: Clemens J. Setz
: Die Frequenzen
: Residenz Verlag
: 9783701742219
: 1
: CHF 9.00
:
: Gegenwartsliteratur (ab 1945)
: German
: 720
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Walter und Alexander waren Freunde, als sie noch Kinder waren - nun kreuzen sich ihre Wege wieder Dies ist die Geschichte von Walter, dem Sohn eines Architekten mit Einfluss. Er will Schauspieler werden - oder will es nur sein Vater? Walter bekommt seine Chance, als ihn Valerie, eine Psychotherapeutin, die bessere Tage gesehen hat, engagiert, um in Gruppensitzungen fiktive Patientenrollen zu spielen. Doch er geht zu sehr in seiner Rolle auf. Dies ist die Gechichte von Alexander. Er ist Altenpfleger, ein junger Mann mit ausufernder Phantasie, die sich im Schatten einer einsamen Kindheit entwickelt hat. Alexander kündigt seinen Job, und er will seine Freundin loswerden, um mit Valerie zusammenzuleben. Doch die wird eines Tages brutal zusammengeschlagen... Nach 'Söhne und Planeten', seinem Debüt, das ihm einhelliges Lob der Kritik einbrachte, legt Clemens J. Setz ein Werk vor, das alle Erwartungen sprengt: atemberaubend kraftvoll, bunt, sprachgewaltig und zart.

Geboren 1982 in Graz. Seit 2001 Studium der Mathematik und Germanistik an der Karl-Franzens-Universität, Graz. Obertonsänger. Übersetzer. (Gründungs-)Mitglied der Literaturgruppe Plattform. Hat drei Katzen. Veröffentlichungen von Gedichten und Erzählungen in Zeitschriften und Anthologien, u. a. manuskripte, Lichtungen, Jahrbuch der Lyrik 2007, 'Stimmenfang' (2006), sowie im Rundfunk. 'Söhne und Planeten' (2007), seine erste eigenständige Buchveröffentlichung, wurde für den aspekte-Literaturpreis nominiert. 2008 wurde er bei den 32. Tagen der deutschsprachigen Literatur (Bachmann-Preis) mit dem Ernst-Willner-Preis ausgezeichnet. Sein Roman 'Die Frequenzen' (2009) wurde für den Deutschen Buchpreis 2009 (Shortlist) nominiert und gewann den Bremer Literaturpreis 2010.

Die Zugfahrt


Gerade als er eine passende Formulierung für seine Begrüßung gefunden hatte, wurde der junge Mann am Zugfenster von einem Tunnel überrascht, dessen unvermittelt einsetzende Finsternis ihm wie zur Verhöhnung sein bleiches Gesicht in der zitternden Fensterscheibe vorhielt. Sein Gesichtsausdruck, der halb offen stehende Mund und die quecksilbrig über sein Spiegelbild wandernden Regentropfen gaben ihm für einen Augenblick das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein.

Er schüttelte den Kopf über seine Schreckhaftigkeit, griff in die Mantelinnentasche und berührte die kleine, scharfkantige Fahrkarte, nur um sich zu versichern, dass alles in Ordnung war. Dabei streifte er an sein Hemd. Es war schweißnass.

Nach kurzer Zeit tauchte der Zug wieder aus dem Tunnel zurück ins trübe Tageslicht. Der grau gefleckte Oktoberhimmel hing immer noch schwermütig und tief über der Landschaft. Wenn man lange genug schaute, wirkte er sogar ein wenig durchhängend, als befände man sich unter einer Matratze in einer riesigen Schlafkoje.

Der junge Mann stellte verärgert fest, dass er seine Begrüßung wieder vergessen hatte, und versuchte sich zu erinnern, aber das Einzige, was ihm in den Sinn kam, war die verschwommene Endlosschleife der vorübersausenden Vegetation am Rand der Bahnstrecke, kurz vor der Einfahrt in den Tunnel, als er aus dem Fenster gestarrt hatte. Während er nachdachte, legte sich ein Knöchel seiner linken Hand auf seine Oberlippe und wanderte langsam Richtung Nasenspitze. Als die Hand dort angekommen war, sprang ein Funke über, und ihm wurde klar, dass alle Anstrengungen zwecklos waren, die Formulierung war verschwunden, für alle Zeiten verloren.

Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar.

Er stand auf, um sich ein wenig zu bewegen. In diesem Moment neigte sich der Zug etwas zur Seite, eine scheinbar unendliche Kurve, und der junge Mann musste ein paar Schritte in Richtung Abteiltür machen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.

Seine Blase machte sich bemerkbar. Er taumelte durch den schwankenden Gang, seine Hand berührte die eiskalte Fensterscheibe. In den Abteilen, an denen er vorbeikam, saßen Menschen auf Standby-Betrieb. Die Toilette war ein winziger, lichtarmer Raum, eine mittelalterliche Büßerzelle. Als er sich umdrehte, um die Tür hinter sich zu schließen, streiften seine Mantelschöße die metallfarbene Kloschüssel, die mehr an einen umgedrehten Stahlhelm erinnerte. Trotz der Enge zog er den Mantel aus und warf ihn sich, n