Wozu sind denn meine Augen da, wenn sie sehen, aber nichts sehen? Wozu meine Ohren, wenn sie hören, aber nichts hören? Wozu all das Fremde in meinem Kopf?
Das, Gehirnwindung für Gehirnwindung, zunichte denken, bis vielleicht ganz am Grund ein Löffelchen voll von mir durchscheint. Die Erinnerung hernehmen wieein Messer und es gegen sie selbst richten, die Erinnerung abstechen mit der Erinnerung. Wenn das geht.
Vater und Mutter. Ball. Auto. Das vielleicht die einzigen Wörter, die heil waren, als ich sie lernte. Und auch die dann verkehrt, aus mir gerissen und andersherum wieder eingesetzt, das Gegenteil von Ball wieder Ball, von Vater und Mutter Vater und Mutter. Was ist ein Auto? Alle anderen Worte von vornherein mit der Hälfte Schweigen als Bleigewicht an den Füßen, so wie der Mond seine dunkle Seite mit sich herumschleppt, sogar wenn er vollist. Aber der kreist immerhin. Für mich standen die Worte fest, aber jetzt laß ich sie los, und wenn es nicht anders geht, schneide ich den einen oder anderen Fuß lieber mit ab. Ball. Ball.
Guten Abend, gut Nacht. Meine Mutter bringt mich zu Bett. Während sie singt, streicht sie mir mit einer Hand über den Kopf. Weiße, trockene Hand, die einem Kind über den Kopf streicht. Mit Rosen bedacht. Wasserfarbene Augen, deren Blick sich auf mich richtet, während mir die Augen schon zufallen. Mit Näglein besteckt. Nelken sind das, würde sie sagen, wenn sie sehen würde, daß ich bei dieser Zeile wieder anfange zu weinen. Nelken, nicht weinen. Aber zum Weinen ist es heute zu spät, unumkehrbar bin ich unterwegs in den Schlaf, Nelken sind es nicht, sondern spitze Näglein, mit denen mich jemand, den ich nicht kenne, am Bett festnageln wird, während ich schlafe. Schlupf unter die Deck, singt sie. Sie zieht mir die Decke bis zum Kinn hinaufund löscht das Licht. Lauter kleine blutige Einstiche von den Nägeln. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. Und wenn nicht, bleibe ich für immer ans Bett geheftet. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt. Und die Blutstropfen versteinern. Mutter.
Ein Ball ist ein Ding, das rollt, manchmal springt. Ein Vater ist ein Mann, der lange Zeit größer ist als man selbst. Bevor mein Vater zur Beichte geht, rasiert er sich und zieht ein frisches Hemd an. Wer mit einem Kopf Ball spielen wollte, den würde nur die Nase stören. Bevor mein Vater zur Beichte geht, nimmt er mich zu sich auf die Knie und läßt mich reiten. In diese Landschaft sind schon viele Kinder hineingeritten, viel Rabenfutter, viele weißhäutige kreischende Reiter, die, eh sie in Galopp verfallen, immer schon abstürzen in den Sumpf. Das Hemd meines Vaters riecht frisch und ist rauh, wenn ich meinen Kopf darin vergrabe, nachdem ich mich mit einem Schwung, der mich jedesmal schwindeln macht, emporgerafft habe aus dem Sumpf. Vater.
Haus. Unser Haus die Mitte des Gartens. Rosafarbene Wände, das Rosa von der Sonne gebleicht und schon brüchig. Mit dem Fingernagel fahre ich unter den Putz und breche ihn ab. Darunter kommt Ocker zum Vorschein. Wenn ich mit einem Stein gegen diese tiefergelegene Farbe klopfe, tut sich in den abgeschlagenen Inseln eine weitere Haut auf, die ist grau. Tiefer komme ichnicht, das Grau hält sich an den Wänden des Hauses ganzfest, womöglich ist dieses Grau das Haus selbst. Meine Mutter sagt: Laß das. Ich weiß schon, ich kann auch durch die Tür ins Haus gehen.
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