: Erika Pluhar
: Reich der Verluste Roman
: Insel Verlag
: 9783458733799
: 1
: CHF 14.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 300
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Es beginnt mit einer Postkarte: Sie habe in ihrer Wohnung versehentlich ein Fenster offen gelassen, schreibt Magda an ihre Hausmeistersfrau Maria in der Stadt. Magda schreibt es von einer Mittelmeerinsel, auf die sie sich nach diversen Schicksalsschlägen zurückgezogen hat. Das Fenster wird geschlossen - ein Briefwechsel beginnt, in dem sich die beiden so unterschiedlichen Frauen einander immer mehr annähern und schließlich Freundinnen werden. Sie erzählen ihre Lebensgeschichten. Kränkungen, Lebensleiden oder Liebesverluste werden noch einmal durchlebt, lang unterdrückte Tränen endlich geweint. Die schlichte, warmherzige Maria entdeckt die Macht der Wörter und das Vergnügen, sich schreibend mitzuteilen. Mit neuem Selbstbewusstsein nimmt sie ihr Schicksal in die Hand, während Magda neuen Mut schöpft und zurück ins Leben kehrt. Ein gefühlvolles, lebendiges, mitreißendes Buch voller Hoffnung und Sehnsucht.

<p>Erika Pluhar, 1939 in Wien geboren, war nach ihrer Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar lange Jahre Schauspielerin am Burgtheater Wien und als Sängerin tätig. Sie textet und interpretiert Lieder, hat Filme gedreht und veröffentlichte mehrere Romane, Gedicht-, Lieder- und Erzählbände. 2009 erhielt sie den Ehrenpreis desösterreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln.</p>

11. Mai

Liebe Frau Schübler,

auf dieser Postkarte sehen Sie die Insel. Ich hab mit der Füllfeder einen Punkt gemacht, wo der kleine Hafen liegt und das Dorf.– Eine Bitte! Mir ist eingefallen, daß ich in der Abstellkammer das Klappfenster offengelassen habe. Da ich ja noch Monate wegbleibe, wäre sicher von Vorteil, man würde es schließen. Könnten Sie das tun, wenn Sie bei mir oben das nächste Mal gießen? Dank im voraus!

Ich hoffe, es geht Ihnen gut, und niemand im Haus macht Scherereien. Herzlich grüßt Sie

Ihre Magda Bernsteiner

17. Mai

Liebe Frau Bernsteiner!

Eigentlich wollte ich Sie anrufen, aber ich weiß keine Nummer. Um zu sagen, daß Sie eine gute Idee gehabt haben. Es war nämlich eine Taube in der Abstellkammer, die hat sich verirrt, und ein großer Wirbel mit ihr. Lukas hat mir geholfen, sie wieder hinauszukriegen, und ich habe alles geputzt.

Jetzt ist das Fenster zu.

Die Insel sieht schön aus. Ich habe leider im Moment nur diese Karte mit den Margeriten, wollte Ihnen aber rasch schreiben, Adresse weiß ich ja. Erholen Sie sich gut!

Das wünscht Ihnen mit den besten Grüßen Ihre

Maria Schübler

25. Mai

Meine liebe Maria Schübler,

da bin ich Ihnen aber von Herzen dankbar, und dem Lukas auch. Und natürlich auch mir selbst, weil ich gottlob diesen Einfall hatte! Stellen Sie sich vor, die Taube wäre unentdeckt geblieben, hätte nicht mehr hinausgefunden und in meiner Kammer ihren Tod gefunden… Nein, stellen Sie sich das lieber nicht vor. Vor allem nicht, wie meine Wohnung schließlich gerochen hätte…

Es sind herrliche Tage hier, das Meer ist manchmal wirklich so blau wie auf dieser Karte. Wie ist denn das Wetter daheim? Hoffentlich schlecht! Das erhöht nämlich immer den Genuß, wenn man weit weg ist und sich an einem Ort befindet, wo unermüdlich die Sonne scheint!

Grüße von Magda B.

