: Erika Pluhar
: Spätes Tagebuch
: Residenz Verlag
: 9783701742080
: 1
: CHF 8.00
:
: Romanhafte Biographien
: German
: 224
: kein Kopierschutz
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Erika Pluhar beschreibt sensibel und offen die Sehnsüchte und Ängste des Älterwerdens. Paulina Neblo kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Als Choreographin gründete sie eine erfolgreiche Tanz-Company, hatte zahlreiche Affären, eine Tochter, die sie über alles liebt, und endlich, als bereits reife Frau, eine erfüllte Ehe. Doch als ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kommt und sie kurz darauf ein noch härterer Schicksalsschlag - der Tod ihrer Tochter - trifft, zieht Paulina sich aus dem aktiven Leben zurück. Im Alter von 70 Jahren beschließt sie Chronistin ihrer Gegenwart zu werden, Alltäglichkeiten zu notieren und sich der Zukunftslosigkeit des Alters zu stellen. Doch die Gedanken an die Vergangenheit lassen sich nicht verdrängen und auch Paulinas Außenwelt akzeptiert diese selbst gewählte Einsamkeit nicht ... Erika Pluhar schreibt auf ebenso sensible wie schonungslose Weise über das Alter, Sehnsüchte und Ängste. Poetisch, lebensnah und intensiv.

Erika Pluhar war seit ihrer Ausbildung am Max-Reinhardt-Seminar bis 1999 Schauspielerin am Burgtheater in Wien. Sie textet und interpretiert Lieder, hat Filme gedreht und Bücher veröffentlicht, darunter 'Marisa, Rückblenden auf eine Freundschaft' (1996), 'Am Ende des Gartens, Erinnerung an eine Jugend' (1997) und die Romane 'Matildas Erfindungen' (1999) und 'Ein Fisch lernt fliegen' (2000). 'PaarWeise' (2007) war ihr erstes Buch im Residenz Verlag. Seither erschienen ihr Roman 'Er' (2008) und ihre gesammelten Lieder 'Mehr denn je' (2009) bei Residenz. 2009 erhält Erika Pluhar den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln.

Daß jemand mit siebzig anfängt, ein Tagebuch zu führen, mag ungewöhnlich sein, aber ich fange heute damit an. Der Sommer neigt sich seinem Ende zu, ähnlich wie mein Leben. Ich scheine einigermaßen gesund zu sein, meine Eltern wurden beide sehr alt, also besteht die Möglichkeit, daß ich vielleicht noch an die zwanzig Jahre zu leben habe. Als ich zwanzig Jahre jung war, meinte ich schon ein volles Menschenleben lang gelebt zu haben, erschien mir meine Zeit auf Erden bereits reichlich bemessen. Das sind Gedanken der Jugend, für die Zeit ein anderes Ausmaß besitzt, die gegenwärtig lebt und nicht vorausdenkt, weil für sie Zukunft unendlich zu sein scheint. Was mit siebzig jedoch zu fehlen beginnt, ist genau das: Zukunft.

Also bedarf es einer intensiveren Wahrnehmung der Gegenwart, also der Tage und all ihrer Täglichkeit, um das Leben noch zu spüren, dachte ich mir. Und wo und wie kann ich dies besser bewerkstelligen, als im täglichen Aufschreiben, im täglichen Notieren der Vorgänge und Ereignisse auch augenscheinlich untätiger und ereignisloser Zeiten? Die Chronistin, die ich ab nun sein möchte, kann vielleicht aus Alltäglichkeiten Lebens-Sinn herausfiltern. Den Sinn dessen, sich immer noch, und alt geworden, hier auf Erden zu befinden. Ich wage also den Versuch, damit heute zu beginnen.

Ja, heute zum Beispiel.

Der Samstag eines Wochenendes im Spätsommer.

(Ich brauche kein Datum. Daten engen ein. Wozu datieren, was sich ohnehin dem Ende zuneigt.)

Aus den umliegenden Häusern dringt kein Laut, alle Bewohner scheinen verreist oder im Schwimmbad zu sein. Auch die Gasse liegt reglos unter der Sonne, kein Auto ist unterwegs. Die hohen Bäume, die mein Haus umgeben, flüstern leise im Wehen der heißen Luft, nur dieses Geräusch ist zu hören. Ich sitze vor dem geöffneten Fenster und habe den bläulichen Schirm meines Laptops vor mir. Wenn ich jedoch die Augen hebe, schaue ich in dichtes Ahornlaub, das sich sanft bewegt. Ja, ich schreibe per Computer, ich konnte das noch erlernen und es fiel mir nicht einmal schwer. Ich werde das Geschriebene täglich ausdrucken und die Papierblätter in eine Mappe legen, dann ähnelt das Ganze ein wenig einem herkömmlichen Tagebuch.

Seit Jahren lebe ich allein. Mein einziges Kind, eine Tochter, starb. Ich möchte darüber nicht mehr sag