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Als er am Morgen erwachte, verspürte Krebs einen Bärenhunger. Die Sonne schien in das Zimmer und ließ es freundlich und nicht ganz so altmodisch erscheinen wie im Licht der orangefarbenen Lampen. Krebs duschte ausgiebig und begab sich erfrischt und ausgeschlafen in den Gastraum, wo ihn die Bedienung vom vorherigen Abend begrüßte.
Er aß drei der außergewöhnlich knusprigen Brötchen und genoss den aromatischen Kaffee, dessen Duft ihm schon auf der Treppe entgegengedrungen war. Dann fiel ihm ein, dass er ja Lux wegen eines neuen Termins anrufen sollte. Sein Mobiltelefon funktionierte jedoch immer noch nicht.
»Sagen Sie, haben Sie hier auch keinen Empfang?«, fragte er die Bedienung, als sie ihm Kaffee nachschenkte.
»Ich habe nicht mal ein Handy«, gestand sie.»Wozu auch? Sie werden in der ganzen Stadt kein Netz bekommen. Wir sind, was das betrifft, leider vollkommen von der Außenwelt abgeschnitten.«
»Ist denn schon mal jemand auf den Gedanken gekommen, auf einem der umliegenden Hügel eine Sendeanlage zu installieren?«
»Ich denke, es hat mehrere Versuche gegeben. Sie dürften am Widerstand des Grafen gescheitert sein. Ihm gehören sämtliche Ländereien rund um Mahringen, und er mag derartige technische Neuerungen nicht.«
»Dieser Graf… Wie wahrscheinlich ist es eigentlich, dass man ihn trifft? Ich meine… Sie haben seine Burg ja gleich vor der Haustür…«
»Ein Schloss, keine Burg!«, warf sie lachend ein.»Es ist viele Jahrhunderte her, dass anstelle des jetzigen Schlosses eine trutzige Burg stand. Das ist der Teil, der heute noch privat genutzt wird. Der vordere Bereich, den Sie von hier aus sehen, entstand viel später.« Sie hielt inne und schien nachzudenken.»Um aber auf Ihre Frage zurückzukommen… Nein, ich selbst bin dem Grafen noch nicht begegnet. Er lebt jetzt sehr zurückgezogen, aber dieälteren Mahringer erinnern sich noch recht gut an ihn.«
»Nun gut, ich werde ihn wohl auch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich reise heute ab.«
»Oje, das habe ich ja vollkommen vergessen!« Sie legte die Hand vor den Mund.»Es hat jemand für Sie angerufen… eine Frau. Es ging um einen geschäftlichen Termin. Ich habe den Namen der Firma leider nicht verstanden.«
»Was hat sie gesagt?« Krebs konnte nicht verstehen, wie man etwas derart Wichtiges vergessen konnte.
»Warten Sie, ich habe es mir notiert.«
Immerhin das, knurrte er in Gedanken und blickte ihr hinterher, als sie zur Rezeption stöckelte.
Sie kehrte umgehend zurück.
»Sie hat den heutigen Termin abgesagt. Der Direktor fühle sich noch nicht gut und werde sich bei Ihnen melden, sobald es ihm besser gehe.«
»Das ist ja…«, Krebs verspürte Zorn in sich aufsteigen. Immerhin hatte Lux um dieses Treffen gebeten und ihm versichert, dass es um eine wichtige Angelegenheit gehe. Krebs hatte die Unannehmlichkeit der weiten Anreise auf sich genommen. Gut, daran, dass er vom Weg abgekommen war, trug Lux keine Schuld, aber…
»Er lässt sich entschuldigen«, fuhr die Bedienung fort,»und bittet Sie, sich bis morgen zu gedulden. Die Ihnen entstehenden Kosten einschließlich der Hotelrechnungübernehme er selbstverständlich.«
Gut, das war ein Wort! Krebs lehnte sich zurück und ließ seinen Blicküber den Schlossplatz schweifen, auf dem sein Wagen nun alleine stand.
Es versprach ein sonniger Tag zu werden. Vielleicht würde er sich erst einmal in eines der Cafés im Ort setzen. Jedenfalls wollte er das Beste aus der Situation machen.
Erschien ihm Mahringen mit seinen engen Gassen, den kleinen, versteckten Parks und verwinkelten Wehranlagen anfangs noch wie ein Labyrinth, so durchschaute er doch recht bald das System, nach dem die Stadt errichtet worden war. Ausgehend vom Schloss war Mahringen im Laufe der Jahrhunderte gewachsen, so hatten sich zuerst die Alt- und dann die sogenannte Neustadt gebildet, die Ende des fünfzehnten Jahrhunderts mit einer mächtigen Befestigungsanlage umgeben worden waren.
Im Schatten eines hoch aufragenden Hauses mit ungewöhnlichem Sägezahngiebel entdeckte er ein winziges Geschäft. Es handelte sich um ein Antiquariat. Ein Großteil des Sortiments schien aus Büchern zu bestehen, von denen viele recht alt und zumindest auf den ersten Blick interessant schienen. Als Krebs genauer hinsah, stellte er fest, dass es sich um medizinische und wissenschaftliche Nachschlagewerke handelte. Dennoch konnte er der Versuchung nicht widerstehen und betrat den Laden, begleitet von dem leisen Klingen eines Glockenspiels.
Es war, als trete er in eine andere Zeit ein. Die Einrichtung des Geschäfts war auf angenehme Weise altertümlich. Der Geruch der Bücher mischte sich mit dem Duft würzigen Pfeifentabaks. Hinter einem Arbeitstisch, auf dem Kartonagen, Kleber und Stifte ausgebreitet lagen, saß ein Mann, der nur kurz aufblickte, als Krebs eintrat. Er konzentrierte sich darauf, einen Bucheinband auszubessern und gleichzeitig die Bruyèrepfeife in Gang zu halten, die in seinem Mundwinkel stak.
Unverantwortlich, hier zu rauchen, dachte Krebs. Auf sein deutlich vernehmliches»Guten Morgen!« erhielt er als Antwort nur ein mürrisches Brummen.
Krebs schaute sich in dem Laden um. Wie so oft, wenn er solche Gesch