1. DROHNEN UND SOZIALE MEDIEN
DAVID LYON Auf der Grundlage dieser einführenden Bemerkungen zur flüchtigenÜberwachung würde ich als erstes gerne folgendem Gedanken nachgehen: In der von Ihnen als»flüchtig« beschriebenen Moderne begegnet unsÜberwachung in verschiedenen signifikant neuen Formen, für die beispielhaft, wie Sie kürzlich in einem Blogbeitrag schrieben, Drohnen und Soziale Medien stehen. Beide erzeugen personenbezogene Daten zur digitalisierten Verarbeitung, allerdings auf unterschiedliche Weisen. Ergänzen diese beiden Medien einander dahingehend, daß wir uns durch den sorglosen Umgang mit dem einen (den Sozialen Medien) an die von uns weitgehend unbemerkte Erhebung personenbezogener Daten durch das andere, nämlich miniaturisierte Drohnen, gewöhnen? Und welche Folgen haben diese Entwicklungen für unsere Anonymität und relative Unsichtbarkeit im Alltag?
ZYGMUNT BAUMAN Ich glaube, daß der kleine, vor einigen Monaten auf der Website»Social Europe« erschienene Text, auf den Sie anspielen, ein guter Einstieg sein kann; ich hoffe, Sie verzeihen mir daher, wenn ich ihn hier breit zitiere. In diesem Essay habe ich mich mit zwei scheinbar unzusammenhängenden Zeitungsartikeln befaßt, die an aufeinander folgenden Tagen, dem 19. und 20. Juni 2011, veröffentlicht wurden– wobei es keiner von beiden in die Schlagzeilen schaffte und man niemandem einen Vorwurf machen kann, der sieübersehen hat. Wie alle Neuigkeiten wurden auch diese durch den alltäglichen»Informationstsunami« angeschwemmt: zwei Tröpflein in einer Flut von Nachrichten, augenscheinlich aufklärerisch und informativ gemeint, die tatsächlich aber eher zur Verunklarung der Perspektive und der Benebelung der Leser beitrugen…
Der erste Artikel berichtet, daß die Drohnen der neuesten Generation nur noch so groß wie eine Libelle oder ein Kolibri sind und bequem auf einer Fensterbank landen können, damit sie, wie es ein Luftfahrtingenieur namens Greg Parker begeistert formuliert, selbst»bei bester Sicht verborgen bleiben«.22 Im zweiten Artikel wird behauptet, daß das Internet das Ende der Anonymität herbeiführen werde.23 Beide Mitteilungen sagenübereinstimmend den Untergang von Verborgenheit und Selbstbestimmung voraus, und sie sind unabhängig voneinander und ohne Kenntnis des jeweils anderen entstanden.
Die unbemannten Drohnen, die wie die berühmt-berüchtigten»Predator«-Modelle Spionage- und Kampfaufgabenübernehmen (»Seit 2006 sind mehr als 1900 Aufständische in den pakistanischen Stammesgebieten von US-amerikanischen Drohnen getötet worden«), werden also demnächst zumindest im Bereich»Aufklärung« auf die Größe kleiner Vögel schrumpfen, vorzugsweise auf die von Insekten (offenbar ist die Bewegung von Insektenflügeln technisch leichter nachzubilden als die von Vogelflügeln; und Major Michael L. Anderson zufolge, einem Doktoranden auf dem Gebiet neuester Navigationstechnologie, hat man die exquisiten aerodynamischen Eigenschaften derSphingidae, einer für ihren Schwebflug bekannten Schmetterlingsart, zum– noch unerreichten, aber gewiß demnächst bewältigbaren– Ziel des aktuellen Wettrennens der Konstrukteure erkoren, und zwar weil sie alles, was»unsere plumpen Fluggeräte derzeit vermögen«, weit hinter sich lassen).
Die Drohnen der nächsten Generation werden unsichtbar sein, während sie alles um sich herum der Beobachtung zugänglich machen; sie selbst werden unantastbar sein, während sie alles in ihrer Umgebung verwundbar machen. Peter Baker, Professor für Ethik an der United States Naval Academy, meint, daß mit ihnen das»postheroische Zeitalter« der Kriegsführung anbrechen wird; sie werden aber zugleich, wenn man anderen»Militärethikern« glaubt, die bereits jetzt erhebliche»Entfernung zwischen der amerikanischenÖffentlichkeit und dem Krieg« vergrößern; es handelt sich also um einen weiteren (den nach der Ersetzung von Wehrpflichtigen durch Berufssoldaten zweiten) Schritt in dem Bestreben, den Krieg so zu führen, daß er für die Nation, in deren Namen er geführt wird, möglichst unsichtbar bleibt (da keiner ihrer Bürger mehr sein Leben riskieren muß)– und sie machen damit das Kriegführen selbst aufgrund des nahezu vollständigen Ausbleibens von Kollateralschäden und politischen Kosten um so einfacher und natürlich auch verlockender.
Die Drohnen der nächsten Generation werden alles sehen, während sie selbst verlockend unsichtbar bleiben, und zwar im wörtlichen wie im metaphorischen Sinne. Niemand wird sich vor dem Beobachtetwerden schützen können– nirgendwo. Auch die Techniker, die die Drohnen in Marsch setzen, werden dann keine Kontrolle mehrüber ihre Bewegungen haben und nicht mehr in der Lage sein, irgendwelche potentiellen Beobachtungsobjekte von derÜberwachung auszunehmen, so heftig man sie in bestimmten Fällen auch bedrängen mag, genau das zu tun: Die»neuen verbesserten« Drohnen werden darauf programmiert sein, selbststeuernd umherzufliegen und auf selbstfestgelegten Routen selbstgewählte Ziele anzusteuern. Sobald sie erst einmal in der vorgesehenen Anzahl in Gang gesetzt worden sind, begrenzt allein der Himmel die Menge der Informationen, die sie liefern werden.
Das ist also diejenige Perspektive der neuen Spionage- undÜberwachungsgeräte, die– aufgrund deren Fähigkeit, in großer Entfernung autonom zu agieren– ihren Konstrukteuren die meisten Sorgen bereitet, und folgerichtig auch den Journalisten, dieüber sie berichten: die Aussicht auf einen»Daten-Tsunami«, dessen Vorboten die Mitarbeiter in den Kommandozentralen der Air Force bereits jetztüberfordern und der ihre Aufnahmefähigkeit bald vollends zuübersteigen und ihnen (wie auch allen anderen Akteuren) gänzlich zu entgleiten droht. Seit dem 11. September 2001 ist die Anzahl der Stunden, die Mitarbeiter der Air Force mit der Verarbeitung der von Drohnen gelieferten Informationen zubringen, um 3100 Prozent gestiegen– und täglich kommen 1500 Stunden neues Videomaterial hinzu, die dringend bewältigt werden wollen. Sobald der veraltete»Schlüsselloch«-Blick der in die Drohne eingebauten Sensoren erst einmal durch eine Technik namens»Gorgon stare«24 abgelöst ist, dank der sich (ein ungeheurer Fortschritt) eine ganze Stadt in einem einzigenÜberflug erfa