: Markus Bennemann
: Adlerblut Kriminalroman
: Gmeiner-Verlag
: 9783839243169
: Nationalpark-Ranger Veit Brenner
: 1
: CHF 9.90
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 262
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: PDF/ePUB
Im Nationalpark Berchtesgaden zerreißt ein Schuss die Stille. Die junge Studentin Anna will eigentlich nur ein Praktikum hier machen, doch dann gerät sie an den gewalttätigen Parkranger Veit Brenner. Er scheint den Naturschutz etwas zu ernst zu nehmen. Ist er wirklich so gefährlich, wie die Leute sagen? Sind es die Adler, die angeblich Menschen angreifen? Oder lauert eine andere, tödliche Gefahr in den schönen Tälern um den Königssee?

Markus Bennemann, geboren 1971, hat Geschichte und Englische Literatur studiert. Er war Redakteur bei einer Tageszeitung, hat Krimis fürs Fernsehen geschrieben und arbeitet heute als Autor, Übersetzer sowie freier Journalist in Wiesbaden. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. Einer der bisher schönsten Momente seiner Autorenlaufbahn war, als er in den finnischen Abendnachrichten den Todestanz des Kurzschwanzwiesels vorführen durfte.

Kapitel 1


Ohne Fernglas war nur eine winzige Silhouette zu erkennen. Sie kreiste hoch oben am Himmel, die Flügel starr wie bei einem Flugzeug.

»Wie hoch fliegen sie, haben Sie gesagt?«

»Na, so 2.000 bis 2.500 Meter ungefähr. Halt so, dass sie alles gutüberblicken können.«

»Und von der Entfernung entdecken sie hier unten ihre Beute?«

»Sehen noch’ne Maus, die durchs Gras läuft. Könnten aus 100 Metern Entfernung Zeitung lesen.«

Anna setzte wieder den Feldstecher an und erwischte den Adler genau in dem Moment, als er die Flügel anlegte und wie ein Pfeil vom Himmel niedersauste. Sofort nahm sie das Fernglas herunter und sah, wie das dunkle Geschoss in der Sonne kurz braun aufblitzte und dann mitten in eine grüne Bergflanke einzuschlagen schien.

Im nächsten Moment stieg der Steinadler wieder auf. Jetzt schlug er kräftig mit den Flügeln, war offensichtlich mit Beute beladen. Noch einmal hob Anna den Feldstecher an die Augen. Zuerst sah sie nur die schmalen Tannen der Baumgrenze. Doch dann flog das prächtige Tier direkt auf sie zu – plötzlich groß wie ein Ungeheuer aus dem Märchenbuch –, und sie drehte hastig am Fokus.

»Er hat was!«, sagte sie aufgeregt.»Einen Hasen, glaube ich. Er trägt ihn in den Krallen.«

»Na, wird wohl eher ein Murmeltier sein«, erwiderte Brenner nüchtern.»Die haben da oben ihre Löcher.«

Erneut verlor Anna den Adler aus dem Blickfeld der vergrößernden Linsen. Doch jetzt war er auch mit bloßem Auge bereits gut zu erkennen, ebenso das schlaffe Fellbündel in seinen Fängen. Er hielt auf eine Felswand zu, die senkrechtüber dem dichten Mischwald aufragte, der den größten Teil des Tals mit seinem sommerlichen Grün bedeckte. Dann schien der Vogel mitten in der grauen, von dunklen Rissen und Rinnen zerklüfteten Steilwand zu verschwinden.

Anna, die gar nicht genug vom Anblick der stolzen Kreatur bekommen konnte, wollte abermals das Fernglas ansetzen. Doch Brenner winkte sie zu dem Spektiv, das er auf ihrem leicht erhöhten Aussichtspunkt auf der linken Seite der Talsohle aufgestellt hatte.

»Hier«, sagte er.»Ich hab’s für Sie auf den Horst gerichtet.«

Anna beugte sich zu dem wie ein großes Teleobjektiv wirkenden Fernrohr hinunter und legte ein Auge auf die dafür vorgesehene Gummimuschel, die noch warm vom Auge ihres Vorgängers war. Gegen ihren Willen jauchzte sie laut auf wie ein Schulmädchen.

»Oh Gott, sind die süß! Die sind einfach zu niedlich!«

»Demnach sind es immer noch zwei?«, fragte Brenner.»Ich hab’s eben nicht eindeutig erkennen können.«

»Ja, zwei große weiße Küken, die aussehen, als kämen sie direkt aus der Muppet Show«, erwiderte Anna, während die zwei ulkigen Federknäuel erregt an den Rand des Nests gehüpft kamen.»Sie freuen sich anscheinend, ihren Vater wiederzusehen.«

»Was studieren Sie noch mal?« Der Ton des Parkaufsehers war so unfreundlich, dass Anna automatisch von dem Fernrohr aufblickte.»Vorhin bei der Begrüßung habe ich es nicht richtig mitbekommen.«

»Umweltmanagement«, antwortete Anna mit einem breiten Lächeln.

Bei dem Lächeln kamen ihre makellosen Zähne zur Geltung und bildeten einen schönen Kontrast zu ihrer braunen Haut und ihren dunklen Augen. Es war ihre Universalantwort auf unfreundliche Fragen, besonders von Männern, und normalerweise funktionierte sie auch ziemlich gut. Nur bei Brenner zog sie anscheinend nicht.

»Umweltmanagement«, wiederholte er, als würde allein schon das Wort ihm einen schlechten Geschmack im Mund verursachen.»Heißt das jetzt, Sie wollen Umweltschützerin oder Managerin werden?«

»Ein bisschen von beidem«, erwiderte Anna, richtete sich auf und drückte die Brust durch.»Ich will dafür sorgen, dass Wirtschaftlichkeit und Naturschutz keine Gegensätze mehr sind. Dass sie sich gegenseitig nicht im Wege stehen, sondern Hand in Hand gehen.«

»Ah, so wie Künzl.«

»Ja, wie Nationalparkdirektor Künzl. Wegen ihm und seinem Berchtesgadener Weg mache ich das Praktikum hier unten.«

Brenner zog einen Mundwinkel leicht nach oben. Es war das erste Mal an diesem Morgen, dass Anna so etwas wie ein Lächeln bei ihm sah. Sie bezweifelte jedoch, dass es wirklich als solches gemeint war.

»Aber ja, natürlich, der berühmte Berchtesgadener Weg«, sagte der Parkranger mit unverhohlener Ironie in der Stimme.»Und dass Sie ausgerechnet heute Ihr Praktikum anfangen, am Tag der Preisverleihung, ist purer Zufall?«

»Ja, das ist Zufall. Es hat sich einfach so ergeben.«

Das war gelogen: Bei ihrem Bewerbungsgespräch hatte der Nationalparkdirektor ihr ausdrücklich empfohlen, schon heute anzufangen, damit er sie bei der Verleihung gleich ein paar wichtigen Leuten vorstellen konnte. Das war genau die Art von Aufmerksamkeit, die Anna von Männern mittleren Alters in solchen Positionen gewohnt war, auch bei ihren Profs an der Uni lief es nicht anders. Als Gegenleistung musste sie sich nur ab und zu etwas zu vertraulich an Ellbogen oder