: Lotte Kinskofer
: Nur mir ganz allein
: hey! publishing
: 9783942822657
: 1
: CHF 3.60
:
: Erzählende Literatur
: German
: 245
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Völlig unterschiedliche Lebensentwürfe, aber ein gemeinsames Hobby: Sechs Frauen gründen eine Band. Die Musik, die sie verbindet, verändert ihr Leben, und schon bald ist nichts mehr, wie es war. »Das Klavier stand verschlossen im Wohnzimmer, die Jungs interessierten sich nicht für Musik - und ihr Mann wollte ?den Kasten?, wie er sagte, schon verkaufen, aber dagegen hatte sie gekämpft. Der ?Kasten? erinnerte sie an Zeiten, in denen sie Träume hatte«. Abgesehen vom täglichen Klavierspiel führt die verwitwete Margarete ein eintöniges Leben. Karin hingegen hat einen allzu fürsorglichen Mann an ihrer Seite. Carla kämpft sich durch den Alltag als treu sorgende Ehefrau und Mutter, während ihre alleinerziehende Schwester Gabi dem Traum vom Märchenprinzen nachjagt. Bei Elena steht die Karriere im Mittelpunkt, und die Studentin Patricia gibt sich geheimnisvoll. Sechs Frauen, die nichts verbindet. Bis auf eines: die Liebe zur Musik. Das ungewöhnliche Sextett feiert Erfolge mit alten Revue-Liedern und erhält als Krönung ein Engagement für eine Donau-Kreuzfahrt. Auf engstem Raum lernen sich die Frauen erst richtig kennen. Fassaden bröckeln und leise Zweifel werden laut: So unterschiedliche Charaktere in einer Band, kann das gut gehen? Als die Situation eskaliert, muss jede der Frauen auf eigene Weise erfahren, wie schmerzhaft - aber auch heilsam - Aufrichtigkeit sein kann. »Nur mir ganz allein« ist ein einfühlsam erzählter Roman über den Wunsch, dem Alltag zu entfliehen, und über die Möglichkeit, den Traum vom Glück zu leben.

Lotte Kinskofer wurde 1959 in der Nähe von Regensburg geboren. Nach dem Studium der Germanistik, Anglistik und Kommunikationswissenschaften arbeitete sie als Redakteurin und Journalistin bei verschiedenen Zeitungen. Heute lebt sie in München und schreibt als Autorin und Drehbuchautorin für Kinder, Jugendliche und Erwachsene.

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Das Mädchen, das die Tür aufmachte, hatte ein T-Shirt an, sonst nichts. Barfuß und ohne Hose stand Julia da und starrte Gabi an. Dann drehte sie sich um und brüllte:»Mama, es ist die Tante Gabi!« Gleichzeitig fing sie an zu pinkeln und unter ihr bildete sich eine große Pfütze. Das ist meiner Tochter mit vier Jahren nicht mehr passiert, dachte Gabi. Carla kam aus der Küche, einen zweijährigen Jungen auf dem Arm, der ihr gerade die Haare mit zerkauten Keksen verschmierte. Sie wirkte genervt.

»Paul, lass das, entweder du isst den Keks oder… Und Julia, kannst du nicht aufs Klo gehen wie andere…«

»Aber ich wollte doch«, brüllte Julia zurück,»dann hat es geklingelt. Und du, du…«

Carla fuhr Julia durchs Haar und schob das Mädchen Richtung Toilette.

»Jetzt mach dich sauber und zieh dich wieder an. Und du sollst nicht immer die Hose ganz ausziehen, nur weil du musst.« Julia maulte kurz, verschwand aber, während Paul intensiv das Sweatshirt seiner Mutter mit Keksbrei bekleckerte.

Carla achtete nicht darauf. Sie sah ihre Schwester, die wie ein Storch zur Tür hereinstelzte, sehr bemüht, Julias Pfütze aus dem Weg zu gehen. Gabi trug einen schicken Hosenanzug, das lange aschblonde Haar zu einer aparten Frisur hochgesteckt– anders als Carla, die im alten Jogginganzug rumlief, die ungewaschenen Haare mit einem Gummi zusammengebunden, Mit einer schnellen Bewegung hievte Carla Paul auf den Arm ihrer Schwester und lief fort, um einen Lappen zu holen. Während sie aufwischte, setzte Paul sein Zerstörungswerk fort.»Keks«, sagte er, nahm die weichen Reste davon aus dem Mund und klebte sie Gabi auf die Brille. So weit Gabi auch den Kopf nach hinten beugte, sie entkam Paul nicht.

Amüsiert sah Carla zu.

