: Hans Sedlmayr
: Verlust der Mitte Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit
: Otto Müller Verlag
: 9783701355372
: 1
: CHF 21.80
:
: Bildende Kunst
: German
: 263
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Im ersten Teil behandelt Sedlmayr die>>Symptome<<, wie z. B. den Wandel der vorrangigen Aufgaben der Architektur vom Landschaftsgarten zur Fabrik. Den Hintergrund solcher Entwicklungsreihen bilden die vier durch>>Gesamtaufgaben<< gekennzeichneten Stilepochen Romanik, Gotik, Renaissance und Barock, sodass im anschliessenden Teil Diagnose und Verlauf die um 1760 wurzelnde Moderne als Ende der Stilgeschichte erscheint. Die Diagnose mündet in den Übergang von>>der 'Befreiung' zum Ende der Kunst<<. Der abschliessende Teil Zur Prognose und Entscheidung enthält die Erwartung, dass die Moderne>>als Ganzes gesehen, gerade auch im Chaotischen, den Charakter eines>geschlossenen< Zeitalters<< gewinnen kann. Vorläufig erweist sich als ihr einigendes Kriterium das Leiden an der Gottferne, die nirgends in gleicher Weise zum Ausdruck kommt wie in der Kunst.

Hans Sedlmayr, österreich. Kunsthistoriker geboren am 18.1.1896 in Hornstein (Burgenland), gestorben am 9.7.1984 in Salzburg Verlust der Mitte, 1948 Durch seine Auffassung von Kunst als Symptom der kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklung sowie die monografische Interpretation exemplarischer Kunstwerke gewann Hans Sedlmayr auch außerhalb seiner wissenschaftlichen Disziplin breites Interesse. Der Sohn eines Gutsverwalters und späteren Professors für Ökonomie studierte in Wien an der Technischen Hochschule Architektur (1918 bis 1920), anschließend an der Universität bei den geisteswissenschaftlich orientierten Kunsthistorikern Max Dvorak (1874-1921) und Julius Alwin Ritter von Schlosser (1866-1938), dessen Nachfolge er 1936 antrat. Als Mitläufer der Nationalsozialisten 1945 entlassen, publizierte Sedlmayr zunächst als freier Autor unter Pseudonym und lehrte 1951-64 als Ordinarius an der Universität München. Nach seiner Emeritierung war er als Gast- und Honorarprofessor Vorstand des kunsthistorischen Instituts der neu gegründeten Universität Salzburg. Den Schwerpunkt seiner architekturgeschichtlichen Veröffentlichungen bildete die Epoche des Barock. In diesem Zusammenhang beteiligte er sich an der Entstehung der Architekturikonografie (Aufsatz Architektur als abbildende Kunst, 1948). 1958 erschien seine Bilanz Kunst und Wahrheit. Zur Theorie und Methode der Kunstwissenschaft mit dem Bekenntnis zu den weltanschaulichen, religiös fundierten Prämissen seiner Wissenschaft

EINLEITUNG

Das Thema

„Schon die Kunstgeschichte gehört nicht sidi allein an: sie dient der Kunde vom Menschen.“        (W. Pinder)

In den Jahren und Jahrzehnten vor 1789 hat in Europa eine innere Revolution von unvorstellbaren Ausmaßen eingesetzt: die Ereignisse, die man als „Französische Revolution“ zusammenfaßt, sind selbst nur ein sichtbarer Teilvorgang dieser ungeheueren inneren Katastrophe. Es ist bis heute nicht gelungen, die dadurch geschaffene Lage zu bewältigen, weder im Geistigen noch im Praktischen.

Zu verstehen, was damals wirklich geschehen ist, ist vielleicht die aktuellste Aufgabe, die den historischen Wissenschaften überhaupt gestellt ist: an dieser historischen Wende sind wir nicht nur historisch, sondern ganz unmittelbar interessiert. Denn mit ihr beginnt unsere Gegenwart und von ihr her erkennen wir auch noch unsere Lage, erkennen wir uns selbst.

Die Betrachtung der Kunst ist berufen, entscheidende Erkenntnisse zum Verständnis dieser inneren Revolution beizutragen. Nirgends ist das Unvergleichliche, Neue, das damals begonnen und Epoche gemacht hat, schärfer zu fassen als an einer Reihe von Erscheinungen in dem Gebiete der Kunst, die außerordentliche Prägnanz besitzen. Ist man imstande, diese Erscheinungen nicht bloß als historische Tatsachen zu sehen, sondern alsSymptome, dann ergibt sich aus ihnen zwanglos eine Diagnose des Leidens der Zeit. Denn als Leiden werden diese Zustände zweifellos weithin empfunden.

Man hat zwar gelegentlich für eine Deutung der Epoche Erscheinungen der Kunst als Symptome herangezogen, so Spengler. Bei ihm und den meisten anderen sind es aber gerade nicht die eigentümlichen Erscheinungen, sondern solche, zu denen es Analogien auch in anderen Epochen gibt. Es treten aber im Gebiete der Kunst seit rund 1760 Erscheinungen auf, die es nie und nirgendwo in der Weltgeschichte gegeben hat. Mit so großer symbolischer Kraft sprechen sie von Erschütterungen im Inneren der geistigen Welt, daß es einmal unverständlich erscheinen wird, daß die Betrachtung der Kunst nicht sogleich alles verraten hat.

Man hätte wohl schon längst alles erraten, wenn nicht dieAngst zu sehen die Augen geschlossen hätte. Denn diese Lage zu sehen und nicht zu verzweifeln verlangt Mut. Anderseits kann aber gerade diese Betrachtung Mut geben.

Zwar darf die Wissenschaft, mag sie auch ihre Erkenntnisse der Tiefe entreißen, sich nicht einbilden, ein Gewicht auf den ungeheur