KAPITEL 6
Was passiert in einer Ehe, die auf ihre Auflösung zusteuert? Ist sie wie ein leckgeschlagenes Schiff, das unweigerlich sinken wird, oder kann sie noch in der Werft repariert werden? Kann ein Blick, ein Gespräch, eine Berührung allesändern? Oder viele Gespräche, unter professioneller Anleitung, eine Therapie, wie ich sie Jahre zuvor vorschlug?
Wir hätten zusammenbleiben können. Vielleicht hätten wir es auch sollen, der Kinder wegen, des Versprechens wegen. Immer, wenn Probleme auftraten, waren wir ein gutes Team, wenn Anfeindungen von außen auftauchten, Gefahren. Aber nicht, wenn alles dahin plätscherte. Dann suchten wir das Abenteuer, aber jeder für sich. Der eine auf der Rennstrecke, im Adrenalinrausch, die andere in der Bar, wo egostreichelnde Männerblicke und Endorphine lauerten.
„Lass uns eine Eheberatung machen“, hatte ich gebeten, als der Sex immer seltener und schaler, die wahren Gespräche immer weniger wurden.
„Warum das denn? Finde ich unnötig. Aber wenn du darauf bestehst.“ Er blätterte weiter in der Motorradzeitung, während er darauf wartete, dass die Tour de Franceübertragen wurde.
Ich bestand nicht darauf.
*
Eine wahre Berührung kann allesändern. Nur kam diese nicht von Stefan.
Ich konnte nicht aufhören, an Tom zu denken. Erschwerend kam hinzu, dass ich ein obsessiver Charakter war. Egal welcher Gedanke, welches Gefühl sich in meinem Kopf festsetzte, er wuchs, wurde bestimmend, dominierte mich.
Am Donnerstag ging ich wieder ins Bereuther. Meine Freundin Carina hatte drei ehemalige Stewardessen-Kolleginnen mitgebracht, Nicole, Betty und Andrea.Sex and the City live in Hamburg. Ich bestellte eine Weinschorle, denn ich musste ja noch fahren. Die anderen drei tranken Wodka Red Bull.
Der Freund von Nicole kam immer mittwochs und sonntags zum Vögeln vorbei, sonst sahen sie sich kaum. Sie gingen nie essen, nie aus, nie war sie bei ihm. Dafür brachte er ihr von seinen zahlreichen Reisen immer Bulgari-Schmuck mit. Lief das schon unter Gefälligkeitsprostitution? Aber was wusste ich schon mit meinem biederen Leben im Vorort. Einem Leben, das ich so gewollt hatte, und das mir nun zu eng wurde wie ein eingelaufener Wollpullover, der zwickte und kratzte.
Andrea hatte sich gerade frisch die Brust vergrößern lassen.„Für Wurst-Fesche!“, lästerten die anderen, wenn sie auf dem Klo war, und starrten ihr dennoch neidisch ins Dekolleté, wenn sie zurückkam. Sie präsentierte ihre Brüste wie Trophäen.
„Wer?“ Ich war mal wieder nicht auf dem Laufenden.
„Na, ihr Kerl. Der hat eine Würstchenbude. Scheffelt ordentlich Geld“, klärte mich Carina auf.
Die dritte, Betty, hatte gar keinen Typen. Stattdessen träumte sie davon, endlich einen echten Flugkapitän aufzureißen, den sie schnellstens heiraten und mit ihm Kinder kriegen konnte. Ob sie den hier finden würde, war fraglich.
„Du musst unsere Geschichten aufschreiben!“ hatte Nicole gefordert, als Carina ihr, Betty und Andrea von meiner Schreiberei erzählt hatte. Ich grinste säuerlich, als die anderen drei mit einstimmten und mir klar wurde, dass jeder Part vergeben war und sie mich langweiliges Ehefrauchen nur als Protokollantin ihrer sexuellen Eskapaden wollten. Nicole ließ sich für Bulgari-Schmuck von ihrem dicklichen Investmentbanker vögeln, die andere ließ ihre Doppel-Ds von Wurst-Fesche befummeln, und Betty versuchte zu krampfhaft, sich ihren Piloten-Traum zu erfüllen.
Carina führte eine durch und durch unglückliche Ehe, deren erotisches Brachland sie nurüberlebte, indem sie sich Trost gönnte. Also pflegte sie eine Mittwochvormittag-Vögelei mit einem Studenten.
„Mit einem Studenten?“, fragten die anderen entsetzt, als handele es sich um eine ansteckende Krankheit.
„Na, ja, er ist schon 28. Aber studiert halt noch. Jura. Es ist ein bisschen blöd, weil er in einer Studentenbude mit nur einem Zimmer haust. Aber Mittwoch ist sein Mitbewohner nicht da und ich gehe offiziell zum Sport. Dann lasse ich mich so richtig verwöhnen.“
Sie nahm einen großen Schluck und lächelte dem Barkeeper zu, der ihr ungefragt einen neuen Drink servierte.
„Ich verstehe sowieso nicht, warum du so einen Akt daraus machst, damit Lars nichts spitzkriegt“, sagte Andrea.„Der verarscht dich doch sowieso nach Strich und Faden.“
Lars hatte sie schon einmal mit der Babysitterin betrogen, einem 20-jährigen Mädchen, die Carina als Ersatzmama unter ihre Fittiche genommen hatte. Sie war derÜberzeugung, dass es ein einmaliger Ausrutscher gewesen war. Alle anderen hi