: Austin Wright
: Tony& Susan Roman
: Luchterhand Literaturverlag
: 9783641069018
: 1
: CHF 2.10
:
: Erzählende Literatur
: German
: 416
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Ein literarischer Thriller, der einen nicht mehr loslässt!
Susan Morrow hat gelernt, immer ja zu sagen. Nicht aufzubegehren, mitzuspielen, die Dinge hinzunehmen, wie sie sind: den Ehemann, der Herzchirurg ist, nur seine Karriere im Blick hat und sie wahrscheinlich mit einer Arzthelferin betrügt. Die Ehe, die unbemerkt immer mehr in die Brüche geht. Ihre Pflichten als Hausfrau und Mutter.
Da erhält sie eines Tages Post von ihrem Exmann Edward, von dem sie seit zwanzig Jahren nichts mehr gehört hat. Als sie ihn damals verließ, war er ein angehender Schriftsteller, voller hochfliegender Pläne. Jetzt hat er ihr das Manuskript eines Romans geschickt, und widerstrebend beginnt sie, es zu lesen. Es ist die zutiefst verstörende Geschichte des Mathematikprofessors Tony Hastings, dessen Frau und Tochter auf der gemeinsamen Fahrt in den Urlaub entführt und grausam ermordet werden. Es ist die Geschichte eines Mannes, dessen ganzes Leben zerbricht, weil er gelernt hat, immer vernünftig zu bleiben. Weil er verlernt hat, sich zu wehren. Und weil er nicht glauben will, dass seine schlimmsten Ängste wirklich wahr werden könnten. Unaufhaltsam gerät Susan in den Sog dieses beklemmenden Romans. Und je weiter sie liest, desto mehr beginnt sie zu ahnen, dass Edward vielleicht gar nicht ihre Meinung über sein Manuskript einholen will. Dass er vielmehr auf raffiniert verschlüsselte Weise von ihr selbst erzählt ...

Austin Wright wurde 1922 in New York geboren. Er war Schriftsteller, Literaturkritiker und -wissenschaftler und lehrte lange Jahre als Professor für Englische Literatur an der Universität von Cincinnati. Sein Hauptinteresse galt den Prinzipien des Erzählens und der Wechselwirkung zwischen Phantasie und Realität. Er lebte mit seiner Familie in Cincinnati und starb 2003 im Alter von achtzig Jahren.

Eins

Als sich Susan Morrow an diesem Abend mit Edwards Manuskript hinsetzt, durchfährt Furcht sie wie eine Gewehrkugel. Ein Moment äußerster Anspannung, der zu schnell vergeht, um zu haften, aber zurück bleibt ein Bodensatz vager Angst. Gefahr, Bedrohung, Desaster, sie weiß nicht, was. Sie versucht zu rekonstruieren, woran sie gedacht hat, vorhin in der Küche, Töpfe, Kochzubehör, Geschirrspüler. Dann das plötzliche Herzrasen auf der Wohnzimmercouch, wo der bedrohliche Gedanke sie überfallen hat. Drüben im Arbeitszimmer sitzen Dorothy und Henry mit Henrys Freund Mike auf dem Boden und spielen Monopoly. Ihre Einladung mitzuspielen lehnt sie ab.

Vor ihr der Christbaum, Weihnachtskarten auf dem Kaminsims, die Couch übersät mit Spielen, Anziehsachen, Geschenkpapier. Ein Chaos. Der Fluglärm von O’Hare klingt immer mehr ab, Arnold ist inzwischen in New York. Sie kommt nicht darauf, was die Angst ausgelöst hat, also versucht sie sie zu ignorieren, legt die Füße auf den Couchtisch, haucht ihre Brille an und wischt sie sauber.

Das Beklommenheitsgefühl hält an, so stark, dass es in keinem Verhältnis steht. Arnolds Reise, wenn es das ist, erfüllt sie mit abgrundtiefem Grauen, aber sie weiß keine logische Begründung dafür. Flugzeugabsturz, aber Flugzeuge stürzen nicht ab. Gegen die Tagung ist nichts einzuwenden. Die Leute werden ihn erkennen oder auf sein Namensschild linsen. Er wird wie immer hochzufrieden entdecken, wie wichtig er ist, und entsprechend blendend gelaunt sein. Das Chickwash-Gespräch kann nichts schaden, auch wenn es zu nichts führt. Und sollte es wider Erwarten doch zu etwas führen, dann erwartet sie ein neues Leben und die Chance, nach Washington zu ziehen, falls sie das will. Er ist unter Kollegen und alten Mitarbeitern, Menschen, denen sie eigentlich trauen sollte. Wahrscheinlich ist sie einfach nur müde.

Trotzdem wagt sie sich noch nicht an Edward heran. Sie liest kürzere Sachen, die Zeitung, Leitartikel, Kreuzworträtsel. Das Manuskript sträubt sich noch, oder sie sträubt sich, mag nicht recht beginnen, aus Angst, über dem Buch ihre Gefahr zu vergessen, worin immer die Gefahr besteht. Bücher kosten sie anfangs immer Überwindung, weil sie ihr so viel Zeit abverlangen. Weil sie möglicherweise verschütten, was sie gedacht hat, manchmal endgültig. Bis Susan mit einem Buch durch ist, könnte von ihrem alten Ich nichts mehr übrig sein. Diesmal ist es schlimmer als sonst, denn Edwards Auftauchen aus der Versenkung bringt neue Ablenkungen mit sich, die nichts mit Susans Gedanken zu tun haben. Auch er ist eine Gefahr, wenn er hier sein Hirn entlädt, seine inneren Bomben abwirft. Egal. Wenn sie ihrem Unbehagen nicht auf die Spur kommt, soll doch das Buch es übertünchen. Bald wird sie nicht mehr aufhören wollen. Sie klappt den Karton auf, betrachtet den Titel –Nachttiere. Im Geist kommt sie aus dem Tunnel in das Haus im Zoo, sieht trüb-violett beleuchtete Glaskäfige, in denen seltsame emsige kleine Geschöpfe mit übergroßen Ohren und Augenbällen den Tag für die Nacht halten. Schluss jetzt, fang einfach an.

Nachttiere 1

Ein Mann, Tony Hastings, seine Frau Laura und seine Tochter Helen fuhren nachts im nördlichen Pennsylvania auf der Autobahn nach Osten. Ihr Urlaub begann, und sie fuhren in ihr Ferienhaus in Maine. Sie fuhren nachts, weil sie spät losgekommen waren und noch einen neuen Reifen gebraucht hatten. Es war Helens Idee gewesen, als sie nach dem Abendessen irgendwo in Ohio wieder ins Auto stiegen. »Was wollen wir mit einem Motel«, sagte sie, »fahren wir einfach di