»Paul wird mal Maurer«, verkündete sie.»Gestern hat er mit seinem Keks-Spucke-Brei die Schlüssellöcher im Haus zugepappt. Das Zeug ist angetrocknet und ich hatte zwei Stunden zu tun, um die Türen wieder sauber zu kriegen.«

Gabi verzog das Gesicht. Sie stellte ihren Neffen auf den Boden und putzte sich die Brille, doch Paul begann sofort zu brüllen. Seufzend hob Carla das Kind hoch. Sofort war Ruhe. Gabi setzte ihre Brille wieder auf und beäugte skeptisch die Szene. Sie sagte nichts, aber Carla konnte ihre Gedanken lesen.

»Jetzt komm erst mal rein. Ich hoffe, du hast Kuchen mitgebracht, ich bin nicht zum Backen gekommen.« Carla winkte mit dem Kopf in Richtung Küche.

»Wusste ich’s doch«, murmelte Gabi, als sieüber den Bagger und etwa fünfzig kunterbunte Legosteine hinweg in Richtung Küche stakste.

»Es ist Vollwertkuchen«, verkündete sie.

Julia kam inzwischen vollständig bekleidet wieder herein. Sie sah auf den Kuchen, den Gabi gerade auspackte.

»Iih«, schrie sie,»der ist scheißebraun, den möchte ich nicht.« Dann war sie wieder weg. Gabi sah Carla verunsichert an. Die lenkte ab.

»Mach schon mal Kaffee und deck den Tisch. Ich lege den Kleinen hin. Der hatte noch keinen Mittagsschlaf. Wenn wir Glück haben…«

Carla war schon zur Tür hinaus.

Gabi sah sich in der völlig chaotischen Küche um. Sie nahm die mit Ketchup verschmierten Kinderteller vom Tisch und räumte sie in die Spülmaschine, wischte den Tisch ab, suchte zwei saubere Tassen, setzte Kaffee auf und drapierte ihren mitgebrachten Kuchen ordentlich auf einen Teller. Immer wieder knirschte es unter ihren Füßen, und sie bereute es, sich nach der Schule nicht umgezogen zu haben.

Carla kam zurück und grinste.»Glück«, sagte sie,»sogar sehr viel Glück. Paul ist eingeschlafen und Julia hockt in ihrem Zimmer und hört Kassetten. Der Nachmittag ist gerettet.«

»Muss das immer so sein?«

Carla zuckte die Schultern.

»Ich kenne keinen Haushalt mit Kindern, wo es anders ist. Sie machen Lärm, sie machen Schmutz, sie versuchen, ihren Willen durchzusetzen.«

»Mit Jana war das nicht so.«

Carlas Augen wurden schmal, ihr Gesichtsausdruck war ernst.»Du hast doch deine Tochter kaum gesehen. Sie hat fast die ganze Woche bei unseren Eltern verbracht. Du hast dich bloß abends und am Wochenende um sie gekümmert.«

Gabi sah ihre Schwester wütend an.

»Ich hatte keine andere Wahl. Ohne Mann, der ordentlich verdient, so wie bei dir. Das war eine harte Zeit– allein mit Kind, und es ist immer noch hart. Aber so…«– Gabi warfeinen angeekelten Blick auf den Herd und die Spüle–»… so hat es bei mir niemals ausgesehen.«

Carla wollte aufbrausen, doch dann zuckte sie nur die Schultern und holte die Kaffeekanne. Gabi nutzte diesen Augenblick, um den Stuhl kurz mit einem Tuch abzuwischen, bevor sie sich darauf setzte. Carla schenkte ein und ließ sich mit einemächzenden Ton auf den Stuhl fallen.

»Erzähl mir etwas von der Welt da draußen«, forderte sie ihre Schwester auf.»Sag mir einfach, was da so passiert, was geboten ist, womit sich die Menschen beschäftigen, wenn sie nicht den ganzen Tag Kinder hüten und Wäsche waschen.«

Gabiüberlegte, ob sie noch mal auf das Thema›Der richtige Umgang mit kleinen Kindern‹ zu sprechen kommen sollte, dann aber ließ sie es.

»Ich bereite gerade das Schulkonzert vor. Wir spielen Albinoni und Vivaldi– und vielleicht trete ich auch selbst auf, als Solistin, mit Haydn.«

Carla rührte in ihrer Tasse und versuchte einen müden Augenaufschlag.

»Mögen die Kids so wasüberhaupt?«

»Warum sollte ihnen das keinen Spaß machen, mir hat das immer gefallen.«

Carla nickte. Sie konnte sich erinnern. Dieältere Schwester hatte schon immer zwei Ziele: möglichst schön Geige zu spielen und einen Mann zu finden. Ersteres war ihr gelungen, Letzteres schien sich zu einer Lebensaufgabe auszuwachsen. Die perfekte Gabi, in diesem Punkt versagte ihre Planung kläglich. Das Kind kam während des Studiums. Unbeirrt setzte si