: Julian Schutting
: Auf der Wanderschaft
: Otto Müller Verlag
: 9783701361601
: 1
: CHF 13.50
:
: Erzählende Literatur
: German
: 115
: DRM
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Julian Schutting, bekannt für seine eigenwillige Satzarchitektur und dichterische Imaginationskraft, macht sich auf den Weg: zu Fuß und in Gedanken. Er spaziert durch Wien, denkt sich als Teilnehmer des Jauntaler Drei-Berge-Laufs, und wie einen Verliebten zieht es ihn bei diesen Wanderungen auf vielerlei Wegen zu einem alten, halbvergessenen Wallfahrtskirchlein mit dem lockenden Namen Maria Hohenberg. Da wird das Gehen zum Anlass genommen, auch die Gedanken auf die Reise zu schicken. Und so stellen sich dem Autor - im Rhythmus der eigenen Schritte - neue und immer neue Einfälle ein, schärft er seine Beobachtungsgabe am Wechsel der Umgebung, verwandelt er seine Erfahrungen und Eindrücke in ungewöhnliche und überraschende Wortbilder. Bis das Gehen auf diese Weise selbst zum Gedanken wird. Die Satzarchitektur des Autors, sein unverwechselbarer Stil, ist mehr denn je von uneitler Selbstverständlichkeit bestimmt. Julian Schuttings Text ist eine Aufforderung an den Leser, den Dichter auf seinen ebenso unterhaltsamen wie ausgefallenen 'Arbeitsspaziergängen' zu begleiten.

Julian Schutting, 1937 in Arnstetten / Niederösterreich geboren und heute in Wien und Salzburg lebend, erhielt zahlreiche Literaturpreise, u. a. den Georg-Trakl-Preis für Lyrik.

Maria Hohenberg

Wer sie auf krummen Wegen umstrichen hat als einer, dem ihre Erscheinung im rechten Moment als ein Lichtblick zuteil geworden ist; wer sich abfinden muß, daß sie ihm aus der Sicht entschwindet, weil ihrer nicht habhaft zu werden ist wie eines Edelweiß, wie der von keinem noch erjagten weißen Gams; wer es sich untersagt, sie soeben noch in lieblichen Waldbildern Ausgedrückte und ihm auch schon ins nicht mehr Sichtbare Entrückte mit einer launischen Frau zu vergleichen, die ja doch erzwungen sein möchte, nicht von jedem, auch von ihm nicht zu jeder Zeit; wer also auf all seinen Spazier- und Wanderwegen in der Geduld eines Gärtners sichübt, dem unbedrängtüber Nacht eine Lilie heranwächst, welche allen und keinem gehört– wird es dem auch gegeben sein, ihren Segen auf jede Entfernung auf sich ruhen zu wissen, sofern er nur angesichts der winzigen weißen Dame dem Verlangen widersteht, als ein wie die Bilderstürmer kirchleinwärts stürmender Marienritter atemlosen Anlangens sich lieb Kind zu machen bei der Himmelmutter, bei der Königin des Erdkreises, verkleinert zur Beschützerin des Landkreises?

wer keuchend oder ruhigen Atems bei ihr angelangt und, je nach Jahreszeit, an ihrem ihn kühlenden oder ihn wärmenden Körper gelehnt ist, dem sei es weiterhin zugeteilt, fürs erste nicht mehr von ihr zu wollen, als selbstvergessenen Rastens mit ihr Umschau zu halten, in menschenfreundlicher Zweisamkeit dann, wenn ihm die Andacht stören könnten Unterhaltungen gleichfalls Herbeigestrebter; wenn die Steinstufen hinaufgetrampelt wird wie hinter einer bimmelnden Kuhglocke her von einer Ausflüglergruppe, die sich im Wirtshaus den Metallring mit einem großen schweren und einem kleinen Schlüssel ausgeborgt hat– habe der doch nicht: von euch ist kein Schlüsselbund mit ihr zu schließen!, in sich hineingelacht, habe er vielmehr die Großseligkeit gehabt, die von seiner Glückseligkeit allerbescheidenster Art Ausgeschlossenen bei Maria von Hohenburg vorzulassen, ihnen die Tür zuöffnen, auch auf daß sich nicht länger anhört wie Kuhkettengerassel das Herumprobieren mit einem Schlüssel, der, welches Schloß auch immer er einstmals auf- und zugesperrt hat, bloß beigegeben ist als die schwerwiegende Mahnung: vergeßt nicht, uns die Leihgabe zu retournieren!

wer jemals den richtigen Schlüssel sogleich in das dem stattlichen Eisenschloß, anzusehen wie eine Schatulle, unauffällig beigegebene zierliche Schloß eingeführt und sodann, zu ihr hineingeschlüpft, uneigennützig die Tür bloß angelehnt hat, um ausreichend umschlossen zu sein vom Innern eines ländlichen Gnadenortes, von ins Dämmrige verändertem Sonnenschein, von dem Holzduft, der als ein immerwährender Atemhauch den scheintoten Kirchenbänken und geschnitzten Heiligen zugehört, vom Geruch nach Kerzenwachs, vertrocknetem Tannenreisig oder welkenden Blumen, der habe Weihrauchduft nicht vermißt dort, wo nur an hohen Marienfeiertagen Messen gelesen werden: habe lieber, beispielsweise seiner schwerkranken Mutter oder auch der mit Marias Hilfe ihm nicht allzu bald abgestorbenen Liebe, eine Kerze angezündet und hienach, der Luft und dem Himmelslicht Einlaß zu verschaffen, zwischen Tür und Türstock ein Aststück geschoben und zugewartet, bis die abgestandene Luft ausgeflogen war und in frisch zugeströmter Wald-, Heu- oder auch Schneeluft die hier Ansässige freier atme!

Maria Hohenburg, du Königin der goldenenÄpfel
(nämlich nicht:&rsq