: Alfred Döblin
: Berge Meere und Giganten Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104024868
: 1
: CHF 13.00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 688
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein Meilenstein des utopischen Romans Megacities, Gentechnik, abschmelzendes Grönland-Eis - viele Themen dieses apokalyptischen, bildgewaltigen Zukunftsromans sind längst zu Themen unserer Gegenwart geworden. Döblins beunruhigende Frage »Was wird aus dem Menschen, wenn er so weiterlebt?« ist der Antrieb eines utopischen Erzählens zwischen Science& Fiction, das ?Berge Meere und Giganten? mit Romanen wie George Orwells ?1984? oder Frank Schätzings ?Der Schwarm? verbindet. Mit einem Nachwort von Gabriele Sander.

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.

Erstes Buch


Die westlichen Kontinente

ES LEBTE niemand mehr von denen, die den Krieg überstanden hatten, den man den Weltkrieg nannte. In die Gräber gestürzt waren die jungen Männer, die aus den Schlachten zurückkehrten, die Häuser übernahmen, welche die Toten hinterlassen hatten, in ihren Wagen fuhren, in ihren Ämtern dienten, den Sieg ausnutzten, die Niederlage überstanden. In die Gräber gestürzt die jungen Mädchen, die so schlank und blank über die Straßen gingen, als wäre nie ein Krieg zwischen Männern in Europa gewesen. In die Gräber gestürzt die Kinder dieser Männer und dieser Frauen, die heranwuchsen, an den Häusern bauten, die sie übernommen hatten, die Fabriken bevölkerten, die die Toten errichtet und stehen gelassen hatten.

Geschlecht um Geschlecht war wie von einer langsam rutschenden Wand umgelegt worden. Sie begaben sich in die dunklen Wohnungen, die die Elemente bereiteten. Hinter ihnen wurden schon die neuen Geschlechter emporgehoben, fluteten aus geöffneten Schleusen über die verlassene Welt.

Immer waren wieder blanke junge Mädchen da. Junge Männer mit glänzendem zurückgekämmtem Haar, lebhaften Augen, frischen Mündern und Backen, die gern lächelten. In den Alleen Alte an Stöcken mit abwesenden Blicken, und winzige Geschöpfe in weißem Leinenzeug, die mit schrumpfligen Fingerchen sich vor das blinzelnde rosige Gesicht griffen. Am Himmel bewegte sich das stille blitzende Licht, das morgens erschien und abends unterging. Die Erde drehte sich in Tag und Nacht. Trug Erdteile Meere Gebirge Flüsse mit sich. Gab von Jahr zu Jahr neuen Sommer und Winter von sich. Wälder wurden von ihr hochgewälzt; sie stürzten ein; sie trieb neue auf. Schmetterlinge hauchte sie für ein paar Tage hin. Fische Landtiere Vögel Ameisen Käfer Schnecken wuchsen und zerfielen.

Die Menschen der westlichen Völker hinterließen ihren Nachkommen das Eisen die Maschinen, Elektrizität, die unsichtbaren stark wirkenden Strahlungen, die Berechnung zahlloser Naturkräfte. Man hatte Apparate von ungeheurer Macht. Wie die neuen Menschen ins Leben traten, jubelten sie über die Aufgabe, die vor ihnen lag. Es war ihnen gleich, daß ihnen der Weg vorgezeichnet war; sie und dieser Weg konnten sich nicht trennen. Diese Maschinen, Apparate, für die die glanzvollsten reichsten Lehrstätten gegründet wurden, die die anderen Wissenschaften verdrängt und banal gemacht hatten, unernst und ärmlich, wurden Saugapparate, die von Jahrhundert zu Jahrhundert, zuletzt von Jahrzehnt zu Jahrzehnt intensivere Kraft entfalteten.

Wie die Apparate und Einrichtungen da standen, sprühend an Vermögen, wurden die Menschen gedrängt, sie über die Länder zu führen. Die Erfindungen waren Zauberwesen, die ihnen aus den Händen glitten und sie hinter sich herzogen. Die Menschen fühlten, es war ihr Wille, der vor ihnen flog.

Um Europa und Amerika lagen die Länder, denen man die Macht der Apparate zeigen mußte, wie ein Liebhaber seine süße Geliebte strahlend über die Straßen führt. Jeder bewundernde Blick fährt ihm wonnig ins Herz; er geht neben ihr, ihren Arm haltend, die ihn verschämt anblickt, blickt stolz nach allen Seiten. Sie drangen in die östlichen und südlichen Kontinente ein. Die Winde der Atmosphäre flossen um die Erdkugel, strömten von wärmerer nach kälterer Erde, stiegen auf, flossen oben ab. Sie wehten, die heiße Zone verlassend, nach Süden und Norden hin; die drehende Er