Vorwort zur Taschenbuchausgabe
Wolfgang Schäuble ist der absolute parlamentarische Rekordhalter der Bundesrepublik. Man kann auch sagen: Er ist das Urgestein der deutschen Politik. Denn der CDU-Mann ist der dienstälteste Abgeordnete in der deutschen Parlamentsgeschichte seit 1871. Schäuble übertrifft damit auch den SPD-Urvater August Bebel, der es insgesamt auf 44 Parlamentsjahre brachte.
Zum Ersten: Er macht Politik im Deutschen Bundestag, in dem er seit dem 19. November 1972 sitzt. Damals mit 53,2 Prozent der CDU-Stimmen im Wahlkreis Offenburg erstmals gewählt. In die Junge Union ist der am 18. September 1942 geborene Schäuble bereits 1961 eingetreten. In die CDU dann 1965. Zum Zweiten: Er war in dieser langen politischen Laufbahn nie einer, der jemals auf einer der vielen kommoden Hinterbänke der Politik herumdöste.
Nach den Anfangsjahren in den Ausschüssen für Sport und Bildung und der ersten Wiederwahl in seinem Wahlkreis mit 59,1 Prozent wurde er auf Vorschlag von Helmut Kohl 1981 zu einem der Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gewählt. Nur ein Jahr später rückte er bereits zum Ersten Geschäftsführer der Unionsfraktion auf. Nach seiner dritten Bundestagswahl (1983: 62,4 Prozent) amtierte er ab 1984 als Chef des Kanzleramts mit »echtem« Ministerrang als engster Mitarbeiter von Kanzler Helmut Kohl. Er war mit der Federführung in der Deutschlandpolitik beauftragt, die er im Oktober 1990 mit der Wiedervereinigung abschloss. Und er war es, der entscheidend dazu im Bundestag beitrug, dass Berlin anstelle von Bonn wieder Bundeshauptstadt wurde.
Auch die weitere Karriere nach Kohl unter Kanzlerin Merkel ist eindrucksvoll. Außer als Kanzleramtsminister amtierte er bis heute: als Bundesinnenminister (2005–2009), als Bundesfinanzminister (2009–2017) und profilierte sich als Erfinder der »schwarzen Null«. Zum Bundestagspräsidenten, dem protokollarisch zweithöchsten Staatsamt, wurde er am 24. September 2017 gewählt.
Wenige Tage nach seinem 75. Geburtstag, aber vor der Bundestagswahl am 24. September 2017, beschloss Schäuble, »egal wie die Wahl ausgeht«, nicht mehr in der Regierung und Minister zu sein. Auf einer nachträglichen Geburtstagsfeier mit Freunden teilte er diesen vertraulich mit, »dass ich nicht mehr der Regierung angehören werde«. Es hätte nach seinen Worten dann aber sein können, dass die Wähler seine erneute Kandidatur für den Bundestag »als Wählertäuschung empfinden«. Daher habe er hinzugefügt: »Aber Bundestagspräsident könnte ich machen.« Es ist Zeit gewesen, sagt er heute dazu. Es sei zwar eine andere Rolle, »aber ich habe das nicht bereut, es ist auch gut so«. Das Amt des Bundestagspräsidenten »passt für einen 78-Jährigen einfach«.
Lange Zeit schien das Kanzleramt in die politische Karriere Schäubles, der ja nach 1998 auch zwei Jahre als CDU-Chef amtierte, solide einprogrammiert zu sein. Kanzler wurde er jedoch nicht, weil Helmut Kohl und Angela Merkel es gemeinsam mit der CSU trickreich und unfair verhinderten. Seine nach langem Zögern geplante Kandidatur fürs Amt des Bundespräsidenten als Nachfolger von Johannes Rau scheiterte 2004 dann gleichermaßen an einer taktischen und politischen Intrige, die ebenfalls Angela Merkel inszenierte. Diese Tatsache wird von Schäuble bis heute nicht kommentiert.
Aber es war ein unfaires Manöver. Merkel rief ihn damals eines Tages an und wollte wissen, ob er denn nicht Bundespräsident werden wolle. Dies geschah, obwohl ihr bekannt war, dass er gar keinen persönlichen Ehrgeiz hatte, Nachfolger des damaligen Präsidenten Johannes Rau zu werden. Schäuble hatte ihr dies zuvor zwar schon mehrfach mitgeteilt. Aber er war auch der Ansicht, ein Deutscher könne eben nicht Nein sagen, wenn er offiziell gefragt werde, ob er sich für das höchste Staatsamt in die Pflicht nehmen lasse.
Dabei hatte Merkel, was sie Schäuble verschwieg, schon zuvor auch bei Horst Köhler angefragt, ob er denn als Präsidentschaftskandidat zur Verfügung stehe. Denn ihr war klar, dass der preußische Pflichtmensch Schäuble nicht halb so pflegeleicht sein würde wie ein Horst Köhler, der sich damals noch im Status eines Politikamateurs befand. Das ganze Manöver war ein politischer Handstreich, den der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker später einmal als »ein Bubenstück aus Mädchenhand«[1] bezeichnet hat.
Schäuble schluckte das Manöver, das Merkels egoistisches Handeln absicherte, weil seine Loyalität ihr gegenüber unerschütterlich war. Ebenso verlässlich, wie dies später auch in der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin der Fall war. Denn Loyalität ist die zentrale Charaktereigenschaft des Politikers Schäuble. Er hat einmal über sich selbst gesagt: »Ich werde nicht bequem sein. Ich habe meinen eigenen Kopf. Aber ich bin loyal.«
Diese Loyalität bezieht sich zudem nicht auf Personen, sondern auf sein Amtsverständnis. Als der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler auf dem berüchtigten CDU-Parteitag in Bremen (1989) zum Sturz von Kanzler Kohl als CDU-Chef aufrief, erklärte Schäuble ihm auf die Frage, ob er mitmache, da mit Kohl doch die nächste Wahl garantiert verloren gehen würde: »Solange ich ein Amt habe, in das mich der Bundeskanzler berufen hat, werde ich nicht gegen ihn arbeiten. Oder intrigieren.« Er trat daher im Frühsommer 1998 konsequent vor Kohl hin und erklärte, mit ihm sei die nächste Wahl nicht zu gewinnen. Als Kohl widersprach, trennte sich Schäuble endgültig von ihm.
Von diesem ausgeprägten Loyalitäts-Bewusstsein hat dann auch die Kohl-Nachfolgerin Angela Merkel mehrfach machtpolitisch profitiert. Denn Schäuble agierte auch ihr gegenüber konsequent nach seiner persönlichen politischen Lebensdevise in Sachen Loyalität. Er und Merkel hatten sich 1990 kennengelernt. Da war sie noch Stellvertretende Regierungssprecherin der DDR, er schon der wichtigste Mann in Kohls Mannschaft. Trotz der langjährigen, engen politischen Partnerschaft siezen sich die beiden bis heute. Die Frage nach dem Grund beantworten sie lieber mit einem Lächeln als mit Worten. Dahinter steckt eine