: Ottilie Arndt, Lydia Ostermeier
: Eibengift
: hey! publishing
: 9783942822602
: 1
: CHF 4,40
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 307
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Die mystischen Eiben sind die Quelle der Inspiration für drei Malerinnen. Ihnen gilt ihr ganzes Können, ihre Hingabe. Die internationale Anerkennung scheint zum Greifen nahe. Doch dann geschieht das Unfassbare: Zwei der Malerinnen werden mit Eibengift ermordet. Man findet sie als groteske Inszenierung ihrer eigenen Gemälde im Paterzeller Eibenwald. Der Fall wird noch mysteriöser, als die dritte Malerin geknebelt und gefesselt in London aus einem Hafenbecken gefischt wird. Otto Fechter, skurriler Urmünchner, und Renate Wörlein, wehrhafte Nürnbergerin, tauchen bei ihren Ermittlungen tief ein in die Licht- und Schattenseiten des Kunstbetriebs. Die Spuren des Verbrechens führen sie nach Oberbayern in den Eibenwald von Paterzell und nach Oberfranken in den Eibenwald von Gößweinstein.

Ottilie Arndt studierte Pädagogik und Kunstgeschichte, war als Lehrerin tätig, arbeitete daneben in der Redaktion einer Kinderzeitschrift und veröffentlichte zahlreiche Kurzgeschichten. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Südamerika promovierte sie in Erziehungswissenschaften und Soziologie und arbeitete in der internationalen Bildungsforschung. Unter dem Autorennamen"Lena Bloom" schrieb sie drei Nürnberg-Krimis. Lydia Ostermeier studierte Pädagogik und Kunstgeschichte und arbeitete danach als Lehrerin und zusätzlich als Tutorin an der Ludwig-Maximilians-Universitä in München. Als Schulleiterin im Raum München wurde sie zudem von der Regierung von Oberbayern mit dem Kommunikationstraining für Lehrkräfte beauftragt. Sie arbeitete an einer Reihe von Schulbüchern mit, verfasste Fachbeiträge und entwarf Kurzgeschichten.

EINS


»Die weiße Perle am Ammersee!«

Kriminaldirektorin Renate Wörlein ließ ihre Augenüber den imposanten Bau wandern. Breit und behäbig ragte er am Ufer des Sees auf. An dem vorspringenden Mittelbau der weißen Villa war nicht an Blendsäulen und Halbpilastern gespart worden. Links und rechts vom dreistöckigen Mittelbau zogen sich Arkadenbögenüber die Quertrakte. In den Bogenfenstern spiegelte sich das letzte Licht dieses Freitagabends im Mai. Alle vier Eckpunkte des Gebäudes wurden von Erkeranbauten flankiert, die in spitzen Giebeltürmchen endeten.

Versonnen betrachtete sie die vier kupfernen Harfespieler auf den Spitzgiebeln, die in ihrer grünen Patina ins Land grüßten, und wiederholte:»Die weiße Perle am Ammersee. So heißt doch die Villa, nicht wahr, Otto? Sehr hübsch. Frisch restauriert. Hundert Jahre dürfte sie schon auf dem Buckel haben. Mitten im Naturschutzgebiet mit Blick auf Andechs, den heiligen Berg, das Wettersteingebirge und den See. Dein Conrad Desch hat entweder gut geerbt oder beim Kauf die Gunst der Stunde genutzt und mit Schmiergeld nicht gespart.«

Kriminaloberrat Otto Fechter schüttelte den Kopf.»Nichts dergleichen. Sein Urgroßvater hatte sich in diesen Winkel verliebt. Reich, wie er war, ließ er sich gern als großer Mäzen in der Kunstszene rund um den Ammersee feiern. Hier in Holzhausen waren sie alle einquartiert. Bei deren legendären Festen war er mit Begeisterung dabei. Ja, so mancher Künstler hätte buchstäblich von Luft leben müssen, wäre da nicht der alte Desch gewesen. Aber er hatte auch einen untrüglichen Blick für Qualität. Mit Schmieranten und Möchtegernkünstlern machte er kurzen Prozess. Die warf er kurzerhand aus dem Haus, mitsamt ihrer Leinwand. Und das ist nicht bildlich gemeint.«

Renate hörte interessiert zu, während sie sich der Villa weiter näherten.»Und siehe da, das künstlerische Qualitätsgen ist direkt auf den Urenkelübergesprungen. Desch ist doch berühmt für seine Spürnase. Hat er jemals einen Fehlgriff getan?«

»Nein.« Mehr konnte Otto nicht sagen, das ließ seine Kurzatmigkeit nicht zu.

