: Ludwig Börne
: Inge Rippmann
: Das große Lesebuch Fischer Klassik PLUS
: S. Fischer Verlag GmbH
: 9783104014548
: Fischer Klassik Plus
: 1
: CHF 4.00
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: Anthologien
: German
: 336
: Wasserzeichen
: PC/MAC/eReader/Tablet
: ePUB
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TETX+KRITIK. »Gefährlich ist nur das unterdrückte Wort, das verachtete rächt sich, das ausgesprochene ist nie vergebens.« - Ludwig Börne war Wegbereiter des modernen Feuilletons und des politischen Journalismus. Sein Eintreten für Demokratie und Pressefreiheit erregte den Argwohn der Zensur, der er mit Satire und Witz begegnete. In den berühmten ?Briefen aus Paris? durchstreift Börne seine Gegenwart mit scharfem Blick, verknüpft Literaturkritik mit Zeitdiagnose. Dieses Lesebuch lädt dazu ein, den Facettenreichtum und die Aktualität von Börnes Texten neu zu entdecken.

»Theuerster Vater«


Börne im Generationenkonflikt

Heidelberg, 24. Juli 1807


Theuerster Vater!

Ich beginne in sehr ernster Stimmung diesen Brief, und ich werde allen meinen Muth bedürfen, um ihn an das Ziel zu führen, das ich ihm vorgesteckt. Denn wenn ich dadurch nicht erlange, was ich möchte, so wird dieses Schreiben nicht blos seinen Zweck verfehlen, sondern gerade das Entgegengesetzte hervorbringen, statt Dich zu beruhigen, wird es Dir Verdruss machen, statt Deine Zufriedenheit wird es mir Deine Vorwürfe zuziehen. So oft du auch mit mir sprachst, war es immer der kränkendste Tadel, der dem Gespräche die Einleitung gab, oder womit es schloss. Ich hätte jedesmal mich rechtfertigen können, sogar auf Deine Art mich rechtfertigen können, aber ich musste bald bemerken, dass Du es für einen Mangel kindlicher Achtung hieltst, wenn ich Dir widersprach, darum schwieg ich, denn Du hättest die Vertheidigung selber nur für ein Verbrechen mehr gerechnet. Darum, weil meine Abwesenheit Dir eine kältere Prüfung meiner Rede verstattet, will ich es jetzt versuchen, nicht mich mit Dir zu verständigen, sondern zu beweisen, dass keine vollkommene Verständigung zwischen uns Beiden möglich ist, und dass jede Erörterung sich dahin beschränken muss, die verschiedenen Standpunkte aufzuzeigen, auf denen wir stehen, die keine Harmonie zulassen, als die des Herzens und der Liebe, aber die Eintracht der Köpfe gar nicht gestatten. Doch vor allen Dingen muss ich Dich daran erinnern, dass es nie meine Handlungen, sondern immer meine Reden waren, die mir Deinen bleibenden Unwillen zuzogen.

Wenn ich zu viel Geld verschwendet, wenn ich wider Deinen Willen nach Berlin gereist war, so hattest Du es freilich gerügt, aber auch bald wieder vergessen und vergeben. Aber Du vergissest nicht die Gesinnungen, die ich bei solchen Gelegenheiten geäussert, Du konntest nicht vergeben den anscheinenden Mangel gewisser Empfindungen, von denen ich doch ganz durchdrungen bin, und deren Dasein Du nur darum nicht erkanntest, weil ich nie davon sprach. Aber es gibt gewisse Dinge, wie kindliche Liebe, deren Heiligkeit durch Worte nur entweiht wird. Ich liebe Dich, nicht weil ich soll, sondern weil ich muss. Hättest Du denn ja nöthig ein Register der Pflichten nachzuschlagen und zu erfahren, wie viele tausend Thaler Du verbunden seiest an meine Erziehung zu verwenden? Hat Dich Dein Herz nicht immer gezwungen, alles das Gute mir zu erzeigen, was ich von Dir genossen habe? Glaubst Du, dass Deine väterliche Liebe Grenzen habe? Glaubst Du, dass ich sie verwirken könne? Wenn Du dies denkst, so kennst Du Dich selber nicht und nicht das menschliche Herz. Liebe und Hass lassen sich nicht verdienen. Deine Sorgsamkeit für mich könnte nie aufhören, auch wenn ich zum grössten Bösewicht an Dir würde, nicht.

Ich habe oft von Dir hören müssen, ich sei ein schlechter Sohn; es schmerzte mich, nicht der Vorwurf, denn er traf mich nicht, aber es schmerzte mich, dass unsere Naturen von der Art sind, dass wir in den Gesinnungen uns feindlich begegnen müssen. Es ist so und kann nicht anders sein, denn die Natur hasst all