: Marcus Hellwig
: Inschallah Gefangen im Iran
: Verlagsgruppe Lübbe GmbH& Co. KG
: 9783838716596
: 1
: CHF 11.20
:
: Biographien, Autobiographien
: German
: 256
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB

Der Reporter Marcus Hellwig und ein Fotograf wurden im Iran verhaftet, als sie das Schicksal der zum Tod durch Steinigung verurteilten Iranerin Sakineh Ashtiani recherchierten. Ihre Haft wurde weltweit in Politik und Medien als Willkürakt des iranischen Terrorregimes verurteilt. Kein Sonnenlicht, Schlafentzug und die Schmerzensschreie der gefolterten Mitgefangenen zerren an den Nerven des Journalisten, in stundenlangen Verhören wird er von seinen Peinigern misshandelt. Sie wollen ein Geständnis erpressen, um ihn als Spion zu verurteilen. Nach engagierter Intervention von westlichen Medien und Politikern konnte Außenminister Guido Westerwelle den Reporter und den Fotografen nach 132 Tagen Haft schließlich nach Deutschland ausfliegen. In die Freiheit. Dieses Buch ist auch ein fesselnder Bericht über die Ungewissheit, über die Angst in auswegloser Lage: Was werden sie mit mir machen? Werde ich jemals meine Familie, meine achtjährige Tochter wiedersehen? Lange Gespräche mit anderen politischen Gefangenen geben Marcus Hellwig tiefe Einblicke in das System der iranischen Gewaltherrschaft.

Relax


Die Nacht ist hereingebrochen. In den Straßen von Täbris kriecht der endlose Blechstrom durch die verstaubte Stadt. Feierabendverkehr in der Millionenmetropole am Elburs-Gebirge. Die Stadt atmet Qualm.

Hier gibt es längst mehr Autos, als die Umwelt und die Infrastruktur verkraften können. Nun rollen ihre Besitzer schleichend im Stop-and-go in die Vorstadtbezirke und das an einem Berghang liegende In-Viertel Valiasr. Dort verschanzen sich reiche Iraner hinter meterhohen Mauern und Stacheldraht. Genießen in ihrer eingezäunten Privatsphäre die Freiheit vom sonst allgegenwärtigen Mullah-Regime.

Unrhythmisch branden die Wellen eines Hupkonzerts an mein Ohr – vom Wind durch die offenen Fenster getragen. Im anschwellenden Fortissimo übertönt der Verkehrslärm kurzzeitig das wabernde Stimmengewirr um mich herum. Sprachfetzen, die mir fremd sind. Worte, die bellend durch den Raum fliegen.

Wenn sie mich treffen, zucke ich zusammen. Verkrampft rutsche ich auf einer schmalen Holzbank herum. Knete meine Hände, verreibe pausenlos schweißnasse Rinnsale in den Lebens-, Kopf- und Herzlinien ihrer Innenflächen. Betäubt starre ich auf den dreckigen Betonfußboden, der sich vor mir ausbreitet. In der abgewetzten, zerbröckelten grauweißen Farbe spiegeln sich die Laufwege unzähliger Menschen wider.

»Salam, Marcus«, höre ich plötzlich.

Ich schaue überrascht auf. Grell leuchtende Neonröhren erhellen die Szenerie. Ich sitze am Kopfende eines rund 120 Quadratmeter großen Raumes, zwischen zwei Türen. An der Wand zu meiner Linken steht eine weitere Bank. Darauf hocken Sajjad Ghaderzadeh und mein Fotograf. Gefangene drängeln sich vorbei, begleitet von Wärtern. Die meisten tragen verwaschene graue Uniformen und ausgelatschte schwarze Armeestiefel. Manche mit weißen Gamaschen. Eine Handvoll Wärter ist mit weißen Kordeln, die an der Schulterlitze befestigt sind, geschmückt.

Hinter vier vergilbten Resopal-Tischen hämmern Justizbeamte unaufhörlich auf Computertastaturen ein. Unentwegt starren sie auf ihre flimmernden Flachbildschirme. Rufen hin und wieder Namen durch den Raum. Männer melden sich, werden von ihren Bewachern vorgeführt: mit und ohne Bart, im durchgeschwitzten Anzug oder in Lumpen gehüllt. Alt, jung, fast zahnlos, andere mit eingefrorenem Zahnpastalächeln, geduckt oder trotzig aufrecht gehend.

Aus einem Nebenzimmer, dessen Holztür sperrangelweit offen steht, winkt mir ein junger Mann hektisch zu.

»Salam, Marcus«, ruft er erneut.

Jetzt erkenne ich ihn wieder. Wir haben zusammen die vorhergehende Nacht im Gewahrsam der iranischen Passbehörden verbracht. Hussein1 trägt immer noch sein halb zerrissenes rotes T-Shirt mit dem Zeichen des Täbriser Fußballklubs Tractor Sazi. Mühsam hält er es an der Seite mit einer Hand zusammen. Sonst würde die Fan-Klamotte über seine knochigen Schultern rutschen.

Hussein schüttelt resigniert den Kopf. Um seine blassgrünen Augen liegen tiefschwarze Augenringe. Auch er hat in der Nacht vor Kälte gefroren. In eine stinkende Kamelhaardecke gehüllt, hat er sich neben mir auf dem Boden herumgewälzt. Jetzt wird Hussein, mit Handschellen an seinen Wärter gekettet, in die Mitte des Raums zum »Check-in« gebracht. Hier wird der nicht endende Strom der Neuankömmlinge im öffentlichen Zentralgefängnis von Täbris registriert. In dem weitläufigen, mehrere Fußballfelder großen Gebäudekomplex mitten in der Stadt sollen derzei