: Heike Bachelier, Peter Wulkau
: Ein ganz normaler Feind Das Leben des Peter Wulkau in den Akten der Stasi. Zusammengestellt von Heike Bachelier
: Verlagsgruppe Droemer Knaur
: 9783426413531
: 1
: CHF 5.00
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 400
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Exclusiver Zusatzinhalt im eBook: Peter Wulkaus Roman 'Noch nicht und doch schon', der Stein des Anstoßes. Peter Wulkau war ein Student mit eigenem Kopf, als er ins Visier der Stasi gerät. 38 Freunde, Bekannte und Kollegen haben über ihn berichtet. Er konnte über mehr als ein Jahrzehnt hinweg keinen Schritt machen, ohne dass das nebensächlichste Detail über ihn notiert wurde - ob er ordentlich gekleidet war, wen er traf und wann er ein Glas Bier trank. Die gesammelten Berichte, Briefe, Gesprächsnotizen und Verhörprotokolle umfassen knapp 18 000 Seiten und schildern auf eindringliche Weise, wie das Leben im Schatten der Stasi wirklich war. Die Banalität des Bösen steigt aus jedem Satz der Akten auf: Die Protokolle der erschreckend bereitwilligen Zuträger lassen ihr perfides, aber auch bisweilen ungeschicktes Vorgehen erkennen. Die Konsequenzen für Peter Wulkau waren existenziell: Die Zerstörung des Lebensentwurfs und eine jahrelange Haftstrafe.

Heike Bachelier arbeitet als Regisseurin und Autorin in Deutschland und Großbritannien. Sie produzierte Dokumentarfilme für ZDF, WDR und arte. 2010 realisierte sie den Dokumentarfilm Feindberührung, der die Begegnung Peter Wulkaus mit einem ehemaligen Freund zeigt, der der Stasi gegenüber ausführlich über ihn berichtete.

1.Operativ-Vorgang »Revisionist« – ein Student geht eigene Wege


16. 05. 1968 Bericht Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Bezirksverwaltung (BV) Leipzig, Abt. XX/3, Ltn. Hampl

Am14568 wurde von13.0014.45 im Prorektorat für Studienangelegenheiten derKMU mit der Studentin Nölle, Annemarie (1. Stdj. Stabü/Deutsch) ein erstes Kontaktgespräch geführt. Ziel war einzuschätzen ob sich die Nölle für eine eventuelle Werbung eignet. Die Betreffende ist Mitglied unserer Partei. Sie stammt aus sehr fortschrittlichem Elternhaus. Bis vor einigen Wochen war sieFDJ-Sekretär des Seminars. Zu den Vorkommnissen (Kleben von Flugblättern) am1468 im Petersteinweg konnte sie überhaupt nichts sagen. Ihr sind keine Studenten bekannt, die sich offiziell als auch inoffiziell eine Veränderung der Lage bei uns nach dem Muster derCSSR wünschen o. die zu Demonstrationen aufgefordert hätten. Die Nölle ist aber gern bereit uns zu unterstützen, weil das auch für sie selbst nützlich wäre insofern sie dann besser einschätzen könnte was die Studenten, mit denen es immer Schwierigkeiten gibt, nun wirklich denken. Alles andere, so wurde mit ihr vereinbart, werden wir am28568 13.30 noch konkreter besprechen. Sie war damit sofort einverstanden. Ihr wurde eine Schweigeverpflichtung über das geführte Gespräch abgenommen. Zur Person ist noch folgendes zu ergänzen: Sie hat ein Verhältnis zu einem verheirateten Lehrer aus Wurzen. Es handelt sich um die Oberschule wo sie das Abitur ablegte. Vom Äußeren her ist sie recht ansprechend. Sie scheint sehr lebenslustig zu sein, ohne dabei in Unmoral auszuarten. Ihr polit. Wissen ist gut. Ihr fehlt es z.T. an Einschätzungsvermögen wobei in einigen Dingen gewisse mädchenhafte Naivität noch vorhanden ist. Die Nölle interessiert sich sehr für Theater, Literatur u. Sport. Bei dem Gespräch kam mehrmals zum Ausdruck, daß sie knapp bei »Kasse« ist u. sich gern mehr leisten würde.

27. 05. 1968 Vorschlag zur Anwerbung, Ltn. Hampl, Abt. XX/3, BV Leipzig

Es wird vorgeschlagen, die Nölle, Annemarie, geb.5748 alsGM [geheimen Mitarbeiter] auf der Linie Karl-Marx-Universität (Studenten) anzuwerben. Die Kandidatin wurde im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Operativ-Vorganges »Steinweg« bekannt. Zunächst bestand der Verdacht, daß die Betreffende mit in den Täterkreis einzuklassifizieren ist, weil die Tatschrift auf den selbst gefertigten Hetzflugblättern die gleichen Gruppenmerkmale, wie die in ihrem Personalunterlagen vorhandene Schrift, trug. Durch exakten Schriftvergleich, Ermittlungen bzw. einer ausführlichen Aussprache mit ihr konnte dieser anfängliche Verdacht vollkommen entkräftet werden. Im Ergebnis der Aussprachen u. der Ermittlungen ist einzuschätzen, daß sich die Nölle vor allem in Verbindung mit der schnellen u. umfassenden Bearbeitung des Vorganges »Steinweg« alsIM eignet. Auf Grund ihrer unkomplizierten Art u. ihrer relativ leichten Lebensauffassung wäre es auch möglich, sie zur inoffiziellen Nutzung in anderen operativen Bereichen einzusetzen. Ihre persönlichen Interessen u. Neigungen haben vieles gemein mit den operat. Erfordernissen der Abwehrarbeit auf der Linie Studenten.

07. 06. 1968 Anwerbungsbericht, Ltn. Hampl, Abt. XX/3, BV Leipz