: Samuel R. Delany
: Karlheinz Schlögl
: Die Bewegung von Licht in Wasser
: Golkonda Verlag
: 9783944720241
: 1
: CHF 17.90
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 640
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
New York, Anfang der sechziger Jahre: Bob Dylan tingelt durch Greenwich Village und revolutioniert die Folkmusik, in der Reuben Gallery findet das erste Happening statt, und der Grafikdesigner Andy Warhol beschließt, sich der Kunst zu widmen. New York ist der aufregendste Ort der Welt. Im Sommer 1961 zieht der achtzehnjährige Samuel Delany mit der Dichterin Marilyn Hacker in ein Vierzimmerapartment auf der Lower East Side. Vier Jahre später beendet er seinen siebten Science-Fiction-Roman, Babel-17, der ihm den Nebula Award und eine Nominierung für den Hugo Award einbringt ? ein schwarzer Schriftsteller revolutioniert die Literatur. In seiner Autobiographie erzählt Delany von Hipstern und Junkies, schwulen Truckern und berühmten Dichtern, von der Entdeckung seiner Homosexualität und der Berufung als Autor. Dabei erkundet er in seinen Erinnerungen nicht nur eine Stadt und eine Zeit, in denen sich unser heutiges Welt- und Kunstverständnis entwickelt haben, sondern auch die Möglichkeiten und Grenzen des autobiographischen Schreibens selbst. Ein unwahrscheinliches Leben und ein großes Buch! 'Ich würde gerne in Samuel Delanys Bart wohnen. Dieser prächtige Bart hat viel gesehen, viel Leben absorbiert. Und sein Träger hat viel bewirkt, viel verändert, nicht zuletzt die Welt, in seinen genialen Romanen und Essays ? und in seiner Autobiographie, die das Mysterium eines vollständigen, wachen und verantwortungsvollen Menschen untersucht: der Weg seines Bewusstseins durch die Welt, das Netzwerk seiner Begierden und seine stille, innere Poesie.' Clemens J. Setz 'Samuel R. Delany ist nicht nur einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren seiner Generation, sondern überhaupt ein faszinierender Schriftsteller, der einen neuen Stil geschaffen hat.' Umberto Eco

Samuel R. Delany ist Autor und Literaturwissenschaftler. Sein Roman Dhalgren (1975) gehört zu den Klassikern der Science Fiction, und mit dem Nimmèrÿa-Zyklus (1979-1987) begründete er die postmoderne Fantasy-Literatur. 2010 war er Mitglied der fünfköpfigen Jury des National Book Award, des wichtigsten amerikanischen Buchpreises. Er schrieb zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Comics, Essays und Pornos ? aber keine Gedichte. Delany hat eine Professur an der Temple University in Philadelphia inne, wo er das ?Graduate Creative Writing Program? leitet.

Sätze: Eine Einleitung

Mein Vater war seit fast einem Jahr krank. Man hatte ihm bereits einen Lungenflügel entfernt. Aber nach einem Aufenthalt zu Hause – den er überwiegend damit verbrachte, sich im Bett klassische Musik auf WBAI-FM anzuhören (Penderecki, KodálysSonate für Cello solo), die ihm durch die Bank neu war und ihm große Freude machte, und im Morgenmantel und Pyjama an einigen geometrischen Gemälden von ausgestorbenen Stadtlandschaften zu arbeiten (er hatte immer malen wollen) – wurde er langsam schwächer. Bald schon hatte er starke Schmerzen. Gegen Ende September riefen wir einen Krankenwagen, der ihn ins Krankenhaus bringen sollte. Aber die Rettungsassistenten, die ihn im Flur in seinem dunklen Morgenmantel und dem bleichen Pyjama auf ihre Trage schnallten, waren zu grob. Sie rissen heftig an den Riemen über den dünnen Beinen, die er inzwischen kaum noch ausstrecken konnte, und nachdem er sie zweimal gebeten hatte, die Riemen zu lockern, begann er zu schreien: »Aufhören! Sie tun mir weh! Aufhören!« Meine Mutter stand mit zusammengepressten Lippen daneben, vollkommen reglos und zu gleichen Teilen nervös, beschämt und besorgt.

