: Alfred Döblin
: Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104022901
: 1
: CHF 9.00
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: Hauptwerk vor 1945
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit einem Nachwort von Stefan Keppler-Tasaki. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk. Alfred Döblins erster Berlin-Roman Berlin vor dem Ersten Weltkrieg. Die beiden Fabrikbesitzer Wadzek und Rommel kämpfen mit allen Mitteln der Unternehmerkunst gegeneinander. Wadzek scheitert dabei zwar ökonomisch, spannt seinem Kontrahenten aber die Geliebte aus und flüchtet mit ihr nach Amerika. Was wie ein Wirtschafts- und Spionageroman beginnt und dem Muster einer klassischen Tragödie zu folgen scheint, entpuppt sich als wagemutige Abrechnung mit sämtlichen bürgerlichen Erfolgsmodellen - von der Firma über die Ehe bis zum realistischen Roman. Nicht zufällig wird dadurch der Weg frei für einen Text, der sich mit großer Sprachgewalt erstmals auch auf das moderne Berlin einlässt.

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.

Erstes Buch


Die Verschwörung

Gabriele fuhr das Schöneberger Ufer entlang, kutschierte über die Brücke auf die andere Seite des Spreekanals. Vor einem alten Hause in der Straße am Blumeshof stieg sie aus. Wie sie in das Halbdunkel des Speisezimmers eintrat und vor der abgeblendeten Hängelampe stand, die einen runden Fleck Gaslicht auf den Tisch warf, knarrte die Tür vom Empfangszimmer; ein Blumenbukett kam ihr aus dem Halbdunkel entgegen; Wadzek sagte mit seiner gewöhnlichen Stimme: »Guten Abend, guten Abend, liebes Fräulein.« Ein altes schiefes Hausmädchen half Gabrielen ablegen.

Wadzek schlenderte im Zimmer herum. Er wippte, schnellte um alle freistehenden Möbel des Zimmers, dämpfte sein Organ, krähte. Er hatte ein kindliches langes Gesicht mit struppigem rotblonden Bart. Ging an die Stühle, Etageren heran, beschnüffelte sie, immer freundlich, verwandtschaftlich, verschwägert mit allen. Im Straßennegligee trabte er, die Hände bis zu den Ellenbogen in den Hosen, um jede Feierlichkeit zu vertreiben. Er schien sich nur im Schutze eines Gegenstandes wohl zu fühlen, trat selten in die Mitte des Zimmers. War er aus dem Kontakt getreten, schlüpfte er mit verschwiegener Bewegung wieder zurück. Als ihn Gabriele lockte sich zu setzen, drehte er sich auf dem Stuhlsitz, suchte Anschluß an die Fransen der Tischdecke. Da sie ihm zu tief hingen, zerrte er an einem kleinen Tablettdeckchen, auf dem die Blumenvase stand.

»Lassen Sie doch die Vase«, sagte Gabriele.

Er ärgerlich zog den Arm zurück: »Ich bin nervös. Das geht niemanden etwas an. Eine Vase kann mich nicht nervös machen. Eine Vase gehört an ihren Platz.«

Er blickte unsicher über den Tisch, neben die Stuhlbeine, trat über zwei Teppichmuster auf das Büfett zu; er hatte die Insel verlassen.

»Sind Sie darum hergekommen, Herr Wadzek, um mich von Ihren Nerven zu unterhalten?«

»Mißverstehen Sie mich nicht dauernd, liebes Fräulein. Eine Vase ist nicht belanglos. Es ist wie mit den Kleidern. Wenn Sie diese Vase –: Sie müssen mir schon verzeihen, wenn ich haften bleibe an diesem Gegenstand. Eine gründliche Erörterung kann nur beruhigen, kann nur allerseits, ich sage mit Bewußtsein allerseits, beruhigen.«

»Sie wollten von meiner Vase sprechen.«

»Wie mit den Kleidern. Sie sitzen nicht, sie hängen. Sie schlenkern. Mal ist die Schulter hochgerutscht, mal sieht man das Korsett, mal schleppt der Rock, und vorn ist er zu kurz. Bei Gerson hat alles gesessen.«

»Aber, Herr Wadzek, doch nicht meine Kleider.«

»Doch nicht Ihre. Wie auch das? Durchaus nicht, im Gegenteil. Es ist eine allgemein zutreffende Bemerkung, die durch Ihre Ausnahme und so weiter und so weiter. Ich habe doch selbst auf dem Wohltätigkeitsfest im Bellevuehotel gesehen –«

»Wie kommen Sie auf das Wohltätigkeitsfest?«

»Es ist eine etwas schiefe Bemerkung meinerseits. Selbst gesehen ist vorbeigesprochen, keineswegs vorbeigedacht. Ich will mich nicht falsch beschuldigen. Schneemanns Vetter hat mir sehr genau erzählt, er ist Plakatmaler, erstklassiger Dekorateur, so genau, daß ich mir alles ganz vorstellen kann mit geistigen Augen. Wie Sie an der blauen oder grünblauen Nische vorübergingen, welche den Meeresboden darstellte, hineinguckten und sagten: ›Was ist hier für ein Rauch!‹ Es war Ihnen zu rauchig auf dem Meeresgrund. Wie Sie mit Stawinski plauderten.«

Sie lachte heftig: »Von dem hat er Ihnen auch erzählt?«

Wadzek blieb entrüstet stehen: »Was beschuldigen Sie mich? Sie haben eine äußerst kränkende Art an sich, Fragen zu stellen.« Er war fu