: Alek Popov
: Für Fortgeschrittene
: Residenz Verlag
: 9783701744718
: 1
: CHF 8.50
:
: Erzählende Literatur
: German
: 288
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein großer Spaß: Diese Geschichten triefen von schwarzem Humor und abgründigem Witz. Ein Mann stolpert eines Morgens über eine Annonce, in der jemand auf dem freien Markt, der in Bulgarien Einzug gehalten hat, seine Dienste als Scharfrichter anbietet. Der Mann ist neugierig und fünfzig US-Dollar sind schließlich nicht viel für eine einmalige Erfahrung - auch wenn es um das Leben geht. Viktorija wiederum kostet die Liebe den Kopf: Was als Romanze per E-Mail beginnt, endet in einer Schachtel im Kühlschrank ... Apropos: Was macht man in Bulgarien, wenn der Kühlschrank leer ist und der Hunger droht? Nicht weiter schlimm, solange es Opa noch gibt ... Wozu hat man schließlich eine Großfamilie? Wundern Sie sich nicht, in Bulgarien ist vieles anders, aber längst nicht alles verkehrt. Und genau davon handeln die Geschichten, die Alek Popov so wunderbar zu erzählen weiß und die dieses Buch versammelt. Wo bei anderen der Spaß aufhört, beginnt bei Alek Popov der Irrwitz. Er ist ein begnadeter Satiriker, scharfsinnig und unterhaltsam, ein Meister des Slapstick, der über den Abgründen tanzt. Das ist gnadenloser Humor: Humor für Fortgeschrittene.

Alek Popov, 1966 in Sofia geboren, studierte dort bulgarische Philologie und war u.a. als Kulturattaché der bulgarischen Botschaft in Großbritannien und Nordirland tätig. Er arbeitet als Schriftsteller und ist zudem Autor einer Reihe von Erzählungen, Drehbüchern und Hörspielen. Popovs Werk wurde in mehrere Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem 'Helicon' für das beste Prosawerk 2002, 'Mission: London' (Residenz Verlag 2006). Sein zweiter Roman,'Die Hunde fliegen tief' (Residenz Verlag 2008), stand wochenlang an der Spitze der bulgarischen Bestsellerlisten und erhielt 2007 den renommierten Elias-Canetti-Preis. Alek Popov lebt in Sofia.

WIE MAN SICH BETTET


Als ich letztes Jahr in London war, landete ich aus Gründen, die nicht allein mit mir zu tun haben, auf der Straße… Ich hatte keine große Wahl, also beschloss ich, unter einer der Themsebrücken zuübernachten. Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, und in meinem Rucksack hatte ich einen ganzen Liter Wodka, den ich in weiser Voraussicht im Duty-free-Shop am Flughafen in Bulgarien gekauft hatte.

Ich hatte außerdem zur Vorsicht einen dicken Wintermantel mitgenommen, der mir jetzt, wie ich dankbar feststellte, als Decke dienen konnte. Es gab keinen Grund, Trübsal zu blasen.

Um die Wahrheit zu sagen, ich halte mich nicht oft bei Einbruch der Dunkelheit an solchen Orten auf, deshalb war ich auf der Hut. Das kulturelle Umfeld, in dem ich gelandet war, hat seine Besonderheiten.Überall lagen Bierdosen herum, die Wände und Metallträger waren mit Graffitiübersät. Es roch ein wenig nach Fäkalien. Bald entdeckte ich, dass ich nicht alleine war… Der Mann hatte sein Biwak in einer der Nischen zwischen den Metallrippen aufgeschlagen. Er trug einen dichten, gescheckten Bart und war mächtig von Gestalt. Er war nicht alt, aber die Furchen auf seiner Stirn zeugten von einer ständigen gedanklichen Anstrengung, die ihn schneller hatte altern lassen. Er saß auf einer durchgescheuerten Matratze, das eine Bein untergeschlagen, die Schultern entspannt, und ließ seinen Blicküber den Fluss streifen.

– Hier wird nicht gepinkelt, hörte ich ihn mit deutlich schottischem Akzent sagen.

– Ich habe auch nicht die Absicht, hier zu pinkeln, entgegnete ich leicht gekränkt mit deutlich slawischem Akzent.

Ich machte es mir in der Nische nebenan bequem. Ich streckte mich auf meinem Wintermantel aus und holte den Wodka hervor. Ich hatte einen Plastikbecher aus dem Flugzeug mitgenommen, sodass ich mich gepflegt bedienen konnte. Und so trank ich Wodka Gorbatschow– weich und glatt im Geschmack, die Wellen plätscherten gegen die Brückenpfeiler, und weit entferntüber meinem Kopf zischten die Reifen der Autosüber den regennassen Asphalt. Sowie ich eingeschlummert war, empfing ich einen undeutlichen Reiz an den Rändern meiner Wahrnehmung. Ich ignorierte ihn, aber er drängte sich erneut in mein Bewusstsein… Es vergingen einige Sekunden, bis ich begriff, dass der Typ die Flasche mit sengenden, gierigen Blicken anstarrte. Solche Begehrlichkeiten sind gefährlich und ich bin nicht knauserig, also sagte ich zu ihm:

– Gib mir deinen Becher, Alter!

Ich hatteüberhaupt keine Lust, dass er mir den Flaschenhals einspeichelte– wer weiß, was alles in seinem Mund gedieh. Ich konnte nicht einmal blinzeln, schon hielt mir der Drecksack ein Colaglas unter die Nase, large size. Ich goss ihm ein paar Finger hoch ein, damit er Ruhe gab, aber er ließ sich neben mir nieder. Jetzt will er auch noch Gesellschaft, dachte ich mit wachsender Feindseligkeit, als mir sein Geruch in die Nase stach…

Ich erwartete, dass er zu schwatzen anfangen, mich mit der faden Prosa seines Lebens unterhalten würde, aber er schaute mich nicht weiter an. Er saß schweigsam da und trank aus seinem riesigen Glas. Mir ging ebenfalls mehr als genug im Kopf herum und ich brannte nicht darauf, meine Zunge zu wetzen. So verging beinahe eine Stunde. Der Verkehr auf der Brücke ließ allmählich nach, zwei Drittel vom Wodka waren dahin, und ich gewöhnte mich langsam an den Gestank meines Nachbarn. Ich fand sogar etwas Tröstliches in seiner Nähe… Ich machte Anstalten, ihm nachzuschenken, aber er zog sein Glas weg. Entschlossen erhob er sich und trat an den Rand der Plattform. Einige Sekunden stand er da und starrte ins schwarze Wasser hinunter. Dann sprang er.

Er sprang, verflucht!

Ein dumpfes Platsch, und das war’s. Ich hatte Glück, dass ich betrunken war und so langsam reagierte, denn