: André Uzulis
: Die Bundeswehr Eine politische Geschichte von 1955 bis heute
: E.S. Mittler& Sohn
: 9783813210101
: 1
: CHF 8.90
:
: Zeitgeschichte (1945 bis 1989)
: German
: 204
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Am 12. November 1955 - dem 200. Geburtstag des preußischen Heeresreformers Gerhard von Scharnhorst - erhielten die ersten 101 Soldaten der Bundeswehr in einer Garage in Bonn ihre Ernennungsurkunden. Die Soldaten steckten noch in umgeschneiderten amerikanischen Uniformen. Im Geiste Scharnhorsts sollten sie gemeinsam mit ihren rund 495.000 Kameraden, die im Kalten Krieg hinzukamen, in den nächsten Jahrzehnten als Bürger in Uniform für ihre Heimat eintreten. Die Bundeswehr alter Prägung mit dem Auftrag der grenznahen Verteidigung ist inzwischen zu einer modernen Kriseninterventionsarmee geworden. Die Bundesrepublik Deutschland stellt 50 Jahre nach Gründung ihrer Armee das zweitgrößte militärische Kontingent bei internationalen Missionen - nach den Vereinigten Staaten. Nie zuvor war eine deutsche Armee so erfolgreich in der Bewahrung des Friedens, so tief verwurzelt in der Demokratie, so anerkannt von den Nachbarn und so akzeptiert von der Bevölkerung. Die Bundeswehr - eine Erfolgsgeschichte? Diese Frage versucht dieses Buch zu beantworten. Es zeichnet eine Entwicklung einer ganz besonderen Armee nach. Und es erzählt von den Geschichten hinter der Geschichte - informativ und faktenreich.'

André Uzulis ist Mitglied der Chefredaktion und Auslandschef bei der Nachrichtenagentur dapd in Berlin und Frankfurt/M.

Deutschland unbewaffnet (1945–1955)

Vorgeschichte der Bundeswehr

Als am 23. Mai 1949 die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde, dachte niemand daran, eine Streitmacht aufzustellen. Nach den Erfahrungen des erst vier Jahre zurückliegenden Zweiten Weltkrieges schien es unmöglich, dass Deutsche wieder eine Uniform anziehen und Waffen in die Hand nehmen könnten. Die mehr als 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges mahnten, dass von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen dürfte. Alleine fast 8 Millionen Deutsche waren durch Krieg und Vertreibung umgekommen. Noch lag Mitteleuropa in weiten Teilen in Trümmern. Vor allem in Deutschland waren dieäußeren Spuren der Zerstörung sichtbar. Es gab kaum eine Familie, die keinen Verlust zu beklagen hatte. Deutsche Kriegsgefangene saßen in sowjetischen Lagern. Deutsches Militärmaterial gab es nicht mehr. Im Jalta-Abkommen vom 11. Februar 1945 hatten Churchill, Roosevelt und Stalin vorgesehen,»alle deutschen bewaffneten Kräfte zu entwaffnen und aufzulösen, für alle Zeit den deutschen Generalstab zu zerbrechen, die deutsche militärische Ausrüstung entweder wegzunehmen oder zu zerstören, die gesamte deutsche Industrie, die für militärische Zwecke gebraucht werden könnte, zu beseitigen oder unter Kontrolle zu stellen«. Nach der bedingungslosen Kapitulation setzte das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 die Ziele von Jalta um.

