: Vincent Voss
: Uwe Voehl
: Horror Factory - Ich bin böse!
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783838750033
: Horror Factory
: 1
: CHF 1.40
:
: Horror
: German
: 80
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

HORROR FACTORY: Neue Horror-Geschichten. Deutsche Autoren. Digitale Originalausgaben. Das ganze Spektrum des Phantastischen. Von Gothic bis Dark Fantasy. Vampire, Zombies, Serienmörder und das Grauen, das in der menschlichen Seele wohnt. Erscheint monatlich. Jeder Band in sich abgeschlossen. Altes idyllisches Bauernhaus auf dem Land zu verkaufen. Aber hüten Sie sich vor dem, was im Brunnen auf Sie lauert! Sabine und Robert glauben, das große Los gezogen zu haben, als sie auf den Kreuziger-Hof ziehen. Doch dann passiert Unheimliches: Wer ist die kleine Marie, mit der ihr kleiner Sohn sich unterhält und die nur er sehen kann? Und was hat es mit dem unheimlichen Fliegenmann auf sich? Von wem stammen die Schritte, die Sabine nachts im Haus hört? In ihrer Not wendet sich Sabine an das 'Hexenarchiv', einer speziellen Abteilung im ethnologischen Institut Hamburg. Doch das Böse ist bereits erwacht. Und es folgt ihr auf Schritt und Tritt...

»Ich bin böse.« Die Frauenstimme explodiert flüsternd im Hörer. Kontrolliert, emotionslos, und doch hört man den Kampf heraus, den dieser Schritt für sie bedeutet hat.

So wenden sich viele an Johanna, doch selten sind sie so direkt. Und noch seltener so… kühl.

»Johanna Ebeling, Hexenarchiv, ethnologisches Institut Hamburg, guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt Johanna. Schafft Vertrauen, Seriosität.

Eine Pause entsteht.

Johanna hört am anderen Ende ein Atmen und sieht ihren Arbeitskollegen Henning hinter den Bücherregalen hervorschauen. Anrufe sind immer noch etwas Besonderes, auch wenn sie längst keine Seltenheit mehr sind.

»Ich bin böse. Kann ich vorbeikommen?«Ängstlich und fordernd zugleich. Und wieder spürt Johanna die innere Zerrissenheit in der fremden Stimme. Wie gehetzt. Vielleicht liegt, wie so oft, doch nur eine psychische Erkrankung dem Anruf zugrunde.

»Gerne können Sie das. Wir haben immer Dienstag und Donnerstag von acht bis sechzehn Uhr geöffnet. Sie vereinbaren am besten einen Termin mit…«

Aufgelegt. Johanna betrachtet den Hörer.

Den Signalton kann sogar Henning in den ruhigen Räumen des Völkerkundemuseums vernehmen, er zuckt mit der Schulter.

Johanna schüttelt den Kopf und legt auf. Auch das ist keine Seltenheit, seit sie telefonische Sprechstunden anbieten. Eine Anruferin von vielen, die Johanna Ebeling und ihr Kollege Henning Lambertz schnell vergessen.

August. In den Semesterferien erschlägt einen die Stille im Institut. Gelegentlich hören sie Frau Kramer aus der Museumsbibliothek nebenan Bücher in die Regale räumen und das Geräusch von geschlagenen Tennisbällen von den benachbarten Plätzen der Sportwissenschaftler am Rothenbaum. Henning hat alle Fenster geöffnet, dennoch steht eine drückende Schwüle selbst hier in dem sonst eher kühlen Gemäuer. Johanna transkribiert ein Interview mit einem Mieter zu einem Spukfall in den Grindelhochhäusern, Henningüberträgt maschinengeschriebene Hexenprotokolle in den Rechner. Ein Ventilator steht auf einem Bücherstapel zwischen beiden Bildschirmen und sorgt auf Kopfhöhe für Abkühlung, ohne lose Blätter aufzustieben. Johanna stoppt die Wiedergabe, die Finger schwebenüber der Tastatur, doch stattdessen beugt sie sich vor und fixiert den Ventilator so, dass der Luftzug nur Henning erreicht. Sie fröstelt.

