: Giovanni Boccaccio, Johann Wolfgang von Goethe, Jeremias Gotthelf, Franz Grillparzer, Conrad Ferdina
: Fischer (Hrsg.)
: Die schönsten Novellen Von Boccaccio bis Storm
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104019017
: Fischer Klassik Plus
: 1
: CHF 4.00
:
: Gemischte Anthologien
: German
: 340
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Eine unwiderstehliche Sammlung der schönsten Novellen von Boccaccio bis Storm Tauchen Sie ein in die faszinierende Welt der Novelle mit diesem Band, der die schönsten Beispiele dieser zeitlosen Erzähltradition von Meistern wie Giovanni Boccaccio, Johann Wolfgang von Goethe, Jeremias Gotthelf, Franz Grillparzer, Conrad Ferdinand Meyer und Theodor Storm vereint. Von unerhörten Begebenheiten, Schicksalsschlägen und Zufällen aller Art - diese Novellen fesseln mit ihren Geschichten voller Spannung, Emotion und Weisheit. Ergänzt wird diese exquisite Auswahl durch Beiträge zu den Werken aus Kindlers Literatur Lexikon, Autorenporträts aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur sowie exklusive biografische Informationen zu den Autoren, verfasst von der Redaktion der renommierten Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Ob Liebe und Tod, Abenteuer und Solidarität, Freundschaft und Familie - Die schönsten Novellen präsentiert die ganze Bandbreite menschlicher Erfahrungen und Gefühle. Ein unverzichtbarer Schatz für alle Liebhaber klassischer Belletristik.

Giovanni Boccaccio, 1313 in Certaldo bei Florenz geboren, am 21.12.1375 dort auf seinem Landgut gestorben. Als unehelicher Sohn eines Florentiner Kaufmanns und einer adeligen Französin verbrachte Boccaccio seine Kindheit in Florenz. Mit zehn Jahren schrieb er erste Gedichte. Er studierte Jura, lebte in Neapel, dann als Notar und Richter in Florenz. Freundschaft mit Petrarca. Reisen nach Rom, Padua, Avignon, Neapel. Sein weltberühmtes Hauptwerk das »Decameron« übte einen entscheidenden Einfluß auf die italienische Kunstprosa aus.

Giovanni BoccaccioDer Falke


Federigo degli Alberighi liebt, ohne Gegenliebe zu finden, und verzehrt in ritterlichem Aufwand sein ganzes Vermögen, so dass ihm nur ein einziger Falke bleibt. Den setzt er, da er nichts anderes hat, seiner Dame, die ihn zu besuchen kommt, zum Essen vor. Sie aber ändert, als sie dies vernommen, ihre Gesinnung, nimmt ihn zum Manne und macht ihn reich.

Kaum hatte Filomena zu reden aufgehört, als die Königin wahrnahm, dass außer Dioneo und ihr niemand mehr zu erzählen hatte, und so begann sie heiter:

So ist es denn nun an mir, zu erzählen, und ich genüge gern meiner Pflicht, indem ich euch eine Geschichte mitteile, die der vorigen einigermaßen ähnlich ist. Ich tue dies nicht nur, damit ihr erkennt, welche Macht eure Anmut über edle Herzen auszuüben vermag, sondern damit ihr auch daraus entnehmt, wie ihr eure Gunstbezeigungen da, wo es sich geziemt, von selbst gewähren solltet, statt euch vom Glücke leiten zu lassen, welches nicht nach verständiger Wahl, sondern wie es sich eben trifft, in den meisten Fällen ohne jedes rechte Maß seine Gaben zu verleihen pflegt.

Wisset also, dass in jüngster vergangener Zeit in unserer Stadt ein Mann namens Coppo di Borghese Domenichi lebte und vielleicht heute noch lebt, der sich bei allen eines großen und ehrenvollen Ansehens erfreute und um seiner Tugenden und erlesenen Sitten willen mehr noch als wegen seines adeligen Blutes gefeiert wurde und allgemeinen Ruhmes würdig war. Dieser fand in seinen späten Jahren Gefallen daran, sowohl seinen Nachbarn als auch Fremden oftmals von vergangenen Ereignissen zu erzählen, wie er denn solches geordneter, mit schönen Worten und treuerem Gedächtnis zu tun verstand als irgendein anderer.

Unter andern schönen Geschichten pflegte er namentlich auch zu erzählen, dass einst in Florenz ein junger Edelmann gewesen sei, Federigo di Messer Filippo Alberighi genannt, den man in ritterlichen Übungen und adeligen Sitten höher gehalten habe als irgendeinen seiner Standesgenossen in Toskana. Wie es nun edlen Jünglingen zu widerfahren pflegt, so verliebte sich auch Federigo in eine adelige Dame namens Monna Giovanna, welche zu jener Zeit für eine der holdseligsten und schönsten in Florenz gehalten ward. Um ihre Liebe zu gewinnen, scheute er in Turnieren und Kampfspielen keinerlei Aufwand, richtete Feste her und teilte Geschenke aus, ohne seines Vermögens irgend zu achten. Die Dame aber, die ebenso sittsam wie schön war, kümmerte sich so wenig um dies alles, das zu ihren Ehren geschah, wie um denjenigen, von dem es ausging.

Da Federigo jedoch über seine Kräfte hinaus große Summen vertat und nichts erwarb, verfiel er binnen kurzem in solche Armut, dass er von allen seinen Besitztümern nichts behielt als ein kleines Bauerngut, dessen Einkünfte ihm kümmerlichen Unterhalt gewährten, und einen Falken, wie es kaum einen edleren auf der Welt geben mochte. Inzwischen war seine Liebe nur noch glühender geworden; da er jedoch als Städter nicht mehr so leben zu können glaubte, wie es ihm wünschenswert erschien, zog er sich aufs Land zurück und ertrug dort auf seinem Gütchen, ohne jemand um Hilfe anzugehen, unter Vogelstellen geduldig seine Armut.

Während nun Federigos Vermögensumstände sich so sehr verschlechtert hatten, geschah es, dass der Gemahl der Monna Giovanna schwer erkrankte. Als er gewahr wurde, dass es mit ihm zu Ende ging, machte er ein Testament, in welchem er sein schon ziemlich herangewachsenes Söhnlein zum Erben seiner großen Reichtümer ernannte und für den Fall, dass der Knabe ohne rechtmäßigen Erben versterben sollte, Monna Giovanni, die er auf das Zärtlichste geliebt hatte, zur Nachfolgerin bestimmte. Bald darauf starb er, und die hinterbliebene Witwe zog, wie es unter den hiesigen Frauen üblich ist, für den Sommer dieses Jahres aufs Land, nach einer ihrer Besitzungen, welche Federigos Gütchen ziemlich nahe gelegen war. So trug es sich denn zu, dass jener Knabe, der an Hunden und Vögeln seine Freude hatte, mit Federigo vertraut wurde. Als er dessen Falken öfter hatte fliegen sehen, fand er an ihm so überschwengliches Gefallen, dass ihn zu besitzen sein höchster Wunsch ward. Doch traute er sich nicht darum zu bitten, da er wohl sah, wie wert er dem Federigo war.

Um diese Zeit ereignete es sich, dass der Knabe erkrankte. Die Mutter, die nur dies eine Kind hatte und es von ganzer Seele l