Teil 2
Die Frau, der Mann
»Wußten Sie, daß Japan versinkt?«
Ein Zwölftatamizimmer, in dem es für die Frau, die aus der schwülen Hitze kam, im ersten Moment angenehm kühl war, bevor sie die Kälte spürte, die aus unsichtbaren Quellen in den Raum drang, sich die Haut eroberte und sich zwischen ihr und der Kleidung als hauchdünne Eisschicht niederließ, die bei jeder Bewegung knisterte. Durch die Papiertüren fiel sanftes Licht. Draußen gischte das Meer gegen die Felsen, manchmal schrie ein Vogel, dazwischen der ruhige Atem der Stille in dem Rhythmus der abbrennenden Räucherstäbchen, die ihren Geruchsschatten zurückließen, der die Zunge pelzig machte, und doch, ihre Nasenflügel bebten, bedeutet dieser Geruch vielleicht mehr als alles andere für die Frau Japan.
Männerfüße, in weißen Socken verborgen, bestrumpfte Frauenfüße, durch die rot lackierte Zehennägel schimmerten. Der Mann stand mit dem Rücken zur Frau, die sich an die lautlos hinter ihr geschlossene Schiebetür lehnte. In diesem weichen Licht glänzte ihr hellbraunes Haar, umrahmte ihr schmales Gesicht, verdeckte es, sobald sie den Kopf senkte. Das Kopfhaar des Mannes war grau.
Sandfarbene Tapeten und Türen. In der Nische ein Blumengesteck mit drei Orchideen: weiß, hellblau und gelb ragten die noch fast geschlossenen Blüten aus einer erdfarbenen Schale. In der Mitte des Zimmers stand ein rechteckiger schwarzer Lacktisch, zwei dunkelrote Seidenpolster lagen an seinen Längsseiten.
Der Mann zog die Schiebetür zur Seite, hielt sich die Hand vor die Stirn. Die Sonne stand tief, färbte das Meer unter ihm silbrig, im Schatten der Inseln schwarz. Das Geräusch, mit dem es gegen die Felsen brandete und wieder in sich zurückflutete, erfüllte nun das Zimmer, die feuchtheiße Luft drängte herein und legte sich schwerüber die kalte, ließ das Eis auf der Haut tauen. Die Frau atmete gierig die heiße Luft ein, Luft, die noch nicht in den Lungen anderer herumgeirrt war, Meeresluft, vom Salz geschwängert, das unter ihren Achseln bald weiße Ränder auf ihrem Sommerkleid hinterlassen würde, verschwommene oder zickzackförmige, je nachdem, ob der Körper es langsam oder in einem Schwall ausscheiden würde, das Salz der Lungen. Der Mann kümmerte sich nicht darum, ob die Frau, die immer noch an die Schiebetür gelehnt stand, ihn hören konnte. Er redete zum Meer. Er redete zur Frau.
»Wir leben durch den Reis. Wir sind Reis, wenn Sie so wollen. Wenn der Reisanbau aufhört, hören wir auf. Darum bebaut der Kaiser sein Reisfeld. Die Amerikaner werden das nie verstehen. Nicht einmal die Deutschen. Ihre Liebe zum Wald, lächerlich. Ich weiß, daß Ihnen die Reisfelder gefallen. Sie sind schön. Ja, von einer unübertrefflichen Schönheit. Und jeder Sturm, der sie vernichten will, zerstört sich selbst. Hier endet Ihr Verständnis. Ihnen macht sowohl die Schönheit wie die Häßlichkeit Angst. Als könnte es eins ohne das andere geben, als würde sich die Schönheit nicht erst im Moment ihrer Zerstörung vollenden. Sie lehnen meine Gedanken ab. Jeder, der nurüber ein hierarchisches Denken verfügt, lehnt sie ab. Dabei sind die Katastrophen die wahren Demokraten. Sie treffen unterschiedslos Gute wie Böse. Für Sie hingegen steht die Schönheit ganz oben auf Ihrer Werteskala und die Zerstörung ganz unten. Aber Sie waren nicht dabei, als sich das Meer mein Haus holte, bevor das Feuer gewann. Meer gegen Feuer! Es wäre reine Energieverschwendung gewesen, die beiden aufhalten zu wollen. Während ich den Kampf zwischen Meer und Feuer um mein Haus beobachtete, begriff ich, daß es nur darauf ankommt zu sehen. Hinzusehen. Ganz genau hinzusehen. Und seit langem sehe ich, daß Japan versinkt.«
Der Mann stand da wie vorhin. Nur seine Lippen hatte er bewegt. Die Frau verharrte an ihrem Platz, Handtasche und Skizzenmappe unter die rechte Achsel