In Europa waren 1949 immer noch rund 880.000 Soldaten alleine der West-Alliierten stationiert– gegenüber 1945 war das eine Reduzierung um immerhin mehr als 4 Millionen. Die Sowjetunion hatte ihre Rote Armee indessen nicht verkleinert; sie behielt auch vier Jahre nach der Kapitulation des Deutschen Reiches eine Kriegsstärke von rund 4 Millionen Mann bei und ließ außerdem ihre Rüstungsindustrie weiter in vollem Umfang produzieren. Bis zum Ende der 50er Jahre schätzten amerikanische und bundesdeutsche Stellen in ihren Lagebeurteilungen die Zahl der sowjetischen Divisionen auf 175 bis 180, wasüber das Verteidigungsbedürfnis der Sowjetunion weit hinausging und ein beträchtliches Bedrohungspotenzial darstellte. Auf westlicher Seite wurde stets die Möglichkeit eines sowjetischen Angriffs aus dem Stand heraus angenommen.

Die Weltkriegskoalition zwischen den Westmächten und der UdSSR war schon bald an ihren inneren und ideologischen Widersprüchen zerbrochen. Moskau zeigte mit der Berlin-Blockade 1948/49, zu welch gefährlicher Konfrontation es bereit war. Kommunistische Unterdrückung und Expansion sowie die bis weit nach Mitteleuropa reichende sowjetische Militärmaschinerie bereiteten den westlichen Staaten zunehmend Sorge. Eine neue bipolare Weltordnung zeichnete sich ab, und ein nicht erklärter Kalter Krieg zwischen West und Ost zog herauf, in dem Deutschland eine Schlüsselrolle spielen würde.

Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte bereits in seiner ersten Grundsatzrede als Vorsitzender der CDU am 24. März 1946 festgestellt, dass Staat und Macht untrennbar verbunden seien und dass sich diese Macht am»sinnfälligsten und eindrucksvollsten« im Heer zeige. Er wies aber auch darauf hin, dass in Deutschland der nationalsozialistische und militaristische Geist ausgemerzt werden müsse, wobei er unterstrich, dass Soldaten, die»in anständiger Weise ihre Pflicht erfüllt hatten«, für ihn keine Militaristen seien. In seiner ersten Regierungserklärung am 20. September 1949 betonte Adenauer, dass er die Bundesrepublik so schnell wie möglich in die westliche Welt integrieren und ihr militärische Sicherheit und internationale Handlungsfähigkeit verschaffen wolle.

In der Operationsabteilung der US-Army gab es 1947 erste interneÜberlegungen zur Einbeziehung Spaniens und Deutschlands in ein westeuropäisches Sicherheitssystem. Auch US-Präsident Harry S. Truman sah es bald als eine prinzipielle Möglichkeit, deutsche Truppen in eine amerikanisch-westeuropäische Verteidigungsorganisation einzubeziehen. Ihm war klar, dass eine mögliche militärische Konfrontation mit der Sowjetunion in Europa ohne einen substanziellen Beitrag Westdeutschlands nicht zu bestehen wäre. Auch britischeÜberlegungen wiesen in diese Richtung. Gleichwohl betonten die Alliierten in offiziellen Stellungnahmen, dass sie gewillt seien, ihre Entmilitarisierungspolitik in Deutschland fortzusetzen. Hinter verschlossenen Türen jedoch gingen die Gedanken weitüber die Tagespolitik hinaus.

Für Adenauer bedeutete der insgeheime Sinneswandel der Westalliierten die Gunst der Stunde: Er nutzte die Chance, umüber die Aufstellung von Streitkräften der Bundesrepublik zu dem angestrebten größeren Gewicht in der internationalen Politik zu verhelfen. Dabei kam es ihm, der nie Soldat gewesen ist und dem alles Militärische fremd war, nicht auf die Streitkräfte an sich an. Für ihn war ein militärisch starkes, geschlossen agierendes westliches Bündnis mit deutscher Beteiligung– wie immer diese aussehen mochte– wichtig. Doch noch war die Zeit nicht reif, in dieser Frage konkrete Angebote zu machen. Ja, es war fraglich, ob die deutsche Politiküberhaupt Angebote machensollte– zu heikel war das Thema, zu emotional aufgeladen.

Das erste frühe Nachdenkenüber einen deutschen Verteidigungsbeitrag in Deut