II
Sobald Caesar ihn entlassen hatte, machte sich Marcus auf den Weg zu den Wohnquartieren der Sklaven am hinteren Ende des Hauses. Bei seiner Ankunft hatte man Marcus zu Caesars Verwalter gebracht, der ihm die Regeln erklärte, die nun sein Leben bestimmen würden, und ihn dann zu der kleinen Zelle führte, die er mit zwei anderen jungen Sklaven zu teilen hatte. Der jüngere von beiden war etwa so alt wie Marcus und hieß Corvus. Er war groß und mager, hatte eine Hakennase und schaute stets finster und resigniert. Der andere Junge, Lupus, war beinahe sechzehn Jahre alt und besaß eine natürliche Begabung für Buchstaben und Zahlen. Er verrichtete gelegentlich Aushilfsarbeiten in der Küche und diente Caesar zusätzlich als Schreiber. In dieser Funktion war er dafür verantwortlich, Notizen für seinen Herrn zu machen, erklärte Lupus stolz. An den meisten Tagen begleitete er Caesar bei offiziellen Geschäften. Lupus war klein und zierlich, hatte säuberlich geschnittenes, dunkles Haar, war sehr viel fröhlicher als sein jüngerer Gefährte Corvus und hatte den Neuankömmling in dem gemeinsamen bescheidenen Wohnquartier herzlich willkommen geheißen. Die Zelle, die sie sich teilten, war kaum mehr als zehn Fuß lang und vier Fuß breit. Durch einen schmalen Fensterschlitz weit oben in der Wand drang von der Straße ein schwacher Lichtstrahl herein. Corvus und Lupus schliefen an dem am weitesten von der Tür entfernten Ende der Zelle, Seite an Seite auf zerlumpten Schlafsäcken. Man händigte Marcus einenähnlich zerschlissenen Schlafsack aus und erklärte ihm, er hätte bei dem schmalen Eingang der Zelle zu schlafen.
Seither hatte man ihm unzählige kleine Arbeiten im Haushaltübertragen, bis ihn eines Morgens Festus zu sich gerufen hatte, der sich von seinen Fertigkeiten als Kämpferüberzeugen wollte. Nun, da er sich wieder auf den Weg ins Innere des Hauses und zu seinem jämmerlichen Wohnquartier gemacht hatte, verebbten die Geräusche der Subura– des Bezirks, in dem Caesars Haus lag– zu einem dumpfen Brummen im Hintergrund. Einer derälteren Sklaven hatte Marcus erklärt, dass die Subura einst ein sehr angesehenes Wohngebiet gewesen war, als Caesars Ahnen hier ihr Haus errichteten, dass es aber seither mit diesem Viertel bergab gegangen war. Nun ragten rings um die vornehmen Häuser viele baufällige Mietshäuser mit mehreren Stockwerken auf, in denen verarmte Bauernfamilien lebten, die gezwungen waren, sich in der Stadt Arbeit zu suchen. Ihnen waren Einwanderer aus allen Winkeln des Mittelmeerraums gefolgt: Griechen, Numider, Gallier und Juden. Nun lebten sie alle dicht gedrängt in der Subura, und die engen Straßen hallten vor Stimmen wider, die in vielen verschiedenen Sprachen riefen. Die unverwechselbaren Aromen der unterschiedlichen Küchen vermischten sich miteinander und waren soübermächtig, dass sie sogar denüber allem liegenden Gestank der verwesenden Lebensmittel und der Abwässerüberdeckten.
Obwohl sich Marcus nun schon beinahe zehn Tage in der Stadt aufhielt, hatte er sich noch nicht ganz an die stinkenden Straßen gewöhnt. Die farbenfrohe Mischung der verschiedenen Gewänder, der Krach und die Geschäftigkeit der Gegend faszinierten ihn. Er war auf einem abgelegenen Bauernhof auf einer kleinen griechischen Insel aufgewachsen und hatte nur die begrenzten Freuden der nahe gelegenen Marktstadt kennengelernt, wo sich dreimal im Monat mürrische Bauern zusammenfanden und miteinander Handel trieben. Die Erinnerung machte ihm das Herz schwer, als er daran dachte, wie er neben dem Mann, von dem er einmal angenommen hatte, er sei sein Vater, zum Markt gegangen war. Titus war hart und oft unnahbar und kalt gewesen– ein ehemaliger Soldat, der Marcus meist mitäußerster Strenge behandelte. Aber ab und zu schmolz diese ernste Fassade und Titus trug mit Marcus auf dem kleinen Hof des Bauernhauses verspielte Ringkämpfe aus oder erzählte ihm Geschichten von seinen Abenteuern als Soldat.
Marcus seufzte traurig, als er sich an seine frühe Kindheit erinnerte, war hin- und hergerissen zwischen lieb gewordenen Erinnerungen und dem Wissen, dass man ihn damals angelogen hatte. Titus war nicht sein Vater. Das hatte man ihm vor weniger als einem Monat enthüllt, als er die Gladiatorenschule verlassen hatte und auf dem Weg nach Rom war, um sich dort bei seinem neuen Herrn einzufinden.
Brixus, ein ehemaliger Gefolgsmann von Spartakus, war ihm damals gefolgt und hatte ihm die Wahrheit anvertraut. Marcus fasste sich mit der Handüber die Schulter und fuhr mit den Fingern unter den Halsausschnitt seiner Tunika, um den Umriss des Zeichens abzutasten, mit dem man ihn gebrandmarkt hatte, als er noch ein Kleinkind war. Es war der auf ein Schwert gespießte Kopf eines Wolfes, das Geheimzeichen, das auch Spartakus und seine engsten Gefolgsleute getragen hatten, einschließlich der Frau, die er geliebt hatte, und einschließlich ihres gemeinsamen Kindes Marcus. Brixus hatte ihm erklärt, es wäre sein Schicksal, die Aufgabe seines wahren Vaters zuübernehmen und den nächsten Sklavenaufstand anzuführen– den Aufstand, der endlich Rom besiegen und alle Sklaven befreien würde, die noch unter dem Joch ihrer grausamen römischen Herren lebten.
Marcus verzog wütend das Gesicht. Seine Welt war aus den Angeln gehoben worden. Alles, was er zu wissen glaubte, erwies sich als falsch, und in ihm tobte ein Sturm der Gefühle. Er liebte Titus, den zähen, stolzen Veteranen der römischen Legionen, immer noch. Und doch floss in Marcus’ Adern kein Tropfen römisches Blut. Sein wahres Erbe, das waren die unzähligen Millionen unterdrückter Sklaven, die aneinandergekettet in den Bergwerken ihr elendes Dasein fristeten oder starben, auf den Landgütern reicher Römer oder als Arbeitstiere in den feinen römischen Villen schufteten oder als Quelle blut