I.
An jenem Abend, an dem alles begann, war die Mafia für mich nichts weiter als eine dubiose Organisation aus wahlweise Italien, China oder Russland, von der ich zwar gehört hatte, die mich aber weder interessierte, geschweige denn etwas anging. Hätte mich jemand danach gefragt, wäre meine gleichgültige Antwort gewesen, dass ich Schutzgelderpressungen von der kleinen Pizzeria um die Ecke bloß aus Filmen kenne, in denen irgendein Commissario mal wieder allein gegen die Mafia kämpfte.
Ein paar Stunden später hätte ich ganz was anderes gesagt.
An jenem Abend war ich eine langweilige graue Maus mit einem unscheinbaren, langweiligen Leben. Ich arbeitete in der Firma meines Vaters in der PR-Abteilung, was am Anfang ziemlich spannend gewesen war. Da aber jeder Job nach zehn Jahren Routine wird, blieb auch mir das nicht erspart. Noch eine Routine hatte sich eingeschlichen: mein Dauerverlobter Alex. Natürlich arbeitete er auch für meinen Vater und war nicht interessanter als der Rest meines Lebens. Trotzdem war ich gar nicht mal so unzufrieden, obwohl ich mir zuweilen wünschte, es würde endlich mal was passieren – nicht dass ich hätte sagen können, was genau das sein sollte. Im Großen und Ganzen jedenfalls hatte ich es mir bequem eingerichtet mit Alex, einer netten Eigentumswohnung und zweimal Urlaub im Jahr.
Ich saß mit meinen Freundinnen imLa Piazzetta, vor uns standen Pasta mit Sahnesößchen, wir tranken Rotwein dazu und lästerten über alle, die gerade nicht da waren. Alles wie immer. Nach zwei Stunden ungehemmten Lachens waren wir wieder so weit aufnahmebereit, um uns an das Dessert zu machen. Es spielte keine Rolle, dass die meisten von uns lieber auf den Nachtisch hätten verzichten sollen.
Ines winkte Enrico, dem Kellner, der uns mit vergnügtem Lächeln und in einem netten Mischmasch aus Deutsch und Italienisch nach unseren Wünschen fragte. Pannacotta, Tiramisu, Cassata, Tartufo. Die Auswahl war so groß wie kalorienreich. Wir schwatzten weiter und achteten gar nicht darauf, dass die Kellner nicht wie gewohnt zwischen den Tischen hindurcheilten, sondern auf rätselhafte Weise verschwunden waren. Bis Ines meinte: „Das dauert aber heute mit dem Dessert. Allmählich krieg ich wieder richtig Hunger!“
Auch mein Magen meldete sich gerade unüberhörbar. „Ich frag mal, wo der Nachtisch bleibt“, verkündete ich und ging hinüber zur Theke, hinter der Enrico stand.
„Sie haben uns doch wohl nicht etwa vergessen?“, fragte ich lächelnd.
„No,no, Signorina, das Dessert kommt sofort.“ Er lächelte ebenfalls, allerdings wirkte das bei ihm etwas gequält, sein Blick huschte zur Tür, die in die Küche führte.
Etwas unsicher hakte ich noch einmal nach. „Ist alles in Ordnung?“
Den Blick nicht von der Tür nehmend, antwortete Enrico geistesabwesend – und zum ersten Mal seit ich ihn kannte vollkommen akzentfrei: „Sicher, geht gleich weiter.“
Ich zuckte mit den Schultern und wandte mich ab, da hörte ich aus der Küche laute Stimmen und Geräusche, die an eine Schlägerei erinnerten. Ich blieb stehen. In der Küche fiel etwas mit lautem Scheppern zu Boden. Ich schaute Enrico an, der blass geworden war.
„Bitte, Signorina“, brachte er schließlich heraus und fand dabei nur mit Mühe sein Lächeln – und den Akzent – wieder. „Setzen Sie sich, ich bin sofort für Sie da.“
Als ich zu unserem Tisch zurückkehrte, merkte Susanne gleich, dass etwas nicht stimmte. „Ich könnte wetten, dass da was im Busch ist“, erklärte ich und berichtete von den Geräuschen aus der Küche.
„Schutzgelderpressung!“, sagte Elke sofort.
„Quatsch!“, protestierte Susanne. „Wir sind doch hier nicht beimPaten! Das ist nur diePiazzetta.“
„Na und?“, gab Elke zurück. „Egal, was es ist, wenn da eine Schlägerei im Gange sein sollte, müssen wir auf jeden Fall die Polizei rufen.“
„Wegen einer Streiterei in der Küche