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Verblichen wie das Bild eines körnigen alten Röhrenbildschirms hing der Himmelüber dem Skyway. Vereinzelt lösten sich staubige Wirbel aus der monochromen Fläche. Sie purzelten abwärts, als seien sie der Schwerkraft unterworfen, und verfingen sich auf dem Weg nach unten in der Stahlkonstruktion, die die Giga-Mall mit der Bahnstation verband. Pfeifend jagten sie einander durch die Zwischenräume der Verstrebungen, um schließlich, ihres Treibensüberdrüssig, die launische Verstimmung an den Kohlefasertrossen auszulassen, die mit langgezogenem, unwilligen Knarren reagierten. Bald hier, bald dort wickelten sich die Windquirle um Trossen und Pfeiler, peitschten gegen den unbewegten Stahl, heulend vor Kränkung oderÜbermut, wie in einem Kinderspiel, das aus einem Haufen absurder, willkürlicher Regeln besteht. Auf der Oberseite der Brücke trat Ashur aus der Plastglaskapsel der Station hinaus ins Freie. Ungerührt ließ es sich von den Menschen anrempeln, die es eiliger hatten und sich an ihm vorbeiquetschten. Eine frontale Bö krallte sich in seine Rippen. Sie fuhr ihm unter die Kleidung und ließ seine Mantelschöße flattern, trotz ihrer kunstledernen Schwere.
Mit gesenkten Stirnen und zusammengekniffenen Mündern stemmten sich die Neuankömmlinge gegen den Wind. Ashur hob den Kopf und sog die Luft ein. Der Wind war scharf. Nicht aufgrund seiner Stärke, sondern wegen des salpetrigen Nachgeschmacks, den er auf der Zunge hinterließ. Es war eine Schärfe, die man erst nach ein paar Atemzügen wahrnahm. Ein charakteristisch-ätzendes Prickeln auf den Schleimhäuten. Der Wind musste von der Peripherie herüberwehen. Die Rache des Chemieabfalls, der dort draußen vor sich hin rottet, dachte Ashur.
Pai war ein paar Schrittlängen voraus. Wie jeden Tag hatten sich Schlangen vor dem Freizeitzentrum gebildet. Ein keilförmiger Sog aus wogenden Schultern, dessen Spitze von der Glaskuppel der Mall verschluckt wurde. An dem Seufzen verdrängter Luft hinter sich hörte Ashur, wie die Schwebebahn dabei war, einen neuen Schwall Menschen auszuscheiden. Leiber quollen nach und verursachten Stockungen auf demÜbergang. Unter den Sohlen kaum merkliche Vibration. Flüchtig fragte sich Ashur, ob sie vom Gleichschritt der Menschenkolonne erzeugt wurde, vom Wind oder von den winzigen Explosionen der Fusionsmotoren drunten. Es klang wie das Schlagen von Millionen rasender Herzen. Ashur stellte sich eine Horde in Panik versetzter Ratten vor, die unter der Brücke hindurchhetzte, auf der Flucht vor irgendetwas.
Ein Stück vor ihm in der Menge tanzte Pais schwarzer Bob auf und ab. Für einen Moment sickerte Sonnenlicht durch den Smog. Ashur verengte die Augen zu Schlitzen und sah in die Ferne. Jenseits des gläsernen Doms glitzerten die zerbrochenen Sonnenkollektoren der Arcologien. Nutzlos seit der suburbanen Deckelung. Niemand dachte daran, sie zu reparieren. Trotz des Andrangs ging es zügiger voran als erwartet. Sie mussten neue Eingänge geschaffen haben. Oder aber sie nahmen es momentan mit den Sicherheitsmaßnahmen nicht so genau, wie immer, wenn sich lange keine Anschläge ereignet hatten.
Pai und Ashur waren kaum mehr zehn Schritte von den Iriserkennungsgeräten entfernt. Ashur ergriff eine unterschwellige Anspannung. Endlich drehte Pai sich zu ihm um.„Verdammter Wind“, fluchte es, so laut, dass die Wartenden es hören konnten– wenn sie denn auf die beiden geachtet hätten. Ashur sah, wie Pai sich die Augen rieb und dabei die Linsen routiniert im Hemdsärmel verschwinden ließ.
Der Scanner senkte sich auf Pais Augenhöhe, und schon ertönte die körperlose Stimme:„Passieren.“ Zum abertausendsten Mal an diesem Tag. Die Prozedur dauerte keine Sekunde.
„Passieren“, sagte das Gerät auch zu Ashur.„Passieren“, im Schrittrhythmus derer, die die Giga-Mall betraten. Oder aber die Schritte der Menschen hatten sich im Laufe der Zeit dem Takt des Geräts angepasst. So genau wusste das keines mehr. Mit einem gestresstenRatsch spuckte der Automat ihre gefälschten ID-Karten aus. Blinkte:Autorisiert.Nächste Karte.
Techniker, las Ashur darauf, als es seine Karte wieder an sich nahm, und verkniff sich ein Grinsen. Typisch. Für Pai musste es immer etwas Besonderes sein. Sich einen zu hohen Rang in der Arbeitshierarchie anzumaßen, könnte unwillkommene Aufmerksamkeit erregen. Der VermerkTechniker hingegen war neutral. Gute Mittelschicht. Teileingeschränkter Netzzugang.Techniker standen eine StufeüberServicepersonal und zweiüberKontraktern. Die meisten ID-Karten wiesen ihre Inhaber alsKontrakter aus.
Auch den Metalldetektor, ein Relikt vergangener Tage, passierten sie problemlos.
„An dem Tag, an dem sie DNA-Erkennungsgeräte an die Eingänge stellen, kotz ich in die Ecke“, knurrte Pai, sobald sie sich von den Sicherheitsschranken entfernt hatten. Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung wischte es sich&uu