: Alfred Döblin
: Die drei Sprünge des Wang-lun Roman
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104022895
: 1
: CHF 10.00
:
: Hauptwerk vor 1945
: German
: 528
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit einem Nachwort von Gabriele Sander. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk. Alfred Döblins erster großer Roman Terror und politische Verfolgung, Religion und Gewaltlosigkeit sind die zentralen Themen des erstmals 1915/16 im S. Fischer Verlag erschienenen ?Wang-lun?. Mit seiner modernen Erzähltechnik und den beeindruckenden Massenszenen begeisterte das Buch die zeitgenössische Kritik. »Nimmt man es in der heutigen Zeit des Terrorismus in die Hand«, so Günter Grass, »wirkt das Werk ungeheuer aktuell.«

Alfred Döblin, 1878 in Stettin geboren, arbeitete zunächst als Assistenzarzt und eröffnete 1911 in Berlin eine eigene Praxis. Döblins erster großer Roman erschien im Jahr 1915/16 bei S. Fischer. Sein größter Erfolg war der 1929 ebenfalls bei S. Fischer publizierte Roman ?Berlin Alexanderplatz?. 1933 emigrierte Döblin nach Frankreich und schließlich in die USA. Nach 1945 lebte er zunächst wieder in Deutschland, zog dann aber 1953 mit seiner Familie nach Paris. Alfred Döblin starb am 26. Juni 1957.

Zweites Buch


Die Gebrochene Melone

DURCH DAS westliche Tschi-li puffte der Name Wu-wei sanft wie ein Schwärmer; Schwirren, Verhallen zwischen Bergtälern.

Durch das westliche und südliche Tschi-li ging ein Ziehen, ein rheumatisches Unbehagen, im Arm, in der Schulter, über den Fußrücken, schmerzhaftes Zucken in einem Zahn, Nervenstechen über dem linken Auge.

Das westliche und südliche Tschi-li fühlte in diesem Frühjahr den warmen beunruhigenden Dampf um die Nan-kubettler.

Aus den Hundert, die das Dörfchen Pa-ta-ling verließen, waren nach ein paar Wochen mehrere Tausend geworden. Was man Vagabunden, Straßendieben, Verunglückten zutrug, war nichts als das Eingeständnis der Not. Es hieß nicht mehr wie in den Nan-kubergen: Wang-lun, der lange gefährliche Kerl aus Hun-kang-tsun in Schan-tung, hat sonderbare Sachen von den goldenen Fos erzählt; er hilft uns, er kann zaubern, wir wollen mit ihm zusammengehen. Die Menge predigte für sich. Entfernter wohnende Dorfleute, Pilger bis in die Ebene hinein hörten von den vielen Menschen, die Pa-ta-ling nach dem strengen Frost verlassen hätten und sich bettelnd, arbeitend, betend nach Süden vorschoben. Zuerst wurde behauptet, es handle sich um die Vagabunden und Strolche, welche die Pässe zum Wu-tai-schan unsicher machten; rasch verschwand dieses Gerede. Von Wang-lun erzählte man, er sei nach dem Kun-lungebirge auf einem blauen Pferde geritten, um der Kaiserin des Westlichen Paradieses die Gründung ihres Bundes anzuzeigen. Er sei nach Schan-tung gewandert, um das Goldwasser und die Perlen des ewigen Lebens zu holen. Diese Meinung erhielt sich am längsten. Man entwarf nach den Erzählungen der älteren ein sonderbares Bild von ihm. Man stellte ihn sich vor als einen sanftmütigen Mann, der mit ungeheurer Körperkraft begabt war, mit der er nichts anzufangen wußte. Von Zeit zu Zeit befielen ihn starke Dämonen, die er zu bezwingen gelernt hatte, da er eine furchtbare Zauberformel brauchte. Er hatte ein gutes Herz für die armen Chingyin, sie sollten alle an seinen fabelhaften Gaben teilhaben.

Wang-lun hatte seinen Schatten hinterlassen, in dessen Dunkel der Bund lag. Ganz von selbst wurden ein paar Männer in den Vordergrund geschoben, an die sich die Menge hielt. Zwar schwang sich einer und der andere auf, aber dies geschah nebenbei. Jeder empfing seine Rolle.

Ngoh, aus Ta-ku in Tschi-li gebürtig, war durch seine Geschicklichkeit im Reiten und Bogenschießen und ein feines Wesen trotz seiner dreißig Jahre schon zum Jo-ki einer oberen Bannerschaft aufgerückt. Er trug mit Stolz, ohne zu prunken, den Mondstein auf der Mütze, die Tigerkatze im Brustschild; wenn er beim Schachspiel die weiche rechte Hand hob und der Perlmutterring am Daumen matt schimmerte, so wußten seine Mitspieler nicht, welche starke Seele ihnen gegenüber saß. Er hielt jahrelange Freundschaft mit einem weibisch geschminkten Schauspielerknaben, einem jungen Herrchen, wie man sich ausdrückte. Der Kaiser schätzte Ngoh sehr, wie Khien-lung überhaupt eine Vorliebe an den Tag legte für feine elegante Männer, die nicht widersprachen, gut turnen und schießen konnten, Sprödigkeit und Härte besaßen.

Infolge der Unerschrockenheit, die Ngoh bei einem damals vielbesprochenen Vorfall zeigte, kam er in den inneren Höflingsbetrieb der Roten Stadt zu Pe-king hinein. Er war mit seiner Abteilung gegenüber dem oberen Stadttor stationiert, wo auf den breiten Wassergraben, der die Kaiserstadt umzieht, das Tor des Wu-ti führt. Dicht a