2.»Dieses Kind wird führen«
Ellen Johnson Sirleafs Aufstieg in Liberia
Wenn die Regenzeit mit ihren heftigen Niederschlägenüber Liberia hereinbricht, leuchtet das Laub des Dschungels so grün, dass einem die Augen schmerzen. Liberia, die Heimat von Leymah Gbowee und Ellen Johnson Sirleaf, ist ein fruchtbares Land. Die Regenwälder, die weite Teile des Landes bedecken, gehören zu den global wichtigsten Hotspots der Artenvielfalt. Dort, wo der Regenwald abgeholzt worden ist, wuchern riesige Kautschukplantagen. Die größte von ihnen beginnt gleich hinter dem Flughafen Roberts Field außerhalb von Monrovia. Stünden die Kautschukbäume, die sichüber Kilometer und Kilometer nach Westen erstrecken, nicht so ordentlich in Reih und Glied, könnte man meinen, es handle sich bei den vom US-ReifenherstellerFirestone angelegten Plantagen um einen Märchenwald. Doch der Schein trügt, wie so mancher Schein in Liberia.
Liberia, so heißt es in der Wikipedia, ist Afrikasälteste Republik, einer derältesten unabhängigen Staaten des Kontinents– und ist, formal, nie eine Kolonie gewesen. Doch die wirkliche Geschichte sieht anders aus. Sie ist, wie in den»offiziellen« Kolonien, gezeichnet von Habgier und Gewalt. Dabei begann alles mit guten Absichten. 1816 wurde in den USA dieAmerican Colonization Society (Amerikanische Kolonisierungsgesellschaft) gegründet. Ihr Ziel: die Rückführung der seit dem kurz zuvor erlassenen Sklavereiverbot befreiten Schwarzen zu organisieren.»Nach Afrika« sollten sie zurückkehren– Männer und Frauen, von denen etliche in den USA geboren worden waren und die noch nie ein anderes Land erblickt hatten. Vier Jahre später landete die erste Gruppe von Ex-Sklaven nicht weit von Liberias heutiger Hauptstadt Monrovia entfernt.
Die meisten Siedler der ersten Stundeüberlebten nicht lange: Tropische Krankheiten, vor allem Malaria, rafften Tausende dahin. Außerdem stellten die»Rückkehrer« fest, dass die Küste bereits besiedelt war: Die Kru, ein Volk renommierter Schiffbauer und Fischer, hatten kein Interesse, ihr Land– wie von der Society vorgesehen– an die Neuankömmlinge zu verkaufen. So nahmen die Siedler sich das Land mit Gewalt. Mit Kanonen und Gewehren und immer neuen Schiffen voller Siedler– nach Schätzungen von Historikern trat nur ein Drittel von ihnen freiwillig die Reise an– war den Amerikoliberianern der Sieg sicher. Zu den Siedlern stießen zudem Afrikaner aus anderen Staaten, die in die Sklaverei verkauft worden waren, auf hoher See aber von britischen und amerikanischen Booten aufgebracht und nun ebenfalls an der ehemaligen»Pfefferküste« abgesetzt wurden. Gemeinsamübernahmen die Siedler die Herrschaft im von vermeintlichen»Wilden« bevölkerten Land.
Die schwarzen Amerikaner gebärden sich wie Kolonialisten, auch wenn sie auf dem Papier keine sind. Im Binnenland schließen sie Verträge mit gierigen Häuptlingen, die in Naturalien bezahlt werden. Wer keinen Frieden schließen will, wird militärisch besiegt. So baut die kleine Elite, von den Einheimischen nach dem Herkunftsland mancher Schiffe»Kongos« genannt, in Liberia an ihrem afrikanischen Glück. Ihr Land taufen sie nach ihrer neu gewonnenen Freiheit Liberia; die Hauptstadt benennen sie nach US-Präsident Monroe: Monrovia. Zunächst ist das Land noch einem US-Gouverneur unterstellt, doch 1847 gründen die inzwischen gut 18.000 Siedler ihre eigene Republik. Am 26. Juli 1847 wird erstmals derLone Star gehisst, eine Abwandlung des amerikanischen Sternenbanners, den im blauen Feld nur ein einzelner Stern schmückt.
Die Verfassung, die das Land sich gibt, ist nach dem Vorbild der US-Constitution ausgerichtet– mit der entscheidenden Ausnahme, dass die Bürgerrechte nur für die Siedler gelten. Die sechzehn anderen Völker, Liberias Ureinwohner, die gut 97 Prozent der Bevölkerung ausmachen, werden von Staats wegen entrechtet und faktisch zu Sklaven der Minderheit gemacht. Sie schuften auf Kaffeeplantagen, beim Abholzen des Regenwalds und später auch in den Minen im Norden Liberias und auf den Kautschukplantagen, von denen Anfang des 20. Jahrhunderts immer mehr errichtet werden. 1926 bekommt dieFirestone-Company eine Konzession für den Anbau von Kautschuk und legt nicht weit von Monrovia entfernt die größte Kautschukplantage der Welt an. Sie hat mehr als 400.000 Hektar Anbaufläche, die bis heute nicht komplett genutzt werden. Das westafrikanische Liberia, Afrikasälteste Republik, ist für afrikanische Verhältnisse ein kleines Land: etwa so groß wie Portugal, ein bisschen kleiner als die ehemalige DDR. Mit seinem feuchtwarmen Klima – Liberia zählt zu den immerfeuchten Tropen– ist das Land trotz seiner oft armen Böden ideal für die Plantagenwirtschaft geeignet– auch dank der billigen A