Mein Vater herrschte die beiden jungen Männer in den weißen Kitteln – der eine war schwarz, der andere weiß – an: »Raus!«

Eine Stunde später halfen mein erwachsener Cousin (den ich Brother nannte) und ich ihm über den Flur in den Fahrstuhl und nach draußen ins Auto. Dann fuhren wir ihn rüber ins Krankenhaus. Bei jedem Schlagloch auf den holprigen Harlemer Straßen keuchte oder stöhnte er auf. Furcht und Erschöpfung hatten ihre Spuren hinterlassen. Er musste vor Schmerz weinen, als er sich in seinem schlecht sitzenden weißen Kittel für die Röntgenuntersuchung auf den kalten, schwarzen Tisch legen sollte. Ich hielt ihm die Hand. (»Ich falle bestimmt runter. Ich falle ...! Halt mich fest. Ich falle.« »Nein, Dad, tust du nicht. Ich hab dich schon. Du bist in Sicherheit.« »Ich falle ...!« Tränen strömten ihm über die knochigen Wangen. »Es ist so kalt.«) Als ich mit ihm in seinem Zimmer saß, hatte er Schwierigkeiten, in die Emaille-Bettpfanne zu urinieren, und er flüsterte leise wie fließendes Wasser, um sein eigenes Wasser zum Fließen zu bringen.

Den größten Teil meines Lebens hätte ich Ihnen, wenn die Sprache darauf kam, einfach gesagt: »Mein Vater starb 1958 an Lungenkrebs, als ich siebzehn war.«

Hinter diesem Satz verbirgt sich auch die Erinnerung an eine Unterhaltung mit meiner älteren Cousine Barbara, die bei uns zu Besuch war. Sie war Ärztin. Ich sagte: »Ich denke mal, es wird wohl ganz schön lange dauern, bis er wieder gesund ist.«

Vorsichtig stellte Barbara die Teetasse auf die Glasplatte des Rattantisches. »Er wird nicht wieder gesund«, sagte sie. Und dann fügte sie sehr behutsam hinzu: »Er wird sterben.«

Das war natürlich die Wahrheit, und natürlich wusste ich das auch.

Es war außerdem das Gütigste, was sie hätte sagen können.

»Wie lange noch?«, fragte ich.

»Das kann man nicht mit Sicherheit sagen«, antwortete sie. »Zwei bis drei Wochen. Zwei bis drei Monate.«

Später ging ich nach unten, um Mr. Jackson einen Besuch abzustatten.

»Ist Jesse da?«, fragte ich seine Frau.

»Klar.« Ann war eine kleine Frau mit Brille und peinlich genau frisiertem Haar. »Er ist hinten.« Sie trat beiseite. »Geh einfach durch.«

Jesse saß in dem Zimmer, das ihm als Büro diente, umgeben von Bücherregalen, die vom Boden bis zur Decke reichten. Gerahmte Illustrationen aus seinen Jugendbüchern über schwarze Kinder im Mittleren Westen sahen auf uns herab, während ich berichtete, was Barbara gesagt hatte. Seine Haut hatte die Farbe von Teakholz. Sein Haar war kurz und grau. Irgendwie hatte er es geschafft, meinem Vater und mir gleich nahe zu sein, eine außergewöhnliche Leistung, hatten Dad und ich doch oft genug im Clinch gelegen.

»Ja.« Jesse legte die Pfeife behutsam auf den Tisch, ein Echo von Barbara mit ihrer Tasse. »Das stimmt wahrscheinlich.«

Er gestattete es mir, geschlagene zwanzig Minuten einfach dazusitzen, ohne noch irgendetwas zu sagen, während er in seinem Büro herumwirtschaftete, bevor ich wieder nach oben in unsere Wohnung ging.

Eine schwere Handvoll Tage danach, früh an einem Oktobernachmitta