: Verena Moritz, Julia Köstenberger, Aleksandr Vatlin, Hannes Leidinger, Karin Moser
: Gegenwelten Aspekte der österreichisch-sowjetischen Beziehungen 1918-1938
: Residenz Verlag
: 9783701744480
: 1
: CHF 29.10
:
: 20. Jahrhundert (bis 1945)
: German
: 579
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Österreichs Schicksal in der Zwischenkriegszeit: Aspekte der österreichisch-sowjetischen Beziehungen 1918-1938. Jahrzehntelang blieb der Geschichtsschreibung der Zugang zu den Archiven der UdSSR verwehrt. Der vorliegende Band untersucht mithilfe sowohl österreichischer als erstmals auch russischer Quellen nicht nur die außenpolitischen Konzepte sowie die diplomatischen, wirtschaftlichen und kulturellen Kontakte der beiden ungleichen Staaten Österreich und Sowjetunion. Es wird auch versucht, ihr Verhältnis im Kontext der internationalen Politik - unter anderem mit britischen, deutschen und französischen Aktenbeständen - zu positionieren. Dabei wird sichtbar, dass die Frage von Österreichs Schicksal in der Zwischenkriegszeit das kleine Land in den Blickpunkt übergeordneter Interessen rückte.

Verena Moritz Jahrgang 1969. Studierte Geschichte und Russisch in Wien. Mehrjährige Forschungsaufenthalte in Russland. Neben Ausstellungstätigkeiten, zahlreiche Vorträge unter anderem in der Ukraine und in Russland. Mitarbeiterin an div. Forschungsprojekten unter anderem über die Kriegsgefangenenproblematik im Ersten Weltkrieg, den Parlamentarismus in Russland und Österreich zu Beginn des Zwanzigsten Jahrhunderts. Zahlreiche Preise: z. B. 2004 Werner Hahlweg-Förderpreis der Deutschen Bundeswehr, Böhlaupreis der Österreich. Akademie der Wissenschafte, 2006 Preis der Theodor Kery-Stiftung und des Theodor Körner-Fonds, 'Das beste Wissenschaftsbuch 2013' (Kategorie Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaft) - Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung/Verlag Buchkultur (2013) Neben zahlreichen wissenschaftlichen Artikeln Autorin folgender Bücher gemeinsam mit Hannes Leidinger: Gefangenschaft Revolution Heimkehr, Das Schwarzbuch der Habsburger, Russisches Wien, Zwischen Nutzen und Bedrohung, Die Nacht des Kirpitschnikow.

Teil 1:


Skizzen einer»Diplomatiegeschichte« 1918–1933/34


 

Von Brest-Litovsk bis Kopenhagen– Die Anfänge der bilateralen Beziehungen 1918–1920


Von der»alten« zur»neuen« Diplomatie

Die Mitglieder des diplomatischen Korps hielten sich für eine kosmopolitische, kulturell»homogene europäische Familie«. Sie pflegten eine gemeinsame Form der Konversation, lasenähnliche Bücher, verteidigten vergleichbare Gesellschaftsmodelle und stimmten in Grundsätzenüber die Prinzipien der internationalen Beziehungenüberein. 1925, als der englische Publizist James A. Spender solcherart das Selbstverständnis früherer Diplomatengenerationen charakterisierte, die sich für gewöhnlich streng von der Außenwelt abgegrenzt und Demokratisierungstendenzen skeptisch betrachtet hatten, war die»alte Welt« dieser»Auserwählten« bereits untergegangen.7 Schon in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg sah sich die Diplomatie mehr und mehr mit der Notwendigkeit konfrontiert, ihre Politik vor derÖffentlichkeit, wenn nicht zu rechtfertigen, dann wenigstens zu kommentieren. Nach 1914 war vor dem Hintergrund verschiedener Bemühungen um den Frieden der Wunsch nach Transparenz politischer Entscheidungen noch schneller gewachsen und die Kritik an der»Geheimdiplomatie«, die viele gar als hauptverantwortlich für die Entwicklungen ab dem Sommer 1914 ansahen, stetig größer geworden. In seinen»Vierzehn Punkten« griff Woodrow Wilson Anfang 1918 diese Problematik auf und wandte sich gegen jede»Heimlichkeit« in den zwischenstaatlichen Unterredungen.8 Spätestens ab 1919 ergab sich die Gelegenheit zu zeigen, ob solche Ansagen auch umgesetzt würden. In Frankreich kamen die Vertreter der ehemals Krieg führenden Länder zusammen, um ein neues Europa aus der Taufe zu heben. Eine»neue Diplomatie« vermögen indessen Analysen der Pariser Friedensverhandlungen in nur sehr eingeschränktem Maße zu Tage zu fördern. Die Handlungslogik der»alten Diplomatie« habe sich, lauten heutige Befunde, nicht verändert, das Versprechen von Offenheit und Transparenz sei nur vordergründig eingelöst worden. Der Unmut der»Verliererstaaten«, der sich unter anderem in der bewussten Verletzung von Etikette und Förmlichkeiten geäußert hatte, und die Haltung der Siegerstaaten, die nicht auf Augenhöhe verhandelt und sich gegen eine Kommunikation mit den ehemaligen Kriegsgegnern gesperrt hatten, habe vielmehr einer für den Verlauf des Krieges typischen Eskalation entsprochen. Die Rede ist schließlich vom»Verlust gemeinsamer Handlungsformen diplomatischer Interaktion«.9

Tatsächlich waren wesentliche Entscheidungen weiterhin hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden. Manche Zeitgenossen negierten»diesen Frieden« als einen,»dessen Kulissengeschichten sich von derÖffentlichkeit viel sorgsamer« verbargen,»als die unmittelbare Vorgeschichte des Weltkriegs«.10 An der mangelnden Transparenz hatte auch die umfassende Presseberichterstattung, welche die unmittelbare Beteiligung derÖffentlichkeit am Prozess politischer Entscheidungsfindung unter anderem in Form zahlreicher Fotoreportagen suggerierte, wenig geändert. Das eigentlich»Neue« war so gesehen dieüberwältigende Präsenz der Medien als Transporteure der Illusion vom Anbruch einerÄra der»neuen Diplomatie« bei gleichzeitiger Anpassung der Entscheidungsträger an die Anforderungen der medialen Performanz: Man gab Interviews, ließ sich fotografieren, lächelte in die Kameras. Als»neu«, wenngleich nicht als Errungenschaft zu bezeichnen, ist des Weiteren das Ende einer»gemeinsamen Sprache« der Diplomaten als Voraussetzung für jedwedes Gelingen von Verhandlungen.11 Was in Versailles, Saint Germain und in anderen Pariser Vororten vonstatten ging, trug den Keim kommender Auseinandersetzungen in sich.

Was immer man unter einer»neuen Diplomatie« verstehen mochte, eines trat unverkennbar zu Tage: Das Bedürfnis nach einschneiden