: Gerald Hagemann
: Mord bei Pooh Corner Roman
: hey! publishing
: 9783942822275
: 1
: CHF 4.40
:
: Krimis, Thriller, Spionage
: German
: 301
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
'Endlich! Alles, was Ihnen an 'Pu der Bär' immer gefehlt hat, worum Sie aber nicht zu bitten wagten: Sex& Crime& Rolling Stones.' Harry Rowohlt Robert Marley, Kriminalschriftsteller aus Brighton, braucht dringend Erholung. So fährt er nach Hartfield, einem Ort inmitten des Ashdown Forest, der Heimat von A. A. Milnes' Winnie-the-Pooh. Hier verspricht er sich jede Menge Ruhe und Frieden. Doch mit beidem ist es vorbei, als im Fluss bei Poohsticks Bridge die Leiche eines Jungen gefunden wird. Roberts Schwester Dorothy, Chief Inspector bei der Brighton Police, ermittelt vor Ort. Als ihre Recherchen allerdings Indizien ans Licht bringen, die auf einen Zusammenhang mit dem unaufgeklärten Tod von Brian Jones, dem Gründer der Rolling Stones, hindeuten, wird Dorothy schnell klar, dass der Fall komplizierter ist, als es zunächst den Anschein hatte ...

Gerald Hagemann, Jahrgang 1971, ist Autor, Kriminalhistoriker, Goldschmiedemeister, Hersteller von Zauberrequisiten und Mitglied des Magischen Zirkels. Er liebt Sherlock Holmes, Agatha Christie und den makabren angelsächsischen Humor. Als Kurator seines eigenen Kriminalmuseums und Autor von Romanen, Sachbüchern und Short Stories beschäftigt er sich hauptsächlich mit der britischen Kriminalgeschichte. Hagemann lebt mit seiner Familie in Lemgo. (c) Foto: Privat

1


Cotchford Farm, Sommer 1929.

George Tasker stützte sich schnaufend auf den Stiel seines Besens und wischte sich mit dem Hemdsärmel den Schweiß von der Stirn. Wie an jedem Samstag, dem wöchentlichen Zahltag, war er damit beschäftigt, den Weg vor dem Haus zu kehren, obgleich es dort eigentlich gar nichts zu kehren gab. Denn George hatte frei, und der Weg war sauber. Doch so, wie Mr. Milnes Sohn einmal bei heiterstem Sonnenschein mit einem Schirm bewaffnet unter einem Baum auf- und abmarschiert war und ständig»Tz, tz, es siebt nach Regen aus« gemurmelt hatte (derweil ein recht schmutzig aussehender Bär von sehr geringem Verstand, hochüber ihm in der Luft an einem blauen Ballon hängend, versucht hatte, sich den Anschein einer kleinen schwarzen Wolke zu geben), so spazierte auch der alte George an jedem Zahltag die Auffahrt zum Haus hinauf und hinunter– nur, dasser einen Besen in der Hand hielt und es ihm nicht um Honig ging, sondern darum, seinen Arbeitgeber möglichst unauffällig an den ausstehenden Wochenlohn zu erinnern. Denn George war entsetzlich schüchtern (noch etwas, was er mit dem Sprössling der Familie gemein hatte), und daher hatte er dieses Ritual kultiviert. Niemals wäre es ihm in den Sinn gekommen, etwa an die Haustür zu klopfen oder die Milnes direkt auf seinen Lohn anzusprechen. Also rannte er (für den Fall, dass man ihn vergessen hatte) vor dem Haus auf und ab und machte mit seinem Besen gerade so viel Lärm, dass man zwar seine Gegenwart bemerkte, er Mr. Milne jedoch nicht beim Schreiben störte.

Selbstverständlich wurde George niemals vergessen. Für gewöhnlich erschien Mrs. Milne schon nach wenigen Minuten an der Seitentür zum Garten, um ihn zu begrüßen– die ersehnte Lohntüte bereits in der Hand.

