Die erste sexuelle Begegnung
Vor uns auf dem Gehsteig gehen schweigend zwei Männer. Es sind dieselben, die wir schon auf dem kleinen Platz gesehen haben, von dem aus wir dem jugendlichen Liebhaber gefolgt sind. Wohin sie wohl wollen? Und warum fällt zwischen ihnen nicht ein Wort? Der Junge hat ein Kindergesicht und ist vielleicht dreizehn Jahre alt. Trotzdem wird er einen gewaltigen Schritt ins Erwachsenenleben tun. Denn heute wird etwas passieren, woran er sich sein Leben lang erinnern wird. Er wird seine erste sexuelle Begegnung erleben.
Der Vater begleitet ihn, ein kräftiger Mann mit kleinen Augen. Die Haare hat er nach vorn gekämmt, um seine beginnende Glatze zu verdecken. Sie stechen nicht aus der Menge hervor, und doch sind sie ein seltsames Paar: Der Junge, angespannt und ein bisschenängstlich, stolpert fast vor sich hin, während die Schritte des selbstsicherenÄlteren auf dem Pflaster widerhallen. Eigentlich erinnert das Bild eher an den Gang zum Richtplatz: Ohne jede Hoffnung schwankt der Verdammte aufs Schafott zu, angetrieben von seinem Henker. Zumindest scheint der Junge sich so zu fühlen. Ohnehin hat es ein schüchterner Junge nicht leicht in einer Familie, in der der Mann die Rolle des Oberhaupts einnehmen soll. Wir können uns kaum vorstellen, wie viele gehemmte, sensible Knaben sich von dieser Vorstellung erdrückt fühlten, die sie sozusagen per definitionem zur Arroganz verpflichtete. In einer Macho-Kultur ist kein Raum für Schüchternheit oder Gefühl.
Offensichtlich sind die beiden am Ziel. Sie schlüpfen in eine enge Seitengasse im Herzen der Subura, des Rotlichtviertels Roms, wo sie einem Bordell zustreben. Der Vater hat es ausgesucht, da er dort selbst häufig zu Gast ist. Er hat ein ganz bestimmtes Freudenmädchen im Sinn, eine sinnliche Nubierin mit großen Augen, die seine Wünsche stets zu erfüllen wusste. Sie soll seinen Sohn in die Geheimnisse der körperlichen Liebe einführen. Und tatsächlich ist sie es auch, die den Vorhang vor der Bordelltür hebt und die beiden hereinlässt.
Sie hat die zwei schon von Weitem ausgemacht und den Mann erkannt. Die Hand des Vaters liegt im Nacken des Sohnes, er will ihn ermutigen. Und die Nubierin weiß sofort, worum es geht, auch wenn der Junge die väterliche Geste wohl eher als Joch erlebt, das ihn am Weglaufen hindert. Die Frau lächelt. Sie weiß, dass sie viel Geld bekommt, wenn sie ihre Arbeit gut macht.
Und so beugt sie sich weit vor, als sie den Vorhang zur Seite schiebt, um die beiden eintreten zu lassen. Der Anblick ihres großzügigen Dekolletés verfehlt seine Wirkung nicht. Die Blicke der beiden Männer bleiben daran hängen. Und schon dreht sie sich wieder weg. Der Vater wendet sich sofort an denleno (was eigentlich»Sklavenhändler« bedeutet, in diesem Fall aber»Kuppler«), dem das Etablissement gehört, und handelt mit ihm den Preis für diesen besonderen Fall aus. Während der Vater noch redet, macht derleno der Nubierin ein knappes Zeichen mit dem Kopf. Er deutet auf den Jungen und mit einer zweiten Bewegung auf eine freie Kammer im langen Flur.
Die Nubierin geht hüftenschwingend auf den Jungen zu. Ihre leichte, durchscheinende Tunika wellt sich bei jedem Schritt, als würde eine leichte Brise sie heben. Auch die Augen des Vaters zeichnen ihre Kurven begehrlich nach. Heftiges Verlangen leuchtet in seinen Augen auf. Er beißt sich auf die Lippen, als das junge Mädchen an ihn herantritt. Wie gut er diese Brüste kennt! Wenige Zentimeter vor ihm bleibt sie stehen. Der Mann saugt begierig ihren Duft ein, spürt ihren Atem auf seiner Haut. Er kann gar nicht anders, als sie leidenschaftlich zu begehren. Aber heute ist nicht sein Tag. Die junge Schwarze dreht sich um, wirft dem Mann einen letzten sinnlichen Blick zu und nimmt den Jungen dann an der Hand. Sie zieht ihn mit wiegenden Schritten in den langen Korridor, er folgt ihr, steif wie eine Holzpuppe. Er kann kaum noch atmen, seine Kehle ist wie ausgedörrt, das Herz scheint aus dem Hals springen zu wollen, so heftig schlägt es. Irgendwie wird ihmübel.
Das Bordell ist in düsteres Halbdunkel getaucht, da und dort erhellt vom Schein derÖllampen, die von der Decke baumeln. Je tiefer sie in den Korridor eintauchen, umso finsterer wird es. Und umso schärfer wird der Geruch: Das ewig verschlossene Haus hat die Ausdünstungen zahlreicher menschlicher Körper gleichsam aufgesogen. Sie kommen an vielen Kammern vorbei, in denen Sex gegen Geld geboten wird. Obwohl es noch früh ist und nur wenige Kunden da sind, klingen aus den Kammern allenthalben weibliche Seufzer und männliches Stöhnen. Hier, in diesen wenig heiligen Hallen, wird der Junge heute seine Unschuld verlieren.
Nun stehen die beiden vor dem Vorhang ihrer»Zelle«. Wie versteinert bleibt der Junge stehen. Er dreht sich um und wirft einen Blick zurück. Ganz hinten erkennt er seinen Vate