31. Mai

Liebe Frau Bernsteiner! Ich wünsche Ihnen viel Genuß, Sie können ihn brauchen, aber es tut mir leid, wir haben auch einen sehr schönen Mai. Die Kastanien hinter dem Haus blühen wie verrückt. Wenn ich Zeit habe, setze ich mich unter den Bäumen auf eine Parkbank. So, wie Sie das oft tun.

Die Sonne soll sehr unermüdlich auf Sie scheinen!

Ihre Maria Schübler

5. Juni

Liebe Maria,

dieser Brief erreicht Sieüber mein Büro, eines der Mädchen kommt bei Ihnen vorbei, wundern Sie sich bitte nicht. Ich habe ihn gefaxt, die Post geht ja so schwerfällig hin und her. Wenn Sie mir antworten wollen, bringen Sie doch einfach Ihren Brief in die Humboldtgasse 8 (gleich bei uns, rechts um die Ecke, FirmaÖlig-Versand) zu Herrn Peter Kreuz, der faxt ihn mir dann hierher ans Postamt der Insel. Da haben sie ein Faxgerät, ich habe es durch Zufall entdeckt, als ich was aufgegeben habe.

Heute regnet es. Ich sitze im Zimmer, vor der geöffneten Balkontüre. Das Meer ist grau, die Schaumkronen jedoch blendend weiß, als würden sie von irgendwoher beleuchtet. Und das, obwohl die Wolken tief hängen und der Tag sehr düster ist.

Vielleicht wundern Sie sich, liebe Maria Schübler, daß ich Sie Maria nenne und Ihnen jetzt einen Brief schreibe. Es geschieht, weil ich Vertrauen zu Ihnen habe und mich an einen vertrauenswürdigen Menschen wendenmuß. Sonst sterbe ich hier. Ich sage Ihnen das in aller Offenheit und hoffe, daß Sie sich davon nicht belästigt fühlen. Sollte mein Schreiben Sie irritieren, dann antworten Sie mir einfach nicht, ja?

Tatsache ist, daß mir alle Menschen abhanden gekommen sind, denen ich sonst schreiben könnte. Sie wissen, glaube ich, daß es mir sehr schlecht gegangen ist, eine Zeitlang. Ich wollte mich hier erholen. Jetzt weiß ich, daß ich hier mein Ende finden werde. Nicht unbedingt den Tod, aber das Ende aller Hoffnung. Ich habe die Zukunft hinter mir gelassen, verstehen Sie?

Ob ich diesen Brief wirklich faxen lasse? Herr Kreuz ist sehr diskret, er würde ihn ungelesen in ein Kuvert stecken und Ihnen bringen lassen. Aber ich habe Sorge, Sie zu verwirren. Außer, daß Sie wöchentlich bei mir saubermachen und meine Pflanzen gießen, wenn ich weg bin, hat uns bisher nur verbunden, daß wir freundlich zueinander waren. Obwohl das, an der Unfreundlichkeit der Welt gemessen, sehr viel ist. Sie kennen mich nicht, und ich kenne Sie nicht. Aber daß Ihnen aufgefallen ist, wie oft ich unter den Kastanienbäumen gesessen bin, in letzter Zeit, läßt mich irgendwie annehmen, daß Ihnen auch mein Zustand aufgefallen ist. Und daß Sie eine Taube davor bewahrt haben, in meiner Abstellkammer zu verrecken–

Und daß Sie ein Gesicht haben, an das ich mich gerade jetzt sehr genau erinnere– energisch und sanftmütig zugleich– Sie haben meist leicht gerötete Wangen, vielleicht, weil Sie viel körperlich arbeiten–

Liebe Frau Schübler, sollte Ihnen lästig sein, das zu lesen, dann werfen Sie den Brief weg. Daß ich jetzt durch den Regen zum Postamt wandern werde, eine gute Stunde lang, tue ich nur, um Zeit zu vernichten. Die Zeit liegt so unbeweglich um mich, daß ich fast an ihr ersticke. Verzeihen Sie mir.

Magda

6. Juni

Liebe Frau