George tat dann jedes Mal so, als sei er völligüberrascht, sie zu sehen. (»Oh, guten Morgen, Madam. Was sagen Sie? Glück mit dem Wetter? Ja, recht haben Sie, das ist wirkliches Glück. Ein herrlicher Tag, nicht wahr? Kaum eine Wolke. Wie? Natürlich, die Pflanzen könnten wohl mal ein bisschen Regen vertragen. Was? Nein, ach Gott ja– der Wochenlohn. Hätt' ich gar nicht mehr dran gedacht, Madam. Wirklich, zu großzügig. Ja, danke, Madam. Ihnen auch einen schönen Tag.«) Und nachdem er das Geld entgegengenommen hatte, wedelte er meist noch eine Weile mit dem Besen herum– um bloß nicht den Eindruck zu erwecken, er sei allein wegen der Bezahlung hergekommen– und ging schließlich erleichtert und glücklich nach Hause.

Doch heute war irgendwie alles ganz anders.

Nun fegte er den Weg hinter dem Hauptgebäude schon seit fast zwanzig Minuten, ohne dass sich auch nur eine Menschenseele gerührt hätte. Nicht mal der kleine Christopher Robin war irgendwo zu sehen. Und der war definitiv ein Frühaufsteher. George ließ den Blicküber das sanft zum Bachlauf hin abfallende Putting Green schweifen und suchte die Sträucher und die Wipfel der Bäume, die die weite Rasenfläche umstanden, nach dem Jungen ab. Nichts. Cotchford Farm und der gesamte Besitz lagen ebenso verschlafen da wie Tattoo, die Hauskatze, die schnurrend bei der Sonnenuhr döste. Vermutlich, dachte George, war Christopher Robin bereits in aller Herrgottsfrühe aufgebrochen, um mit seiner geliebten Nanny Olive Rand und den berühmten Stofftieren in den Wäldern zu spielen.

Er sah wieder zum Haus hinüber. Die Fenster im oberen Stockwerk waren geöffnet und die Vorhänge nicht zugezogen; also konnte er ausschließen, dass die Milnes noch schliefen. Er zog seine Taschenuhr aus der Weste, um zu sehen, ob er vielleicht ein wenig zu früh dran war. Nein. Gleich elf. Er schüttelte sie heftig und hielt sie sich dann prüfend ans Ohr. Die Uhr schien in Ordnung zu sein. Seltsam. George krempelte dieÄrmel auf und fuhr fort, den imaginären Staub von den Steinen zu fegen. Aber egal, wie oft und wie lange er dabei zum Haus hinüberschaute, die verheißungsvolle Seitentür blieb verschlossen. Das konnte nur eines bedeuten: Er warvergessen worden!

»Hallo, Tasker!« Daphne Milnes Kopf tauchte so plötzlich zwischen den Rosensträuchern auf, dass George zusammenfuhr. Sie winkte ihm mit der kleinen Schere in ihrer behandschuhten Hand zu.

»Oh, hallo.« Er winkte verlegen zurück. Den Besen vor sich herschiebend, ging er langsam auf sie zu und blieb vor dem Beet mit den Rosen stehen. Mrs. Milne trug ihr schwarzes Haar kurz und ließ es sich stets nach der neuesten Londoner Mode frisieren. Zurzeit war wohl die Mollusken-Saison, denn für George sah es so aus, als ob zwei große Schneckenhäuser an Mrs. Milnes Schläfen klebten. Was es auch war, er fand sie hinreißend wie immer.

»Sie sind sicher wegen des Geldes gekommen. Aber Sie sehen ja, wie beschäftigt ich bin. Für drei Uhr hat sich so eine Journalistin aus London angemeldet, und bis dahin muss ich hier alles auf Vordermann gebracht haben. Tut mir leid, Tasker, aber da müssen Sie heute Alan bemühen.« Sie fasste einen der so zahlreich emporgeschossenen blassgrünen Wassertriebe ins Auge und schnitt ihn mit einer entschlossenen Bewegung ab.»Er ist im Haus.«

»Meinen Sie denn, er hat Zeit für mich, Madam?« George trat verlegen von einem Bein aufs andere. Das war genau die Sorte Gespräch, die er mehr fürchtete als den Tod. Er spürte, wie ihm der Schweiß auf die Stirn trat und seine Ohren rot wurden.»Weil– sonst machen Sie das doch immer. Ihr Mann hat doch sicher auch zu tun. Und ich möchte ihn ja nicht stören, wenn er…«

»A