»Was ist los?« Henning sieht zu ihr auf.

»Es ist irgendwie kalt geworden, findest du nicht?« Er sieht prüfend auf und schüttelt den Kopf. Will sich wieder seinem Manuskript zuwenden und verharrt.

»Doch! Du hast recht.« Er stellt den Ventilator aus und sieht zum Fenster. Johanna schaut zur Tür, die auf den Flur führt.

»Du, das kommt von dort.« Sie nickt zur Tür und spürt, wie ihr die Kälte von dort entgegenströmt. Keine Kälte, die durch einen Luftzug entsteht.Andere Kälte.

»Ja«, flüstert Henning.»Es fühlt sich an, als würde…, als würde…« Die passenden Worte wollen ihm nicht einfallen, sein Blick ruht auf der Tür, als erwarte er jederzeit jemanden. Oder etwas. Johanna ergeht esähnlich. Und es wird schlimmer, der Magen verkrampft sich, das Herz pocht in den Ohren.Das ist Angst, denkt sie, weiß aber nicht wovor.

»Johanna, was ist das?«

Sie kann nicht antworten, die Angst schnürt ihr den Hals zu, wächst zur Panik an, beide starren zur Tür und fühlen sich von eisiger Kälte ummantelt. Der Türgriff bewegt sich, Johannas Herzschlag stockt. Die Türöffnet sich, eine Frau steht im Eingang, sieht sich schüchtern um.

»Ich hatte angerufen. Ich bin böse«, stellt sie sich vor.

Johanna und Henning erinnern sich.

Sie nimmt auf einem Stuhl vor ihnen Platz, setzt sich aufrecht hin, legt die Handtasche auf die Knie und faltet die Hände darüber auf dem Schoß zusammen. Ihr Blick eilt durch den Raum, ehe er Kontakt zu Johanna aufnimmt. Sie streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht, eine nervöse Geste, die aber nicht die Kälte und das Unbehagen vertreibt, das IHR anhaftet. Johanna spürt es, Henning spürt es.

»Ich bin böse«, wiederholt sie beinahe entschuldigend.

»Ich konnte keinen Termin vereinbaren, verzeihen Sie bitte. Ich musste sehen, wann es… passt.« Henning löst sich als Erster aus der unsichtbaren Umklammerung, steht auf.

»Henning Lambertz, Mitarbeiter des Hexenarchivs. Darf ich Ihnen Tee oder Kaffee anbieten?« Er umrundet die Schreibtische auf dem Weg zur Küche.

»Nein danke.«

»Johanna, du?«

»Kaffee, bitte.«

»Wir hatten miteinander telefoniert, Frau…«, beginnt Johanna das Gespräch.

»Falkner. Sabine Falkner.« Sie reicht mechanisch die Hand, stellt fest, dass sie zu weit auseinandersitzen, und birgt sie wieder im Schoß.

»Johanna Ebeling. Ist schon in Ordnung«, kommentiert sie den Versuch zum Handschlag.

»Bevor wir unsüber Ihr Problem unterhalten, muss ich einiges vorwegschicken. Mein Kollege und ich, wir betreuen das Hexenarchiv nun schon seit vier Jahren. Erst als reine Begleitung zu einer umfassenden Forschungsarbeit zum neuen Hexenglauben in Norddeutschland. Daraus entstanden ist das sogenannte Hexentelefon, das wir für Menschen bereitstellten, die uns ihre Phänomene erzählten. Nun, die Forschungsarbeit ist schon lange abgeschlossen, aber die Anrufe reißen nicht ab.« Frau Falkner hört aufmerksam zu. Johanna kommt es vor, als würde sie jedes einzelne Wort aufsaugen.Böse, schreibt Johanna auf einen Zettel und fährt fort.

»Wie Sie sehen, sind Sie mit Ihrem, ich nenne es mal Problem, nicht allein. Aber in vielen Fällen raten wir den Menschen, sich Hilfe von einem Psychologen zu holen, denn die wahrgenommenen Phänomene sind in der Regel innerer Natur.« Johanna beobachtet, wie die Worte auf Frau Falkner wirken, und wartet. Nichts. Sie perlen an ihr ab, Frau