Renate bemerkte das mit Sorge. Kein Wunder bei demÜbergewicht, das Otto mit sich schleppte. Gutes Essen hatte bei ihm einen nahezu erotischen Stellenwert. Es war sein Maß aller Dinge. Otto, dieser maßlose Genießer, war wie sie selbst Anfang fünfzig. Doch er war auf dem besten Weg, sich mit Messer und Gabel umzubringen. Sie kannten sich eine halbe Ewigkeit, genauer gesagt schon von der Ausbildung her, und hatten einige Verbrechen gemeinsam aufgeklärt. Das schweißte zusammen und war auch der Grund, warum sie sich um ihren langjährigen Freund Sorgen machte.

Endlich hatten sie das Portal erreicht und wurden sofort auf die Vernissage eingestimmt. Links neben dem Eingang, auf langen, biegsamen Stäben in unterschiedlichen Höhen angeordnet, wiegten sich fußballgroße rote Eibenbeeren.»Eibenelegie« hieß die Fiberglas-Installation, wie sie dem erklärenden Schild entnehmen konnten.

Ein junger Mann in rot-schwarzer Livree trat ihnen in den Weg. Er nahm ihre Einladungskarte auf einem Silbertablett entgegen und studierte sie eingehend. Wehte da nicht ein Hauch von Verachtung herüber, als er sie beide von Kopf bis Fuß musterte? Was sollte dasüberhebliche Hochziehen der linken Augenbraue? Renate beobachtete ihn verblüfft.

»Die letzte Zeile auf der Einladungskarte haben Sie wohl nicht gelesen«, merkte der Livreeträger mit näselnder Arroganz an.

Nun geschah Erstaunliches. Otto machte einen blitzschnellen Ausfallschritt, kam neben dem Livrierten zum Stehen und flüsterte ihm wenige Worte ins Ohr. Der stand daraufhin augenblicklich stramm undöffnete ihnen mit einer tiefen Verbeugung die Tür.

»Otto, du bist mir eine Erklärung schuldig. Was geht hier vor?« Renate bugsierte ihn in eine Nische des Eingangsbereichs.

Über Otto Fechters Gesicht glitt ein stillvergnügtes Grinsen.»Dem livrierten Lackaffen habe ich Folgendes erklärt:›Wenn du dir nicht sofort deine dümmliche Arroganz aus dem Gesicht wischst, erzähle ich deinem Chef, dass du zwei Jahre wegen Drogenbesitzes in Stadelheim abgesessen hast.‹ Mein visuelles Gedächtnis funktioniert nämlich noch einwandfrei.«

»Mag sein, aber was steht denn auf der Einladungskarte?« Sie riss Otto die Karte aus der Hand und las laut davon ab:»Große Abendgarderobe erwünscht.«

Renate wurde blass.

»Und das sagst du mir nicht, du Hornochse!« Die blanke Wut sprühte aus ihren Augen.»Wie steh ich denn jetzt da im kurzen Rock? Von dir ganz zu schweigen! Dein ausgebeulter Trachtenanzug fleht kniefällig nach einer Reinigung. Wenn eine Kleiderordnung erwünscht ist, dann will ich mich auch daran halten. Was machen wir jetzt? Reingehen geht ohne Abendgarderobe nicht, also heimgehen.«

Otto ließ Renates Wutausbruch ungerührtüber sich ergehen. Amüsiert verfolgte er, wie sich ihre blauen Augen vor Zorn verdunkelten und sie sich aufgeregt durchs Haar fuhr. Dass sie damit ihre Frisur ruinierte, war ihr offenbar gar nicht bewusst. Ungeschickt zupfte er ein paar der blonden Strähnen in Form und tätschelte ihre Hand.

»Selbstverständlich gehen wir hinein. An unserer Garderobe gibt es nichts auszusetzen. Du wirst schon sehen.«

Renate war davon keineswegsüberzeugt und folgte Otto nur widerstrebend in den Ausstellungsraum.

Dezente klassische Musik lag wie duftiger Chiffonüber dem großen Saal. Helles Lachen und die unterschiedlichsten Stimmlagen fügten sich nahtlos in den Klangteppich ein. Junge Mädchen in rotweiß gestreiften kurzen Kleidchen boten auf Tabletts Champagner und andere Getränke an. Renate und Otto griffen zum Champagner und blickten sich neugierig um. Die Wände, in zartem Rauchblau gehalten, wurden immer wieder durch weiße, flächige Jugendstilornamente aufgehellt. Eine gläserne Kuppel, die von außen gar nicht zu sehen war, ließ die