: Giorgio Agamben, Alain Badiou, Slavoj ?i?ek, Jacques Rancière, Jean-Luc Nancy, Wendy Brown, Daniel B
: Demokratie? Eine Debatte
: Suhrkamp
: 9783518736456
: 1
: CHF 18.00
:
: 20. und 21. Jahrhundert
: German
: 200
: Wasserzeichen/DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB/PDF
Zu Beginn des dritten Jahrtausends ist die Situation der Demokratie paradox: Einerseits sind mehr Staaten denn jemals zuvor demokratisch verfaßt, andererseits nehmen die Krisensymptome in den Staaten, die einstmals so etwas wie eine demokratische Avantgarde bildeten, zu: Die Wahlbeteiligung sinkt, schillernde Persönlichkeiten wie Silvio Berlusconi oder Nicolas Sarkozy gewinnen an Bedeutung, Wahlkämpfe geraten zu schalen Marketingkampagnen. Colin Crouch hat all diese Trends in dem Band 'Postdemokratie' präzise auf den Punkt gebracht. In diesem Band setzen sich nun acht herausragende politische Denkerinnen und Denker mit dem Zustand und den Perspektiven der am wenigsten schlechten aller Regierungsformen (Winston Churchill) auseinander, die tageszeitung sprach von einem »Who's who der internationalen linken Theorie«. Der Diskussionsband enthält Beiträge von Giorgio Agamben, Alain Badiou, Daniel Bensaïd, Wendy Brown, Jean-Luc Nancy, Jacques Rancière, Kristin Ross und Slavoj ?i?ek.

<p>Giorgio Agamben wurde 1942 in Rom geboren. Er studierte Jura, nebenbei auch Literatur und Philosophie. Der entscheidende Impuls für die Philosophie kam allerdings erst nach Abschluß des Jura-Studiums über zwei Seminare mit Martin Heidegger im Sommer 1966 und 1968. Neben Heidegger waren seitdem Michel Foucault, Hannah Arendt und Walter Benjamin wichtige Bezugspersonen in Agambens Denken.<br /> Als Herausgeber der italienischen Ausgabe der Schriften Walter Benjamins fand Agamben eine Reihe von dessen verloren geglaubten Manuskripten wieder auf. Seit Ende der achtziger Jahre beschäftigt sich Agamben vor allem mit politischer Philosophie. Er lehrt zur Zeit Ästhetik und Philosophie an den Universitäten Venedig und Marcerata und hatte Gastprofessuren u.a. in Paris, Berkeley, Los Angeles, Irvine.</p><p>< /p>

Alain Badiou
Das demokratische Wahrzeichen1

All dem zum Trotz, was Tag für Tag das Ansehen der Demokratie beschädigt, bleibt das Wort»Demokratie« doch zweifellosdas Wahrzeichen der gegenwärtigen politischen Gesellschaft. Ein Wahrzeichen ist das Unantastbare eines Symbolsystems. Das heißt, Sie könnenüber das politische System sagen, was Sie wollen, Sie können ihm gegenüber eine»kritische« Haltung von beispielloser Schärfe einnehmen und etwa»den Terror derÖkonomie« verdammen– man wird es Ihnen nichtübelnehmen, solange Sie es nur im Namen der Demokratie tun (nach dem Muster:»Wie kann eine Gesellschaft, die vorgibt, demokratisch zu sein, dieses oder jenes tun?«). Denn letztlich haben Sie versucht, die Gesellschaft im Namen ihres Wahrzeichens und damit in ihrem eigenen Namen zu verurteilen. Sie haben sich nicht außerhalb ihrer gestellt, sind, wie man so schön sagt, kein Schurke geworden, sondern Staatsbürger geblieben, einer, den man auf seinem demokratischen Posten weiß und den man, keine Frage, bei den nächsten Wahlen sehen wird.

Daher behaupte ich: Umüberhaupt an das Reale unserer Gesellschaft heranzukommen, muß man sich– gleichsam als apriorisches Manöver– von ihrem Wahrzeichen verabschieden. Man wird der Welt, in der wir leben, nur dann gerecht, wenn man das Wort»Demokratie« einmal beiseite läßt und das Risiko eingeht, kein Demokrat zu sein und damit tatsächlich von»aller Welt« mißbilligt zu werden. Denn»alle Welt« ist– bei uns– ohne jenes Wahrzeichen nicht zu denken:»Alle Welt« ist demokratisch. Man könnte dies das Axiom des Wahrzeichens nennen.

Für uns geht es jedoch um die Welt, nicht um»alle Welt«. Gerade die Welt, wie sie dem Anschein nach existiert,ist nicht die Welt von»aller Welt«. Die Demokraten, Menschen des Wahrzeichens, Menschen des Westens, gehören einer besseren Welt an, während die anderen von einer anderen Welt sind, die in ihrer Andersheit keine Welt im eigentlichen Sinne ist: Es handelt sich, genau besehen, um eine Zone für Kriege, Elend, Mauern und Chimären. In dieser Art»Welt« oder Zone verbringt man seine Zeit damit, seine Siebensachen zu packen, um dem Grauen zu entfliehen, um wegzukommen. Und wohin? Zu den Demokraten natürlich, zu denen, die die Weltherrschaft beanspruchen und Leute brauchen, die für sie arbeiten. Hier machen diese anderen nun die Erfahrung, daß die Demokraten, die es sich unter ihrem Wahrzeichen bequem gemacht haben, nicht wirklich etwas von ihnen wissen wollen, ja daß die Demokraten sie nicht mögen. Im Grunde genommen handelt es sich hier um politische Endogamie: Demokraten mögen nur Demokraten. Was die anderen anbelangt, jene aus den Hunger- und Todeszonen, da geht es vor allem um Papiere, Grenzen, Gefangenenlager, Polizeiüberwachung, die Ablehnung von Familienzusammenführung… Man soll»integriert« werden. In was? In die Demokratie natürlich. Um aber aufgenommen, ja eines fernen Tages vielleicht sogar anerkannt zu werden, muß man sich erst einmal bei sich zu Hause zum Demokraten ausbilden– viele Stunden lang, in harter Arbeit, eben bevor man sich die Hoffnung gestatten darf, in die wahre Welt zu dürfen. Zwischen Gewehrsalven und den Landungen humanitärer Fallschirmjäger, zwischen Hungersnot und Epidemie studiere man den Leitfaden für Integrationswillige, das Handbuch des kleinen Demokraten! Eine furchtbare Prüfung steht an! Ja, von der falschen in die»echte« Welt führt eine schmale Gasse– eine Sackgasse. Demokratie? Gewiß, aber nur für Demokraten, nicht wahr? Globale Globalisierung? Sicher, aber nur, wenn die nicht integrierte Welt den Beweis erbringt, daß sie es verdient hat, integriert zu werden.

Kurzum, die»Welt« der Demokraten ist keineswegs die Welt von»aller Welt«. Das aber bedeutet, daß die Demokratie– verstanden als Wahrzeichen und Wächterin der Mauern, innerhalb deren eine kleine Welt ihren Spaß hat und zu leben glaubt– eine konservative Oligarchie versammelt, die– oft mit den Mitteln des Krieges– nur ein Amt versieht: im Namen der»Welt«, den sie sich widerrechtlich angeeignet hat, das aufrechtzuerhalten, was letztlich nur das Territorium ihres a