EINLEITUNG
Das Thema
„Schon die Kunstgeschichte gehört nicht sidi allein an: sie dient der Kunde vom Menschen.“ (W. Pinder)
In den Jahren und Jahrzehnten vor 1789 hat in Europa eine innere Revolution von unvorstellbaren Ausmaßen eingesetzt: die Ereignisse, die man als „Französische Revolution“ zusammenfaßt, sind selbst nur ein sichtbarer Teilvorgang dieser ungeheueren inneren Katastrophe. Es ist bis heute nicht gelungen, die dadurch geschaffene Lage zu bewältigen, weder im Geistigen noch im Praktischen.
Zu verstehen, was damals wirklich geschehen ist, ist vielleicht die aktuellste Aufgabe, die den historischen Wissenschaften überhaupt gestellt ist: an dieser historischen Wende sind wir nicht nur historisch, sondern ganz unmittelbar interessiert. Denn mit ihr beginnt unsere Gegenwart und von ihr her erkennen wir auch noch unsere Lage, erkennen wir uns selbst.
Die Betrachtung der Kunst ist berufen, entscheidende Erkenntnisse zum Verständnis dieser inneren Revolution beizutragen. Nirgends ist das Unvergleichliche, Neue, das damals begonnen und Epoche gemacht hat, schärfer zu fassen als an einer Reihe von Erscheinungen in dem Gebiete der Kunst, die außerordentliche Prägnanz besitzen. Ist man imstande, diese Erscheinungen nicht bloß als historische Tatsachen zu sehen, sondern alsSymptome, dann ergibt sich aus ihnen zwanglos eine Diagnose des Leidens der Zeit. Denn als Leiden werden diese Zustände zweifellos weithin empfunden.
Man hat zwar gelegentlich für eine Deutung der Epoche Erscheinungen der Kunst als Symptome herangezogen, so Spengler. Bei ihm und den meisten anderen sind es aber gerade nicht die eigentümlichen Erscheinungen, sondern solche, zu denen es Analogien auch in anderen Epochen gibt. Es treten aber im Gebiete der Kunst seit rund 1760 Erscheinungen auf, die es nie und nirgendwo in der Weltgeschichte gegeben hat. Mit so großer symbolischer Kraft sprechen sie von Erschütterungen im Inneren der geistigen Welt, daß es einmal unverständlich erscheinen wird, daß die Betrachtung der Kunst nicht sogleich alles verraten hat.
Man hätte wohl schon längst alles erraten, wenn nicht dieAngst zu sehen die Augen geschlossen hätte. Denn diese Lage zu sehen und nicht zu verzweifeln verlangt Mut. Anderseits kann aber gerade diese Betrachtung Mut geben.
Zwar darf die Wissenschaft, mag sie auch ihre Erkenntnisse der Tiefe entreißen, sich nicht einbilden, ein Gewicht auf den ungeheur