur hört.

Dietmar Krug, Jahrgang 1963, geboren und aufgewachsen im Rheinland, Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in Aachen und Wien. Seit 1988 in Wien, seit 1998 als Journalist tätig, seit 2004 bei der Tageszeitung 'Die Presse', Autor von Theaterstücken und einem Roman. Seit 2010 schreibt er in der 'Presse am Sonntag' die wöchentliche Kolumne 'Diese Deutschen'.

3. Immer das Genaue!


Im Sprühnebel der Gründlichkeit


Eine Kindheitserinnerung: Unser Nachbar legt den Zeigefinger an die Lippen, um mich zu absoluter Stille zu mahnen. Er steht da wie ein Indianer auf der Jagd, nur hält er keinen Speer in der Hand, sondern einen Spaten. Mit dem zielt er auf einen kleinen Erdhaufen, der sich ganz leicht hebt und senkt. Ein heimtückischer Eindringling ist gerade im Begriff, sein unterirdisches Zerstörungswerk im Zierrasen zu verrichten. Und zack! Erwischt hat der Nachbar das Mistvieh nicht, darum wird er ihm das nächste Mal mit einer wirksameren Methode auf den Pelz rücken: mit Maulwurfgas…

Eine weitere Erinnerung: Mein Vater sieht aus wie ein Raumfahrer, er hat eine Atemschutzmaske vor dem Gesicht und eine große gelbe Plastikflasche auf dem Rücken. Er geht langsam am Rand unseres Grundstücks entlang und sprüht aus einem Schlauch eine Flüssigkeit in die Tannen. Kein Bäumchen lässt er aus, schließlich sollen sie alle von diesen hässlichen Flecken befreit werden, die unsichtbare Schädlinge angerichtet haben. Danach darf ich tagelang nicht in die Nähe der Tannen, aber in die Gefahr komme ich ohnehin nicht, denn für den gesamten Rasen rund ums Haus gilt: Betreten verboten! Damit ich nur ja nicht mit den blauen und roten Körnchen in Berührung komme, mit denen das Gras gedüngt ist. Man weiß ja nie.

Ja, so ein Einfamilienhaus war ständig von Getier bedroht, und das nicht nur im Garten. Im Inneren sorgte Muttern mit preußischer Hemdsärmligkeit und Chemie für frische Verhältnisse. Auf dem Klo roch es nach Fichtennadeln, im Wohnzimmer nach Raumspray und in der Küche ging es den Fliegen mit Gezisch an den Kragen. Einmal am Tag wurde Pucki, unser Wellensittich, samt Käfig in den Flur getragen und die Fliegen lagen bald darauf mit zappelnden Beinen auf dem Küchenboden. Dann noch kurz gelüftet und mit»Zewa wisch und weg«über Tisch und Arbeitsfläche. Man weiß ja nie.

Doch groß war die Empörung, wenn Muschi, unsere Katze (die hieß so!), hysterisch niesend und mit verklebten Augen von der Mäusejagd heimkehrte.»Diese Bauern!«, schimpfte dann die Mutter, und in der Tat konnte man vom Küchenfenster aus den Landmann auf dem Traktor beobachten, wie er mit angehängtem Fass das Kornfeld neben unserem Haus in Sprühnebel hüllte. Denn wer mag schon Klatschmohn im Brot?

Und dann gab es da noch diese Ameisen, die in der Einfahrt die Fugen zwischen den Waschbetonplatten zersetzten. Doch diese Tierchen bekamen es nicht mit der Chemie zu tun, für sie gab’s nur ein Bad im siedenden Wasser. Damit hatte Mutter den Beweis erbracht, dass in den Abgründen der deutschen Gründlichkeit so ziemlich alles gedeiht, sogar das zarte Pflänzchen derökologischen Schädlingsbekämpfung.

»80 Millionen Vollspießer!«


Fällt es eigentlich auch unter Rassismus, wenn man sich in einer Schimpforgieüber eine Bevölkerungsgruppe ergeht– und ihr selbst angehört? Ich meine so einen richtig unfairen, schamlosen Anfall, einen, den ich nie dulden würde, wenn ihn einÖsterreicher hätte.

Wir Deutschen sind ja ein reiselustiges Völkchen, auch ich bin gerne gerade im Süden unterwegs. Und da wir außerdem noch ziemlich zahlreich sind, ist, egal wo, die Wahrscheinlichkeit hoch, einen von uns als Sitz- oder Zimmernachbarn zu erwischen. Manchmal vernarren wir uns regelrecht in einen Ort, etwa in die Kanareninsel La Gomera. Schon in den Siebzigern tauchten dort die ersten deutschen Hippie