: Celia Rees
: Der Narr und das Mädchen
: arsEdition GmbH
: 9783845801414
: 1
: CHF 14.30
:
: Kinderbücher bis 11 Jahre
: German
: 368
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
London zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Als William Shakespeare der aus ihrer Heimat vertriebenen Violetta und ihrem Narren Feste das erste Mal begegnet, ist er sofort fasziniert: Denn augenblicklich ahnt er, welch dramatischer Stoff sich ihm da bietet - und verstrickt sich immer tiefer in die gefährliche Geschichte der beiden.

Celia Rees wuchs in England auf. Nach dem Studium der Geschichte und Politik an der Warwick University war sie 17 Jahre lang Englischlehrerin. Ihr erstes Buch, den Jugend-Thriller Every Step you take, veröffentlichte sie 1993. Auf Deutsch erschienen u. a. ihre sehr erfolgreichen Jugendromane Der Herr der Stürme, Hexenkind, Hexenschwestern und zuletzt Piraten!. Celia Rees lebt mit ihrer Familie in Leamington Spa, England.

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»Ach, ich bin alle Schwestern, alle Brüder, die ich habe«

VIOLETTA

Es fing alles an, als meine Mutter nach Illyrien kam. Ich bin nach ihr benannt: Violetta, die kleine Viola. Meine Mutter kam genauso als Fremde in mein Heimatland, wie ich hier fremd bin. Seit frühester Kindheit erinnere ich mich an die Geschichte. Ich erinnere sie aus der Zeit, als ich in meiner Wiege lag und sah, wie das schimmernde Licht des Meeres gleich einem silbernen Fischschwarm über die Zimmerdecke tanzte und die Glücksbringer über mir sich zur Musik und dem Gelächter drehten, das von unten aus der großen Halle die Treppe heraufwehte.

In meinem Kopf vermischte sich meine Mutter mit den Heldinnen aus anderen Legenden, und irgendwann waren die Geschichten so miteinander verwoben, dass ich nicht mehr wusste, wo deren Geschichten aufhörten und ihre begann.

Als ich ein Kind von vier oder fünf Jahren war, saß ich an meinem Fenster und sah die Schiffe unten im Hafen ein- und auslaufen – lange Galeeren, die Ruder von sich gestreckt wie Insektenbeine; robuste kleine Karacken, die schrägen Segel vom Wind gebauscht –, und ich fragte mich: Ist meine Mutter auf so einem Schiff gekommen, oder auf so einem? Hin und wieder stieg ich die steilen ausgetretenen Stufen zum Adlerturm hinauf und zog mich an dem dicken Seil empor, das zwischen den großen Eisenringen in der Mauer aufgespannt war. Vom Wehrgang aus blickte ich hinunter, und meine Gedanken hoben ab wie die Adler, die in den obersten Zinnen nisteten.

Ich sah an den blanken Felsen hinunter, unter mir die weißen Wellenkämme, die kleinen Buchten und einsamen Förden mit ihren sichelförmigen blassgrauen Stränden, und ich fragte mich: Wo ist sie wohl zum ersten Mal an Land gekommen?

Ich sah große Schiffe sinken, mal mit verkeilten und splitternden Rudern, mal mit entzweigebrochenem Rumpf – das Krachen eines hohen Masts, das Reißen von Segeltuch, das wilde Schlackern gefallener Segel. Ich sah Schiffsladungen untergehen. Inmitten der Tonnen und Fässer sah ich Leichen im Wasser, ausgestreckte Arme, Hände und Gesichter fahl inmitten der Schwärze. Meine Mutter war unter ihnen, die Augen in ihrem weißen Gesicht geschlossen, die blassen Hände nach oben gedreht, das Kleid gebauscht, und ihr Haar umfloss sie und wiegte sich wie Seetang am Ufer. Da trieb sie, im Schwebezustand zwischen Helligkeit und Finsternis, bis ich überzeugt war, dass sie nicht mehr lebte. Dann aber schob sie sich hinauf in das unruhige Glimmern über ihr, und ihr Kopf durchbrach die Wasseroberfläche wie ein seidig glänzender Seelöwe.

Da trieb sie einen Augenblick und blickte sich um, ehe sie den rauen Wellen trotzte und in Richtung Ufer schwamm. Sie war eine gute Schwimmerin, meine Mutter. Sie entstieg dem Schaum wie Aphrodite; sie kam aus den Wellen wie ein rätselhaf