1. Etymologie und Bedeutung des griechischen Begriffsleitourgia (von dem unser Wort »Liturgie« abstammt) liegen auf der Hand.Leitourgia (vonlaos, Volk, undergon, Werk) bedeutet »Dienstleistung für das Gemeinwesen« und bezeichnet, im klassischen Griechenland, die Abgabe, die die Stadt von ihren über ein bestimmtes Einkommen verfügenden Bürgern erhebt, um eine Reihe von Einrichtungen des öffentlichen Lebens zu unterhalten, vom Betrieb der Sportanlagen und der Durchführung der sportlichen Übungen (gymnasiarchia) bis zur Inszenierung der Chordarbietungen bei den städtischen Festen (chorēgia, zum Beispiel die tragischen Chöre bei den Dionysien), vom Kauf von Öl und Getreide (sitēgia) bis zu Bewaffnung und Einsatz einer Triere (triēarchia) im Kriegsfall, von der Entsendung einer städtischen Delegation zu den delphischen oder olympischen Spielen (architheōria) bis zum Vorschuss, den die fünfzehn reichsten Bürger auf das Steueraufkommen aller Steuerpflichtigen leisten mussten (proeisfora). Es handelte sich sowohl um dingliche als auch um körperliche Leistungen (»Jeder«, so schreibt Demosthenes, »liturgisiert sowohl mit seinem eigenen Körper als auch mit seinen eigenen Gütern«,tois sōmasi kai tais ousiais lēitourgēsai:IV Phil.,28), die, auch wenn sie vom Rat (archai) nicht aufgelistet waren, zur »Sorge um das Gemeinwohl« gehörten (tōn koinōn epimeleian: Isokrates,7,25). Auch wenn die Last der Liturgien bisweilen extrem schwer ausfiel (das Wortkataleitourgeiō bedeutete »sich durch Liturgien ruinieren«) und manche Bürger (die aus diesem Grunddiadrasipolitai, »Bürger auf der Flucht«, genannt wurden) mit allen Mitteln versuchten, sich ihnen zu entziehen, so galt die Zahlung der Liturgien doch als ein Mittel, um sich Ehre und Ruhm zu erwerben, so dass viele (beispielhaft ist der Fall eines Bürgers, der, wie uns Lysias berichtet, in neun Jahren mehr als20000 Drachmen in Liturgien ausgegeben hatte) sogar freiwillig in zwei aufeinanderfolgenden Jahren Liturgien entrichteten, obwohl sie dazu nicht verpflichtet waren. Aristoteles warnt in derPolitik (1309a18–21) daher vor »kostspieligen und dabei nutzlosen Liturgien, wie Ausrüstungen von Chören, Tragung der Kosten für Fackelläufe und dergleichen«.
Da auch die Ausgaben für den Kultus die Gemeinschaft betreffen (ta pros thous theous dapanēmata koina pasēs tēs polēos estin), kann Aristoteles schreiben, dass ein Teil des gemeinschaftlichen Grundbesitzes den Liturgien für die Götter zugewiesen werden soll (pros tous theous leitourgias: ebd.,1330a13). Dieser Gebrauch des Begriffs im Zusammenhang mit dem Kultus, den wir später, mit einer bemerkenswerten Kontinuität, sowohl im Judentum als auch bei den christlichen Autoren wiederfinden, ist in den Lexika vielfach belegt, aus epigraphischen wie literarischen Quellen. Darüber hinaus wird, wie in solchen Fällen üblich, die technisch-politische Bedeutung des Begriffs, bei der der Bezug zur Gemeinschaft immer im Vordergrund steht, auch auf Dienstleistungen ausgedehnt, die nichts mit der Gemeinschaft zu tun haben, bisweilen auch auf scherzhafte Weise. Wenige Seiten nach der angeführten Stelle spricht Aristoteles in diesem Sinne, bei der Erörterung des richtigen Alters für die geschlechtliche Fortpflanzung, von einem »öffentlichen Dienst der Kindererzeugung« (leitourgein … pros tecnopoiian: ebd.,1335b29); mit noch klarer ausgeprägter Ironie erwähnt er in einem Epigramm »die Liturgien« einer Prostituierten (Anth. Pal.,5,49, I). Es ist nicht ganz korrekt zu behaupten, dass in diesen Fällen »die Bedeutung des Worte