: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus Autobiographischer Roman: Das Leben in einem sibirischen Gefängnislager anhand eigener Erfahrungen während der Zeit Verbannung von 1849 bis 1853
: e-artnow
: 9788026805298
: 2
: CHF 1.60
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: Regional- und Ländergeschichte
: German
: 878
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Dieses eBook: 'Aufzeichnungen aus einem Totenhaus' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Aufzeichnungen aus einem Totenhaus ist eine Prosaarbeit von Fjodor Michailowitsch Dostojewski, an der er seit 1856 gearbeitet hatte und die im Jahre 1860 veröffentlicht wurde. Aufgrund seiner losen Form wird das Werk - trotz seines großen Umfangs - nicht als Roman eingestuft. Dostojewski schildert darin präzise und authentisch in einer losen Folge von Szenen und Beschreibungen das Leben in einem sibirischen Gefängnislager anhand eigener Erfahrungen während der Zeit seiner Verbannung (Katorga) von 1849 bis 1853. Die Aufzeichnungen werden verfasst vom fiktiven Insassen Alexánder Petrówitsch Gorjántschikow, der wegen des Mordes an seiner Frau deportiert und zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt wurde. Aufgrund seiner adligen Herkunft erfährt er anfangs Schikanen nicht nur durch das Gefängnispersonal, sondern auch durch seine Mitgefangenen aus niedrigeren Schichten, lebt sich während seiner Haft aber mehr und mehr in die Gemeinschaft ein. Dostojewski porträtiert in dem Buch alle Gestalten des Lagers. Von den teils grausamen Offizieren bis zu den in der Gefängnishierarchie tief unten stehenden Polen, über die Schmuggler bis selbst zu den Hunden bildet er alle Typen des Lagers ab und konfrontiert ihre Charaktere in der isolierten Lagersituation fast wie in einem Versuchsaufbau. Seine Kritik gilt sinnlosen und entwürdigenden Maßnahmen wie der Fesselung Schwerkranker und verweigerter Hygiene, aber auch der Stigmatisierung der Sträflinge und ihrer unterschiedslosen Behandlung, die weichere und geistig bedürftigere Gefangene ungleich schwerer trifft.

Erster Teil



I


Das tote Haus


Unser Zuchthaus lag am Rande der Festung, dicht am Festungswall. Wenn man zuweilen einen Blick durch die Spalten im Zaune auf die Welt Gottes warf, – ob man nicht etwas von ihr sehen könne, – so sah man nur ein Stückchen Himmel und den hohen, von Unkraut überwucherten Festungswall, auf dem Tag und Nacht Wachtposten auf und ab gingen; und man dachte sich dann: es werden noch ganze Jahre vergehen, und wenn man wieder einmal einen Blick durch eine Spalte im Zaune wirft, wird man den gleichen Wall, die gleichen Wachtposten und das gleiche Stückchen Himmel sehen, nicht den Himmel, der über dem Zuchthause ist, sondern einen anderen, freien, fernen Himmel. Man denke sich einen großen Hof, zweihundert Schritt lang und hundertfünfzig Schritt breit, von allen Seiten von einem hohen Palisadenzaun in Form eines unregelmäßigen Sechseckes umgeben, d.h. von einem Zaun aus hohen, senkrechten, tief in die Erde eingegrabenen, mit den Kanten fest zusammengefügten, durch Querbalken verstärkten und oben zugespitzten Pfählen; das ist die äußere Umzäunung des Zuchthauses. An der einen Seite dieser Umzäunung ist ein festes Tor angebracht, das immer verschlossen ist und Tag und Nacht von Posten bewacht wird; es wird nur auf besonderen Befehl geöffnet, um die Sträflinge zur Arbeit hinauszulassen. Hinter diesem Tore lag die helle freie Welt, wo Menschen wie Menschen lebten. Aber diesseits der Umzäunung stellte man sich jene Welt als ein unerfüllbares Märchen vor. Hier war eine eigene Welt, die keiner anderen ähnlich sah; hier waren eigene Gesetze, eine eigene Tracht, eigene Sitten und Gebräuche, ein Haus für lebende Tote, ein Leben, wie sonst nirgends, und eigene Menschen. Diesen eigentümlichen Winkel will ich nun beschreiben.

Wenn man in die Umzäunung tritt, so erblickt man innerhalb derselben mehrere Gebäude. Zu beiden Seiten des breiten Innenhofes ziehen sich zwei lange einstöckige aus runden Balken erbaute Flügel hin. Das sind die Kasernen. In ihnen leben die Sträflinge nach Kategorien verteilt. In der Tiefe des Hofes liegt noch ein drittes Haus, ebenfalls aus runden Balken: es ist die in zwei Betriebe geteilte Küche; weiter liegt noch ein Gebäude, das unter demselben Dache die Keller, Speicher und Schuppen vereinigt. Die Mitte des Hofes ist leer und bildet einen ebenen, ziemlich geräumigen Platz. Hier stellen sich die Sträflinge in Reih und Glied auf, hier findet morgens, mittags und abends die Kontrolle und der Appell statt, manchmal sogar noch einigemal am Tage, je nach der Gewissenhaftigkeit der Wache und deren Geschicklichkeit im raschen Zählen. Ringsum zwischen den Gebäuden und dem Zaune bleibt noch ein ziemlich großer freier Raum. Hier, hinter den Gebäuden, pflegen diejenigen Sträflinge, die besonders scheu und düster sind, in der arbeitsfreien Zeit, von allen Blicken geschützt, auf und ab zu wandern und ihren Gedanken nachzugehen. Wenn ich ihnen bei ihren Spaziergängen begegnete, betrachtete ich gerne ihre finsteren, gebrandmarkten Gesichter un